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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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"bei der Menge des Swffes können wir nicht anders, sonst ist er nicht zu
bewältigen."

Es soll nicht gesagt werden, daß alle oder die meisten Lehrer so verfahren,
aber doch sehr viele. Und wahr ist es, daß die Menge des Stoffes die Methode
fast todtdrückt. Gut befähigte Lehrer wissen sich mit beiden Forderungen leid¬
lich abzufinden, aber man kann nicht verlangen, daß jeder ein Talent sei. Die
Neigung, mindestens die Gefahr, die Sache, weil sie schnell abgemacht werden
muß, oberflächlich, interesselos und mechanisch abzumachen, ist überall vor¬
handen und eine Folge der gegenwärtigen, auf Grund der "Allgemeinen Be¬
stimmungen" ausgearbeiteten Lehrpläne. Daß gerade jetzt das rein mechanische
Einlernen von Geschichtszahlen, Regentenreihen, Länder- und Städtenamen,
Einwohnerzahlen, Namen und Merkmalen von Pflanzen und zwar unter
Berufung auf dieselben Bestimmungen, die es verbieten, an der
Tagesordnung ist, weiß jeder Schulmann.

Nicht minder übel ist die Neigung vieler Lehrer, eine einfache Sache
"wissenschaftlich" aufzubauschen und dadurch ungenießbar zu machen. Das
Fremdwort, von jeher hochbeliebt in der Lehrerschaft der Volksschule, spielt
hierbei eine große Rolle. Man kann Mädchen der Mittelstufe Pflanzenphysiologie
vortragen hören, sich über den Begriff des Lebens, über mikroskopische Erschei¬
nungen, Zellen, Spiral- und Riuggefäße, Gruppirung und Zirkulation verbreiten
hören und die ganze Maschinerie durch die einfachste das Verständniß prü¬
fende Frage zum Stillstand bringen. In der deutschen Grammatik herrschen
logisches und grammatisches Subjekt, Konkreta's und Abstrakta's (sie!), Jmper-
fektum und Plusquamperfektum, in welchen Zeiten "die Thätigkeit in der Ent¬
wickelung begriffen ist", Prädikatives und Komparatives. Bauerjungen lernen
nicht allein das Linne'sche System kennen, sondern beweisen anch den Pytha-
goreer n. s. w. In solchen Dingen suchen viele die Hebung der Volksschule
und preisen das System Falk, welches sich ausdrücklich dagegen
ausspricht.

Daß die Erfolge solcher Lehrweise leine günstigen sein können, liegt auf
der Hand. Man quält deu Schüler mit ewigem Auswendiglernen, und das
Gelernte reicht gerade bis zum Osterexamen. Es ist lehrreich, etwa in einer
dritten Klasse nach dem Pensum der vierten zu fragen. Man findet meist so
gut wie nichts, und der Lehrer entschuldigt sich, er könne bei der Last des
neuen Pensums das alte nicht auch noch bewältigen. Das Resultat so vieler
Schuljahre, so vielen Aengstigens und Qnälens ist ungeiMin dürftig; davon
können die Fortbildungsschulen und die Lehrer, welche die konfirmirten Schüler
in die Hände bekommen, Bemerkenswerthes berichten.

Wir heben nochmals hervor, daß die eben geschilderten Mißstände keines-


„bei der Menge des Swffes können wir nicht anders, sonst ist er nicht zu
bewältigen."

Es soll nicht gesagt werden, daß alle oder die meisten Lehrer so verfahren,
aber doch sehr viele. Und wahr ist es, daß die Menge des Stoffes die Methode
fast todtdrückt. Gut befähigte Lehrer wissen sich mit beiden Forderungen leid¬
lich abzufinden, aber man kann nicht verlangen, daß jeder ein Talent sei. Die
Neigung, mindestens die Gefahr, die Sache, weil sie schnell abgemacht werden
muß, oberflächlich, interesselos und mechanisch abzumachen, ist überall vor¬
handen und eine Folge der gegenwärtigen, auf Grund der „Allgemeinen Be¬
stimmungen" ausgearbeiteten Lehrpläne. Daß gerade jetzt das rein mechanische
Einlernen von Geschichtszahlen, Regentenreihen, Länder- und Städtenamen,
Einwohnerzahlen, Namen und Merkmalen von Pflanzen und zwar unter
Berufung auf dieselben Bestimmungen, die es verbieten, an der
Tagesordnung ist, weiß jeder Schulmann.

Nicht minder übel ist die Neigung vieler Lehrer, eine einfache Sache
„wissenschaftlich" aufzubauschen und dadurch ungenießbar zu machen. Das
Fremdwort, von jeher hochbeliebt in der Lehrerschaft der Volksschule, spielt
hierbei eine große Rolle. Man kann Mädchen der Mittelstufe Pflanzenphysiologie
vortragen hören, sich über den Begriff des Lebens, über mikroskopische Erschei¬
nungen, Zellen, Spiral- und Riuggefäße, Gruppirung und Zirkulation verbreiten
hören und die ganze Maschinerie durch die einfachste das Verständniß prü¬
fende Frage zum Stillstand bringen. In der deutschen Grammatik herrschen
logisches und grammatisches Subjekt, Konkreta's und Abstrakta's (sie!), Jmper-
fektum und Plusquamperfektum, in welchen Zeiten „die Thätigkeit in der Ent¬
wickelung begriffen ist", Prädikatives und Komparatives. Bauerjungen lernen
nicht allein das Linne'sche System kennen, sondern beweisen anch den Pytha-
goreer n. s. w. In solchen Dingen suchen viele die Hebung der Volksschule
und preisen das System Falk, welches sich ausdrücklich dagegen
ausspricht.

Daß die Erfolge solcher Lehrweise leine günstigen sein können, liegt auf
der Hand. Man quält deu Schüler mit ewigem Auswendiglernen, und das
Gelernte reicht gerade bis zum Osterexamen. Es ist lehrreich, etwa in einer
dritten Klasse nach dem Pensum der vierten zu fragen. Man findet meist so
gut wie nichts, und der Lehrer entschuldigt sich, er könne bei der Last des
neuen Pensums das alte nicht auch noch bewältigen. Das Resultat so vieler
Schuljahre, so vielen Aengstigens und Qnälens ist ungeiMin dürftig; davon
können die Fortbildungsschulen und die Lehrer, welche die konfirmirten Schüler
in die Hände bekommen, Bemerkenswerthes berichten.

Wir heben nochmals hervor, daß die eben geschilderten Mißstände keines-


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[0395] „bei der Menge des Swffes können wir nicht anders, sonst ist er nicht zu bewältigen." Es soll nicht gesagt werden, daß alle oder die meisten Lehrer so verfahren, aber doch sehr viele. Und wahr ist es, daß die Menge des Stoffes die Methode fast todtdrückt. Gut befähigte Lehrer wissen sich mit beiden Forderungen leid¬ lich abzufinden, aber man kann nicht verlangen, daß jeder ein Talent sei. Die Neigung, mindestens die Gefahr, die Sache, weil sie schnell abgemacht werden muß, oberflächlich, interesselos und mechanisch abzumachen, ist überall vor¬ handen und eine Folge der gegenwärtigen, auf Grund der „Allgemeinen Be¬ stimmungen" ausgearbeiteten Lehrpläne. Daß gerade jetzt das rein mechanische Einlernen von Geschichtszahlen, Regentenreihen, Länder- und Städtenamen, Einwohnerzahlen, Namen und Merkmalen von Pflanzen und zwar unter Berufung auf dieselben Bestimmungen, die es verbieten, an der Tagesordnung ist, weiß jeder Schulmann. Nicht minder übel ist die Neigung vieler Lehrer, eine einfache Sache „wissenschaftlich" aufzubauschen und dadurch ungenießbar zu machen. Das Fremdwort, von jeher hochbeliebt in der Lehrerschaft der Volksschule, spielt hierbei eine große Rolle. Man kann Mädchen der Mittelstufe Pflanzenphysiologie vortragen hören, sich über den Begriff des Lebens, über mikroskopische Erschei¬ nungen, Zellen, Spiral- und Riuggefäße, Gruppirung und Zirkulation verbreiten hören und die ganze Maschinerie durch die einfachste das Verständniß prü¬ fende Frage zum Stillstand bringen. In der deutschen Grammatik herrschen logisches und grammatisches Subjekt, Konkreta's und Abstrakta's (sie!), Jmper- fektum und Plusquamperfektum, in welchen Zeiten „die Thätigkeit in der Ent¬ wickelung begriffen ist", Prädikatives und Komparatives. Bauerjungen lernen nicht allein das Linne'sche System kennen, sondern beweisen anch den Pytha- goreer n. s. w. In solchen Dingen suchen viele die Hebung der Volksschule und preisen das System Falk, welches sich ausdrücklich dagegen ausspricht. Daß die Erfolge solcher Lehrweise leine günstigen sein können, liegt auf der Hand. Man quält deu Schüler mit ewigem Auswendiglernen, und das Gelernte reicht gerade bis zum Osterexamen. Es ist lehrreich, etwa in einer dritten Klasse nach dem Pensum der vierten zu fragen. Man findet meist so gut wie nichts, und der Lehrer entschuldigt sich, er könne bei der Last des neuen Pensums das alte nicht auch noch bewältigen. Das Resultat so vieler Schuljahre, so vielen Aengstigens und Qnälens ist ungeiMin dürftig; davon können die Fortbildungsschulen und die Lehrer, welche die konfirmirten Schüler in die Hände bekommen, Bemerkenswerthes berichten. Wir heben nochmals hervor, daß die eben geschilderten Mißstände keines-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/395>, abgerufen am 27.07.2024.