Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Anna in das Kloster ging und eine Bekannte neckend zu Amalie sagte: "Nun,
wer weiß, am Ende gehst du auch noch einmal hinein?" erwiederte sie empört:
"Eher aber spring' ich über unsre Gartenmauer in die Mosel."

Der Unterricht, den Amalie in verschiedenen Privatschulen empfing, ließ
manches zu wünschen übrig, aber das elterliche Haus, Verwandte und Freunde
gewährten eine willkommene Ergänzung. Den größten Einfluß auf sie übte
ihr Bruder Ernst aus, der schon die Universität bezog, als sie erst zehn Jahr
zählte, aber in Briefen und bei Ferienbesuchen ihr eine neue Welt erschloß.
Es ist derselbe Ernst v. Lasaulx, der später auf dem Gebiete des klassischen
Alterthums im Sinne christlicher Auffassung desselben gearbeitet und als
Religionsphilosoph eine schriftstellerische Wirksamkeit entfaltet hat, durch die er
in weiteren Kreisen rühmlich bekannt wurde. Eine Fülle anziehender und
bedeutender Persönlichkeiten bewegte sich in dem frommen, fröhlichen, gastfreien
Hause ihres Onkels, des Justizraths Longard, der mit einer Schwester ihres
Vaters, Christine, vermählt war. Hier traf Amalie Coblenzer Freunde und
Verwandte; aber auch berühmte Fremde, die Coblenz passirten, erschienen im
Longard'schen Hause. So Philipps, Kaulbach, Boisseree, Guido Görres*),
Clemens Brentano. In den sonst gegen Fremde, die nach Coblenz versetzt
wurden, abgeschlossenen Kreis wurden doch drei Familien aufgenommen,
Brüggemann's, Hume's, Mendelssohn's. Der Regierungs- und Schulrath
Brüggemann, der mit einer Schwester des Malers Peter Cornelius verheirathet
war, hatte eine Schwägerin Jetta und einen jüngeren Verwandten Karl
Cornelius mit nach Coblenz gebracht. Jetta war der Liebling der Kinderwelt,
deren Herzen sie durch Märchenerzählen gewann, Karl wurde der Jugend¬
freund Amaliens. In dem Hause des General-Lieutenants v. Hume, des
Erbauers des Ehrenbreitenstein, verkehrte Amaliens Schwester Clementine am
meisten, doch war Amalie der erklärte Liebling des Hausherrn. Ein naher
Freund des Bcmiuspektors Lasaulx war endlich auch Georg Benjamin Mendels¬
sohn, aus der bekannten Berliner Familie, der später Professor in Bonn wurde.

So verlebte Amalie im anregendsten Verkehr eine fröhliche Jugendzeit
und hatte für alle Genüsse derselben ein offnes Herz. Ihr phantasiereicher
Sinn strömte oft in Poesieen aus, und die Theilnahme an der harmlosen Auf¬
führung von Schauspielen bereitete ihr viel Vergnügen. Eigenthümlich, daß
der Tanz für sie keinen Reiz hatte. Wurde ihr auch wenig Gelegenheit dazu
geboten, so scheint sie doch auch keine Sympathie dafür gehabt zu haben. Ein
Ball in Ems, dem sie zuschaute, veranlaßte sie zu der Bemerkung: "Ich stand



*) Joseph Görres war mit Kathcirine v. Lasaulx, einer Cousine von Amaliens Vater,
verheirathet.

Anna in das Kloster ging und eine Bekannte neckend zu Amalie sagte: „Nun,
wer weiß, am Ende gehst du auch noch einmal hinein?" erwiederte sie empört:
„Eher aber spring' ich über unsre Gartenmauer in die Mosel."

Der Unterricht, den Amalie in verschiedenen Privatschulen empfing, ließ
manches zu wünschen übrig, aber das elterliche Haus, Verwandte und Freunde
gewährten eine willkommene Ergänzung. Den größten Einfluß auf sie übte
ihr Bruder Ernst aus, der schon die Universität bezog, als sie erst zehn Jahr
zählte, aber in Briefen und bei Ferienbesuchen ihr eine neue Welt erschloß.
Es ist derselbe Ernst v. Lasaulx, der später auf dem Gebiete des klassischen
Alterthums im Sinne christlicher Auffassung desselben gearbeitet und als
Religionsphilosoph eine schriftstellerische Wirksamkeit entfaltet hat, durch die er
in weiteren Kreisen rühmlich bekannt wurde. Eine Fülle anziehender und
bedeutender Persönlichkeiten bewegte sich in dem frommen, fröhlichen, gastfreien
Hause ihres Onkels, des Justizraths Longard, der mit einer Schwester ihres
Vaters, Christine, vermählt war. Hier traf Amalie Coblenzer Freunde und
Verwandte; aber auch berühmte Fremde, die Coblenz passirten, erschienen im
Longard'schen Hause. So Philipps, Kaulbach, Boisseree, Guido Görres*),
Clemens Brentano. In den sonst gegen Fremde, die nach Coblenz versetzt
wurden, abgeschlossenen Kreis wurden doch drei Familien aufgenommen,
Brüggemann's, Hume's, Mendelssohn's. Der Regierungs- und Schulrath
Brüggemann, der mit einer Schwester des Malers Peter Cornelius verheirathet
war, hatte eine Schwägerin Jetta und einen jüngeren Verwandten Karl
Cornelius mit nach Coblenz gebracht. Jetta war der Liebling der Kinderwelt,
deren Herzen sie durch Märchenerzählen gewann, Karl wurde der Jugend¬
freund Amaliens. In dem Hause des General-Lieutenants v. Hume, des
Erbauers des Ehrenbreitenstein, verkehrte Amaliens Schwester Clementine am
meisten, doch war Amalie der erklärte Liebling des Hausherrn. Ein naher
Freund des Bcmiuspektors Lasaulx war endlich auch Georg Benjamin Mendels¬
sohn, aus der bekannten Berliner Familie, der später Professor in Bonn wurde.

So verlebte Amalie im anregendsten Verkehr eine fröhliche Jugendzeit
und hatte für alle Genüsse derselben ein offnes Herz. Ihr phantasiereicher
Sinn strömte oft in Poesieen aus, und die Theilnahme an der harmlosen Auf¬
führung von Schauspielen bereitete ihr viel Vergnügen. Eigenthümlich, daß
der Tanz für sie keinen Reiz hatte. Wurde ihr auch wenig Gelegenheit dazu
geboten, so scheint sie doch auch keine Sympathie dafür gehabt zu haben. Ein
Ball in Ems, dem sie zuschaute, veranlaßte sie zu der Bemerkung: „Ich stand



*) Joseph Görres war mit Kathcirine v. Lasaulx, einer Cousine von Amaliens Vater,
verheirathet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142935"/>
          <p xml:id="ID_1290" prev="#ID_1289"> Anna in das Kloster ging und eine Bekannte neckend zu Amalie sagte: &#x201E;Nun,<lb/>
wer weiß, am Ende gehst du auch noch einmal hinein?" erwiederte sie empört:<lb/>
&#x201E;Eher aber spring' ich über unsre Gartenmauer in die Mosel."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1291"> Der Unterricht, den Amalie in verschiedenen Privatschulen empfing, ließ<lb/>
manches zu wünschen übrig, aber das elterliche Haus, Verwandte und Freunde<lb/>
gewährten eine willkommene Ergänzung. Den größten Einfluß auf sie übte<lb/>
ihr Bruder Ernst aus, der schon die Universität bezog, als sie erst zehn Jahr<lb/>
zählte, aber in Briefen und bei Ferienbesuchen ihr eine neue Welt erschloß.<lb/>
Es ist derselbe Ernst v. Lasaulx, der später auf dem Gebiete des klassischen<lb/>
Alterthums im Sinne christlicher Auffassung desselben gearbeitet und als<lb/>
Religionsphilosoph eine schriftstellerische Wirksamkeit entfaltet hat, durch die er<lb/>
in weiteren Kreisen rühmlich bekannt wurde. Eine Fülle anziehender und<lb/>
bedeutender Persönlichkeiten bewegte sich in dem frommen, fröhlichen, gastfreien<lb/>
Hause ihres Onkels, des Justizraths Longard, der mit einer Schwester ihres<lb/>
Vaters, Christine, vermählt war. Hier traf Amalie Coblenzer Freunde und<lb/>
Verwandte; aber auch berühmte Fremde, die Coblenz passirten, erschienen im<lb/>
Longard'schen Hause. So Philipps, Kaulbach, Boisseree, Guido Görres*),<lb/>
Clemens Brentano. In den sonst gegen Fremde, die nach Coblenz versetzt<lb/>
wurden, abgeschlossenen Kreis wurden doch drei Familien aufgenommen,<lb/>
Brüggemann's, Hume's, Mendelssohn's. Der Regierungs- und Schulrath<lb/>
Brüggemann, der mit einer Schwester des Malers Peter Cornelius verheirathet<lb/>
war, hatte eine Schwägerin Jetta und einen jüngeren Verwandten Karl<lb/>
Cornelius mit nach Coblenz gebracht. Jetta war der Liebling der Kinderwelt,<lb/>
deren Herzen sie durch Märchenerzählen gewann, Karl wurde der Jugend¬<lb/>
freund Amaliens. In dem Hause des General-Lieutenants v. Hume, des<lb/>
Erbauers des Ehrenbreitenstein, verkehrte Amaliens Schwester Clementine am<lb/>
meisten, doch war Amalie der erklärte Liebling des Hausherrn. Ein naher<lb/>
Freund des Bcmiuspektors Lasaulx war endlich auch Georg Benjamin Mendels¬<lb/>
sohn, aus der bekannten Berliner Familie, der später Professor in Bonn wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1292" next="#ID_1293"> So verlebte Amalie im anregendsten Verkehr eine fröhliche Jugendzeit<lb/>
und hatte für alle Genüsse derselben ein offnes Herz. Ihr phantasiereicher<lb/>
Sinn strömte oft in Poesieen aus, und die Theilnahme an der harmlosen Auf¬<lb/>
führung von Schauspielen bereitete ihr viel Vergnügen. Eigenthümlich, daß<lb/>
der Tanz für sie keinen Reiz hatte. Wurde ihr auch wenig Gelegenheit dazu<lb/>
geboten, so scheint sie doch auch keine Sympathie dafür gehabt zu haben. Ein<lb/>
Ball in Ems, dem sie zuschaute, veranlaßte sie zu der Bemerkung: &#x201E;Ich stand</p><lb/>
          <note xml:id="FID_42" place="foot"> *) Joseph Görres war mit Kathcirine v. Lasaulx, einer Cousine von Amaliens Vater,<lb/>
verheirathet.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0438] Anna in das Kloster ging und eine Bekannte neckend zu Amalie sagte: „Nun, wer weiß, am Ende gehst du auch noch einmal hinein?" erwiederte sie empört: „Eher aber spring' ich über unsre Gartenmauer in die Mosel." Der Unterricht, den Amalie in verschiedenen Privatschulen empfing, ließ manches zu wünschen übrig, aber das elterliche Haus, Verwandte und Freunde gewährten eine willkommene Ergänzung. Den größten Einfluß auf sie übte ihr Bruder Ernst aus, der schon die Universität bezog, als sie erst zehn Jahr zählte, aber in Briefen und bei Ferienbesuchen ihr eine neue Welt erschloß. Es ist derselbe Ernst v. Lasaulx, der später auf dem Gebiete des klassischen Alterthums im Sinne christlicher Auffassung desselben gearbeitet und als Religionsphilosoph eine schriftstellerische Wirksamkeit entfaltet hat, durch die er in weiteren Kreisen rühmlich bekannt wurde. Eine Fülle anziehender und bedeutender Persönlichkeiten bewegte sich in dem frommen, fröhlichen, gastfreien Hause ihres Onkels, des Justizraths Longard, der mit einer Schwester ihres Vaters, Christine, vermählt war. Hier traf Amalie Coblenzer Freunde und Verwandte; aber auch berühmte Fremde, die Coblenz passirten, erschienen im Longard'schen Hause. So Philipps, Kaulbach, Boisseree, Guido Görres*), Clemens Brentano. In den sonst gegen Fremde, die nach Coblenz versetzt wurden, abgeschlossenen Kreis wurden doch drei Familien aufgenommen, Brüggemann's, Hume's, Mendelssohn's. Der Regierungs- und Schulrath Brüggemann, der mit einer Schwester des Malers Peter Cornelius verheirathet war, hatte eine Schwägerin Jetta und einen jüngeren Verwandten Karl Cornelius mit nach Coblenz gebracht. Jetta war der Liebling der Kinderwelt, deren Herzen sie durch Märchenerzählen gewann, Karl wurde der Jugend¬ freund Amaliens. In dem Hause des General-Lieutenants v. Hume, des Erbauers des Ehrenbreitenstein, verkehrte Amaliens Schwester Clementine am meisten, doch war Amalie der erklärte Liebling des Hausherrn. Ein naher Freund des Bcmiuspektors Lasaulx war endlich auch Georg Benjamin Mendels¬ sohn, aus der bekannten Berliner Familie, der später Professor in Bonn wurde. So verlebte Amalie im anregendsten Verkehr eine fröhliche Jugendzeit und hatte für alle Genüsse derselben ein offnes Herz. Ihr phantasiereicher Sinn strömte oft in Poesieen aus, und die Theilnahme an der harmlosen Auf¬ führung von Schauspielen bereitete ihr viel Vergnügen. Eigenthümlich, daß der Tanz für sie keinen Reiz hatte. Wurde ihr auch wenig Gelegenheit dazu geboten, so scheint sie doch auch keine Sympathie dafür gehabt zu haben. Ein Ball in Ems, dem sie zuschaute, veranlaßte sie zu der Bemerkung: „Ich stand *) Joseph Görres war mit Kathcirine v. Lasaulx, einer Cousine von Amaliens Vater, verheirathet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/438
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/438>, abgerufen am 23.11.2024.