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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Doch mit einigen Schlägen des Zauberstäbchens, wie ihr das Ding nennt,
habe ich in vierzehn Tagen alles umgestaltet: neue Fußböden, neue Läden,
ausgebesserte nud zum Theil neue Thüren, das Dach regendicht gemacht, der
Tanbenthnrm, das Zierlichste hier, wieder aufgebaut, endlich die zwei Wohn¬
zimmer mit eigner hoher Hand tapeziert, das alles ist in vierzehn Tagen
glücklich vollbracht worden. Die größte Freude habe ich zu sehen, wie niedlich
einfach unsere Wohnung wird."

In diesem trauten Heim verlebte Lili nieist die Jahre 1800--1814. Frei¬
lich fehlte es auch hier nicht an mancherlei Sorgen. In großer Bekümmerniß
war sie um ihren Sohn Wilhelm, der im napoleonischen Heere alle Feldzüge
mitmachte und mehreremal verwundet wurde. Manch' treuer Freund, der zum
Familienkreise gehört hatte, wurde in jener Zeit dnrch den Tod abgerufen.
Doch hatte sie auch die Freude, zwei ihrer Söhne und ihre Tochter glücklich
verheirathet, die beiden anderen Söhne wenigstens in ehrenvoller Laufbahn zu
sehen. Im Jahre 1816 fing sie zu kränkeln an, erholte sich auch nicht wieder.
Am 6. Mai 1817 starb sie 59 jährig in Krautergersheim, von den Ihrigen
umgeben, in den Armen des Gatten, der bis ins Alter sie mit größter Zärt¬
lichkeit geliebt hatte. Ihren Tod meldete Türckheim dem Schwager Schönemann
mit folgenden Worten: "Die Schwester schläft, Schlaf und Tod sind Brüder.
Der ewige Vater, der diesen schönen Geist in einer Stunde der Gnade mir
zugesellte, und so viel Segen durch Sie auf mich fallen ließ, hat die holde'
Lili abgerufen . . . Das Band, das mich seit bald vierzig Jahren so innigst
mit ihr vereinte, ist nicht getrennt, und ich wandle jetzt einsam hier mitten
unter den Schöpfungen ihrer ländlichen Freuden, mit dem Bewußtsein, daß bis
in der letzten Stunde ihre Hand noch segnend mich als Freund ihres Herzens
bezeichnete." In einem zweiten Briefe, in welchem er Tags darauf die Todes¬
nachricht nach andrer Seite sandte, schreibt er: "Mein Trost hienieden sind
die Kinder, die alle ohne Ausnahme der Mutter Pflege und Bildung einen
unverwelklichen Kranz flechten."

Im Juli 1831 folgte Türckheim im Alter vou 79 Jahren seiner Gattin
im Tode nach. Das Haus der Familie in Straßburg ist durch den Krieg
zerstört worden; die stille ländliche Wohnung Lili's, ihr niedlicher Park in
Krautergersheim kam nach dem Tode des einen Sohnes in fremde Hände und
wurde der Erde gleichgemacht. Nur die kleine Kapelle ist Familiengut geblieben;
dort ruht die sterbliche Hülle Lili's neben der ihres Gatten.

Goethe ist seit seinem Weggange nach Weimar nur zwei Mal mit Lili in
flüchtige Berührung gekommen. Auf seiner zweiten Reise nach der Schweiz,
die er im September 1779 mit dem Herzog von Weimar antrat, suchte er Lili
am 26. September in Straßburg auf; am Tage zuvor hatte er auch den Muth


Doch mit einigen Schlägen des Zauberstäbchens, wie ihr das Ding nennt,
habe ich in vierzehn Tagen alles umgestaltet: neue Fußböden, neue Läden,
ausgebesserte nud zum Theil neue Thüren, das Dach regendicht gemacht, der
Tanbenthnrm, das Zierlichste hier, wieder aufgebaut, endlich die zwei Wohn¬
zimmer mit eigner hoher Hand tapeziert, das alles ist in vierzehn Tagen
glücklich vollbracht worden. Die größte Freude habe ich zu sehen, wie niedlich
einfach unsere Wohnung wird."

In diesem trauten Heim verlebte Lili nieist die Jahre 1800—1814. Frei¬
lich fehlte es auch hier nicht an mancherlei Sorgen. In großer Bekümmerniß
war sie um ihren Sohn Wilhelm, der im napoleonischen Heere alle Feldzüge
mitmachte und mehreremal verwundet wurde. Manch' treuer Freund, der zum
Familienkreise gehört hatte, wurde in jener Zeit dnrch den Tod abgerufen.
Doch hatte sie auch die Freude, zwei ihrer Söhne und ihre Tochter glücklich
verheirathet, die beiden anderen Söhne wenigstens in ehrenvoller Laufbahn zu
sehen. Im Jahre 1816 fing sie zu kränkeln an, erholte sich auch nicht wieder.
Am 6. Mai 1817 starb sie 59 jährig in Krautergersheim, von den Ihrigen
umgeben, in den Armen des Gatten, der bis ins Alter sie mit größter Zärt¬
lichkeit geliebt hatte. Ihren Tod meldete Türckheim dem Schwager Schönemann
mit folgenden Worten: „Die Schwester schläft, Schlaf und Tod sind Brüder.
Der ewige Vater, der diesen schönen Geist in einer Stunde der Gnade mir
zugesellte, und so viel Segen durch Sie auf mich fallen ließ, hat die holde'
Lili abgerufen . . . Das Band, das mich seit bald vierzig Jahren so innigst
mit ihr vereinte, ist nicht getrennt, und ich wandle jetzt einsam hier mitten
unter den Schöpfungen ihrer ländlichen Freuden, mit dem Bewußtsein, daß bis
in der letzten Stunde ihre Hand noch segnend mich als Freund ihres Herzens
bezeichnete." In einem zweiten Briefe, in welchem er Tags darauf die Todes¬
nachricht nach andrer Seite sandte, schreibt er: „Mein Trost hienieden sind
die Kinder, die alle ohne Ausnahme der Mutter Pflege und Bildung einen
unverwelklichen Kranz flechten."

Im Juli 1831 folgte Türckheim im Alter vou 79 Jahren seiner Gattin
im Tode nach. Das Haus der Familie in Straßburg ist durch den Krieg
zerstört worden; die stille ländliche Wohnung Lili's, ihr niedlicher Park in
Krautergersheim kam nach dem Tode des einen Sohnes in fremde Hände und
wurde der Erde gleichgemacht. Nur die kleine Kapelle ist Familiengut geblieben;
dort ruht die sterbliche Hülle Lili's neben der ihres Gatten.

Goethe ist seit seinem Weggange nach Weimar nur zwei Mal mit Lili in
flüchtige Berührung gekommen. Auf seiner zweiten Reise nach der Schweiz,
die er im September 1779 mit dem Herzog von Weimar antrat, suchte er Lili
am 26. September in Straßburg auf; am Tage zuvor hatte er auch den Muth


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/410>, abgerufen am 28.07.2024.