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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Rechten schreitet eine edle Fran, im Stile der Venetianeriuneu eines Veronese
oder Paris Bordone, und lauscht aufmerksam den Worten des Dichters, der
seine Rechte in sprechender Geberde erhebt. Eine andere Frau, deren voller
Oberkörper und Vieren Hinterhaupt in einen durchsichtigen Schleier gehüllt ist,
geht der Gruppe vorauf, den Kopf nach links gewandt und die Augen auf den
Sänger gerichtet, der sich zur Seite wendet, wo ihm zwei andere vornehme
Frauen folgen. Die eine reicht ihm mit der erhobenen Rechten einen Lorbeer¬
zweig. Auch diese Figuren sind mehr plastisch als malerisch gedacht, namentlich
die Gruppe der drei mittleren Figuren, die in ihrer statuarischen Ruhe trotz
ihrer modernen Gewandung deu Geist der Antike athmen. Aber aus dem
Bilde weht uns ein merkwürdig erkältender Hauch entgegen, welcher der Be¬
gleiter aller Schöpfungen Feuerbach's geblieben ist. Vor feinen Bildern will
sich niemals jener innere, seelische Rapport zwischen dem Herzen des Beschauers
und dem Kunstwerke herstellen, der sich vor jeder Offenbarung eines echten
Genies so leicht und mit so rapider Geschwindigkeit vollzieht. Es ist in erster
Linie stets der Verstand, welchen die Bilder Feuerbach's beschäftigen, und nicht
die Phantasie. Seine Gestalten sind in dem stolzen Fluß ihrer prachtvollen
Gewänder majestätisch und imponirend; aber es fehlt ihnen die Seele, das
innere Feuer, welches ihnen ihr Schöpfer nicht einzuhauchen vermochte, weil
er es selbst uicht besitzt.

Auch das Dautebild fand in Karlsruhe keinen Beifall, und der Gro߬
herzog, der das Bild bestellt hatte, nahm es vorläufig in seine Privatsammlung,
wo es so lange blieb, bis die Feuerbach feindliche Strömung eiuer anderen
gewichen war, und das Gemälde seinen Platz in der öffentlichen Galerie erhielt.
Indessen konnte sich Feuerbach über dieses Ungemach trösten, weil er in dem
Freiherrn v. Schack, dem feinsinnigen Förderer der Künste, einen Mäcen fand,
der fast ein Jahrzehnt lang alle Bilder, welche Feuerbach in Rom schuf, für
seine köstliche Galerie ankaufte. Die Sammlung des Barons v. Schack ist
unzweifelhaft die erlesenste und mit dem feinsten, vornehmsten Geschmack zu¬
sammengesetzte Privatgalerie, welche Deutschland besitzt. Gewisse moderne
Künstler wie Böcklin, Schwind, Feuerbach und Genelli können in der Totalität
ihres Schaffens nur in der Schack'schen Galerie voll und ganz gewürdigt werden.
Von Böcklin besitzt die Sammlung sechzehn der besten Bilder, von Feuerbach
zwölf, welche die mittlere Periode des Künstlers charakteristren.

Die "PietÄ". das erste Werk in dieser Reihe, 1863 vollendet, schließt sich
in Komposition und Stilbildung noch eng an das Dantebild an: derselbe düstre,
schwermüthige Ton, hier wie dort durch den Abend und die Stimmung bedingt,
dieselbe Gruppirung zu drei und zwei Figuren und dieselbe Anordnung der
"klassisch" drapirten Gewänder, die verhältnißmäßig große Flächen des Bildes


Rechten schreitet eine edle Fran, im Stile der Venetianeriuneu eines Veronese
oder Paris Bordone, und lauscht aufmerksam den Worten des Dichters, der
seine Rechte in sprechender Geberde erhebt. Eine andere Frau, deren voller
Oberkörper und Vieren Hinterhaupt in einen durchsichtigen Schleier gehüllt ist,
geht der Gruppe vorauf, den Kopf nach links gewandt und die Augen auf den
Sänger gerichtet, der sich zur Seite wendet, wo ihm zwei andere vornehme
Frauen folgen. Die eine reicht ihm mit der erhobenen Rechten einen Lorbeer¬
zweig. Auch diese Figuren sind mehr plastisch als malerisch gedacht, namentlich
die Gruppe der drei mittleren Figuren, die in ihrer statuarischen Ruhe trotz
ihrer modernen Gewandung deu Geist der Antike athmen. Aber aus dem
Bilde weht uns ein merkwürdig erkältender Hauch entgegen, welcher der Be¬
gleiter aller Schöpfungen Feuerbach's geblieben ist. Vor feinen Bildern will
sich niemals jener innere, seelische Rapport zwischen dem Herzen des Beschauers
und dem Kunstwerke herstellen, der sich vor jeder Offenbarung eines echten
Genies so leicht und mit so rapider Geschwindigkeit vollzieht. Es ist in erster
Linie stets der Verstand, welchen die Bilder Feuerbach's beschäftigen, und nicht
die Phantasie. Seine Gestalten sind in dem stolzen Fluß ihrer prachtvollen
Gewänder majestätisch und imponirend; aber es fehlt ihnen die Seele, das
innere Feuer, welches ihnen ihr Schöpfer nicht einzuhauchen vermochte, weil
er es selbst uicht besitzt.

Auch das Dautebild fand in Karlsruhe keinen Beifall, und der Gro߬
herzog, der das Bild bestellt hatte, nahm es vorläufig in seine Privatsammlung,
wo es so lange blieb, bis die Feuerbach feindliche Strömung eiuer anderen
gewichen war, und das Gemälde seinen Platz in der öffentlichen Galerie erhielt.
Indessen konnte sich Feuerbach über dieses Ungemach trösten, weil er in dem
Freiherrn v. Schack, dem feinsinnigen Förderer der Künste, einen Mäcen fand,
der fast ein Jahrzehnt lang alle Bilder, welche Feuerbach in Rom schuf, für
seine köstliche Galerie ankaufte. Die Sammlung des Barons v. Schack ist
unzweifelhaft die erlesenste und mit dem feinsten, vornehmsten Geschmack zu¬
sammengesetzte Privatgalerie, welche Deutschland besitzt. Gewisse moderne
Künstler wie Böcklin, Schwind, Feuerbach und Genelli können in der Totalität
ihres Schaffens nur in der Schack'schen Galerie voll und ganz gewürdigt werden.
Von Böcklin besitzt die Sammlung sechzehn der besten Bilder, von Feuerbach
zwölf, welche die mittlere Periode des Künstlers charakteristren.

Die „PietÄ". das erste Werk in dieser Reihe, 1863 vollendet, schließt sich
in Komposition und Stilbildung noch eng an das Dantebild an: derselbe düstre,
schwermüthige Ton, hier wie dort durch den Abend und die Stimmung bedingt,
dieselbe Gruppirung zu drei und zwei Figuren und dieselbe Anordnung der
„klassisch" drapirten Gewänder, die verhältnißmäßig große Flächen des Bildes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/43>, abgerufen am 24.11.2024.