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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Ebenso, wie schon früher vermuthet, die Strophen "An ein goldnes Herz, das
er am Halse trug". Anfang Februar 1776 war "Stella" im Druck vollendet,
die dichterische Hauptfrncht der schmerzlich-süßen Zeit, da er von einer Ver¬
bindung mit Lili geträumt hatte. Wünschte er doch so, wie Stella liebt, von
Lili geliebt zu sein. Jetzt schickt er ihr die Dichtung mit der herrlichen Widmung:


Im holden Thal, auf schneebedeckten Höhen
War stets dein Bild mir nah.
Ich sah's um mich in lichten Wolken wehen,
Im Herzen war mir's da.
Empfinde hier, wie mit allmcicht'gen Triebe
Ein Herz das andre zieht,
Und daß vergebens Liebe
Vor Liebe flieht.

Dies war aber anch das letzte direkte Zeichen seiner Liebe, das er Lili
gab. Völlig gleichgiltig, beinahe verächtlich klingen die Zeilen, die er im
April über sie an Johanna Fahlmer schreibt. Die Freundin hatte ihm Mit¬
theilung gemacht über Vorgänge im Schönemann'schen Hause, von denen sie
glaubte, daß sie Goethe interessiren würden. Vielleicht handelte es sich um die
bevorstehende Verlobung Lili's mit einem Herrn Bernard in Straßbnrg, einem
Verwandten Onkel Bernard's in Offenbach, die möglicherweise in der Oster¬
messe 1776 eingefädelt worden war. Da antwortet ihr Goethe: "Von Lili
nichts mehr, sie ist abgethan, ich hasse das Volat lang im tiefsten Grunde. Der
Zug war noch der Schlußstein. Hol sie der Teufel. Das arme Geschöpfs
bedanr ich dass sie unter so einer Race gebohren ist."

"Abgethan" -- es klingt grausam, aber in der That war es Lili von
jetzt an für ihn; nirgends in seinen Briefen aus der nächstfolgenden Zeit wird
sie wieder erwähnt. Wem es gelang, ihm die Aufgegebene zu ersetzen, ist nicht
schwer zu sagen. "Eine herrliche Seele ist Fr. von Stein, an die ich so was
man sagen mögte geheftet und genistelt bin" -- so schreibt er schon am
14. Februar an die Fahlmer. Auch auf diese Ablösung und die damit ver¬
bundene Tröstung paßt , was Goethe in "Dichtung und Wahrheit" mit Bezug
auf die Zeit schreibt, da Lotte in seinem Herzen dnrch Maximiliane ersetzt
wurde: "Es ist eine sehr angenehme Empfindung, wenn sich eine neue Leiden¬
schaft in uns zu regen anfängt, ehe die alte noch ganz verklungen ist. So
sieht man bei untergehender Sonne gern auf der entgegengesetzten Seite den
Mond aufgehen und erfreut sich an dem Doppelglanz der beiden Himmels¬
lichter." Als er nach einigen Wochen die Nachricht von der definitiven Ver¬
lobung Lili's mit jenem Herrn Bernard erhielt, schrieb er am 9. Juli an die
neue Freundin: "Dnmpfsinnig les' ich -- daß Lili eine Braut ist!! Kehre


Ebenso, wie schon früher vermuthet, die Strophen „An ein goldnes Herz, das
er am Halse trug". Anfang Februar 1776 war „Stella" im Druck vollendet,
die dichterische Hauptfrncht der schmerzlich-süßen Zeit, da er von einer Ver¬
bindung mit Lili geträumt hatte. Wünschte er doch so, wie Stella liebt, von
Lili geliebt zu sein. Jetzt schickt er ihr die Dichtung mit der herrlichen Widmung:


Im holden Thal, auf schneebedeckten Höhen
War stets dein Bild mir nah.
Ich sah's um mich in lichten Wolken wehen,
Im Herzen war mir's da.
Empfinde hier, wie mit allmcicht'gen Triebe
Ein Herz das andre zieht,
Und daß vergebens Liebe
Vor Liebe flieht.

Dies war aber anch das letzte direkte Zeichen seiner Liebe, das er Lili
gab. Völlig gleichgiltig, beinahe verächtlich klingen die Zeilen, die er im
April über sie an Johanna Fahlmer schreibt. Die Freundin hatte ihm Mit¬
theilung gemacht über Vorgänge im Schönemann'schen Hause, von denen sie
glaubte, daß sie Goethe interessiren würden. Vielleicht handelte es sich um die
bevorstehende Verlobung Lili's mit einem Herrn Bernard in Straßbnrg, einem
Verwandten Onkel Bernard's in Offenbach, die möglicherweise in der Oster¬
messe 1776 eingefädelt worden war. Da antwortet ihr Goethe: „Von Lili
nichts mehr, sie ist abgethan, ich hasse das Volat lang im tiefsten Grunde. Der
Zug war noch der Schlußstein. Hol sie der Teufel. Das arme Geschöpfs
bedanr ich dass sie unter so einer Race gebohren ist."

„Abgethan" — es klingt grausam, aber in der That war es Lili von
jetzt an für ihn; nirgends in seinen Briefen aus der nächstfolgenden Zeit wird
sie wieder erwähnt. Wem es gelang, ihm die Aufgegebene zu ersetzen, ist nicht
schwer zu sagen. „Eine herrliche Seele ist Fr. von Stein, an die ich so was
man sagen mögte geheftet und genistelt bin" — so schreibt er schon am
14. Februar an die Fahlmer. Auch auf diese Ablösung und die damit ver¬
bundene Tröstung paßt , was Goethe in „Dichtung und Wahrheit" mit Bezug
auf die Zeit schreibt, da Lotte in seinem Herzen dnrch Maximiliane ersetzt
wurde: „Es ist eine sehr angenehme Empfindung, wenn sich eine neue Leiden¬
schaft in uns zu regen anfängt, ehe die alte noch ganz verklungen ist. So
sieht man bei untergehender Sonne gern auf der entgegengesetzten Seite den
Mond aufgehen und erfreut sich an dem Doppelglanz der beiden Himmels¬
lichter." Als er nach einigen Wochen die Nachricht von der definitiven Ver¬
lobung Lili's mit jenem Herrn Bernard erhielt, schrieb er am 9. Juli an die
neue Freundin: „Dnmpfsinnig les' ich — daß Lili eine Braut ist!! Kehre


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[0403] Ebenso, wie schon früher vermuthet, die Strophen „An ein goldnes Herz, das er am Halse trug". Anfang Februar 1776 war „Stella" im Druck vollendet, die dichterische Hauptfrncht der schmerzlich-süßen Zeit, da er von einer Ver¬ bindung mit Lili geträumt hatte. Wünschte er doch so, wie Stella liebt, von Lili geliebt zu sein. Jetzt schickt er ihr die Dichtung mit der herrlichen Widmung: Im holden Thal, auf schneebedeckten Höhen War stets dein Bild mir nah. Ich sah's um mich in lichten Wolken wehen, Im Herzen war mir's da. Empfinde hier, wie mit allmcicht'gen Triebe Ein Herz das andre zieht, Und daß vergebens Liebe Vor Liebe flieht. Dies war aber anch das letzte direkte Zeichen seiner Liebe, das er Lili gab. Völlig gleichgiltig, beinahe verächtlich klingen die Zeilen, die er im April über sie an Johanna Fahlmer schreibt. Die Freundin hatte ihm Mit¬ theilung gemacht über Vorgänge im Schönemann'schen Hause, von denen sie glaubte, daß sie Goethe interessiren würden. Vielleicht handelte es sich um die bevorstehende Verlobung Lili's mit einem Herrn Bernard in Straßbnrg, einem Verwandten Onkel Bernard's in Offenbach, die möglicherweise in der Oster¬ messe 1776 eingefädelt worden war. Da antwortet ihr Goethe: „Von Lili nichts mehr, sie ist abgethan, ich hasse das Volat lang im tiefsten Grunde. Der Zug war noch der Schlußstein. Hol sie der Teufel. Das arme Geschöpfs bedanr ich dass sie unter so einer Race gebohren ist." „Abgethan" — es klingt grausam, aber in der That war es Lili von jetzt an für ihn; nirgends in seinen Briefen aus der nächstfolgenden Zeit wird sie wieder erwähnt. Wem es gelang, ihm die Aufgegebene zu ersetzen, ist nicht schwer zu sagen. „Eine herrliche Seele ist Fr. von Stein, an die ich so was man sagen mögte geheftet und genistelt bin" — so schreibt er schon am 14. Februar an die Fahlmer. Auch auf diese Ablösung und die damit ver¬ bundene Tröstung paßt , was Goethe in „Dichtung und Wahrheit" mit Bezug auf die Zeit schreibt, da Lotte in seinem Herzen dnrch Maximiliane ersetzt wurde: „Es ist eine sehr angenehme Empfindung, wenn sich eine neue Leiden¬ schaft in uns zu regen anfängt, ehe die alte noch ganz verklungen ist. So sieht man bei untergehender Sonne gern auf der entgegengesetzten Seite den Mond aufgehen und erfreut sich an dem Doppelglanz der beiden Himmels¬ lichter." Als er nach einigen Wochen die Nachricht von der definitiven Ver¬ lobung Lili's mit jenem Herrn Bernard erhielt, schrieb er am 9. Juli an die neue Freundin: „Dnmpfsinnig les' ich — daß Lili eine Braut ist!! Kehre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/403>, abgerufen am 28.07.2024.