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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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dahin je in seinem Leben gehabt hatte. Am 7. November früh traf er in
Weimar ein.

So hatte er sich denn zum zweiten Male von der Geliebten losgerissen,
und diesmal für immer: der Vogel hatte den Faden gebrochen. Aber wie
lange hat er den Faden noch nachgeschleppt! So wenig die Schweizerreise
mit all' ihren Eindrücken im Stande gewesen war, Lili's Bild aus seinem
Herzen zu verdrängen, so wenig vermochte es, für den Anfang wenigstens, die
Uebersiedelung an den Weimarer Hof. Wenn irgend etwas die Wahrheit seiner
Aeußerung gegen Eckermann bestätigt, daß er Lili tief und wahrhaft geliebt
habe, wie keine vor und nach ihr, so ist es die Thatsache, daß selbst von dem
tollen Strudel der ersten Weimarer Monate das Bild Lili's nicht verschlungen
werden konnte, sondern fort und fort an die Oberfläche emportauchte. Erst
im Frühjahr darauf erscheint es versunken und vergessen.

Zwei Tage vor Weihnachten 1775 ritt er spät am Abend mit Einsiedel,
Kalb, Bertuch und andern von Jena nach Waldeck im Amte Bürgeln, "wilde
Gegenden und einfache Menschen zu sehen". Da sendet er von Waldeck ans
an den Herzog, der nach Goebel zu Besuch gegangen war, einen Reisebericht
und schreibt am Schlüsse: "Gute, herzliche Nacht! Noch ein Wort, ehe ich
schlafen gehe. Wie ich so in der Nacht gegen das Fichtengebirge ritt, kam das
Gefühl der Vergangenheit, meines Schicksals und meiner Liebe über mich, und
sang so bei mir selber:


Holde Lili, warst so lang
All mein Lust und all mein Sang,
Bist ach nun all mein Schmerz, und doch
All mein Sang bist du noch.

Nun aber und abermal gute Nacht.


Gehab dich wohl bei den hundert Lichtern,
Die dich um glänzen,
Und all den Gesichtern,
Die dich umschwänzen
Und umkredenzen.
Findst doch nur wahre Freud und Ruh
Bei Seelen, grad und treu wie du.

Sicherlich aus den ersten Weimarer Wochen stammt das zuerst im Januarheft
1776 von Wieland's "Merkur" gedruckte Abendlied des Jägers: "Im Felde
Schleich' ich still und wild" mit der sanft verklingenden Schlußstrophe:


Mir ist es, denk ich nur an dich,
Als sah' den Mond ich an;
Ein süßer Friede kommt auf mich,
Weiß nicht, wie mir gethan.

dahin je in seinem Leben gehabt hatte. Am 7. November früh traf er in
Weimar ein.

So hatte er sich denn zum zweiten Male von der Geliebten losgerissen,
und diesmal für immer: der Vogel hatte den Faden gebrochen. Aber wie
lange hat er den Faden noch nachgeschleppt! So wenig die Schweizerreise
mit all' ihren Eindrücken im Stande gewesen war, Lili's Bild aus seinem
Herzen zu verdrängen, so wenig vermochte es, für den Anfang wenigstens, die
Uebersiedelung an den Weimarer Hof. Wenn irgend etwas die Wahrheit seiner
Aeußerung gegen Eckermann bestätigt, daß er Lili tief und wahrhaft geliebt
habe, wie keine vor und nach ihr, so ist es die Thatsache, daß selbst von dem
tollen Strudel der ersten Weimarer Monate das Bild Lili's nicht verschlungen
werden konnte, sondern fort und fort an die Oberfläche emportauchte. Erst
im Frühjahr darauf erscheint es versunken und vergessen.

Zwei Tage vor Weihnachten 1775 ritt er spät am Abend mit Einsiedel,
Kalb, Bertuch und andern von Jena nach Waldeck im Amte Bürgeln, „wilde
Gegenden und einfache Menschen zu sehen". Da sendet er von Waldeck ans
an den Herzog, der nach Goebel zu Besuch gegangen war, einen Reisebericht
und schreibt am Schlüsse: „Gute, herzliche Nacht! Noch ein Wort, ehe ich
schlafen gehe. Wie ich so in der Nacht gegen das Fichtengebirge ritt, kam das
Gefühl der Vergangenheit, meines Schicksals und meiner Liebe über mich, und
sang so bei mir selber:


Holde Lili, warst so lang
All mein Lust und all mein Sang,
Bist ach nun all mein Schmerz, und doch
All mein Sang bist du noch.

Nun aber und abermal gute Nacht.


Gehab dich wohl bei den hundert Lichtern,
Die dich um glänzen,
Und all den Gesichtern,
Die dich umschwänzen
Und umkredenzen.
Findst doch nur wahre Freud und Ruh
Bei Seelen, grad und treu wie du.

Sicherlich aus den ersten Weimarer Wochen stammt das zuerst im Januarheft
1776 von Wieland's „Merkur" gedruckte Abendlied des Jägers: „Im Felde
Schleich' ich still und wild" mit der sanft verklingenden Schlußstrophe:


Mir ist es, denk ich nur an dich,
Als sah' den Mond ich an;
Ein süßer Friede kommt auf mich,
Weiß nicht, wie mir gethan.

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[0402] dahin je in seinem Leben gehabt hatte. Am 7. November früh traf er in Weimar ein. So hatte er sich denn zum zweiten Male von der Geliebten losgerissen, und diesmal für immer: der Vogel hatte den Faden gebrochen. Aber wie lange hat er den Faden noch nachgeschleppt! So wenig die Schweizerreise mit all' ihren Eindrücken im Stande gewesen war, Lili's Bild aus seinem Herzen zu verdrängen, so wenig vermochte es, für den Anfang wenigstens, die Uebersiedelung an den Weimarer Hof. Wenn irgend etwas die Wahrheit seiner Aeußerung gegen Eckermann bestätigt, daß er Lili tief und wahrhaft geliebt habe, wie keine vor und nach ihr, so ist es die Thatsache, daß selbst von dem tollen Strudel der ersten Weimarer Monate das Bild Lili's nicht verschlungen werden konnte, sondern fort und fort an die Oberfläche emportauchte. Erst im Frühjahr darauf erscheint es versunken und vergessen. Zwei Tage vor Weihnachten 1775 ritt er spät am Abend mit Einsiedel, Kalb, Bertuch und andern von Jena nach Waldeck im Amte Bürgeln, „wilde Gegenden und einfache Menschen zu sehen". Da sendet er von Waldeck ans an den Herzog, der nach Goebel zu Besuch gegangen war, einen Reisebericht und schreibt am Schlüsse: „Gute, herzliche Nacht! Noch ein Wort, ehe ich schlafen gehe. Wie ich so in der Nacht gegen das Fichtengebirge ritt, kam das Gefühl der Vergangenheit, meines Schicksals und meiner Liebe über mich, und sang so bei mir selber: Holde Lili, warst so lang All mein Lust und all mein Sang, Bist ach nun all mein Schmerz, und doch All mein Sang bist du noch. Nun aber und abermal gute Nacht. Gehab dich wohl bei den hundert Lichtern, Die dich um glänzen, Und all den Gesichtern, Die dich umschwänzen Und umkredenzen. Findst doch nur wahre Freud und Ruh Bei Seelen, grad und treu wie du. Sicherlich aus den ersten Weimarer Wochen stammt das zuerst im Januarheft 1776 von Wieland's „Merkur" gedruckte Abendlied des Jägers: „Im Felde Schleich' ich still und wild" mit der sanft verklingenden Schlußstrophe: Mir ist es, denk ich nur an dich, Als sah' den Mond ich an; Ein süßer Friede kommt auf mich, Weiß nicht, wie mir gethan.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/402>, abgerufen am 28.07.2024.