Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Buchs auch erscheinen muß, flößt uns doch seine sprachliche Haltung, seine
Darstellungsform und Anordnung manche Bedenken ein, die wir nicht unter¬
drücken dürfen. Der Autor gehört offenbar zu jenen hochzuschätzenden, für die
Verwerthung aller Elemente nationaler Bildung unentbehrlichen Männern,
welche, außerhalb berufsmäßiger Facharbeit und zunftmnßiger Abgrenzung,
alle wesentlichen Strahlen der Geistesprodnktion der Zeit in sich aufsaugen,
wie in einem Sammelspiegel vereinigen, kraft ihrer eignen Individualität zu
besonderer Gestalt verschmelzen und in dieser Gestalt reproduktiv zurückwerfen.
Den Gefahren einer solchen freien und doch einem bestimmten Fache gewidmeten
Schriftstellern, für das populäre Bedürfniß bei weitem nicht leicht und durch¬
sichtig, für das Bedürfniß der Wissenschaft nicht begründend und systematisch
genug zu sein, ist auch diese letzte Schrift Schellwien's schwerlich ganz entronnen.

Ohne Zweifel am wirksamsten werden diejenigen Partieen des Buchs sein,
welche das Prinzip des Willens oder der "Freiheit" in die Mehrheit seiner
Aeußerungen und Anwendungen verfolgen, namentlich diejenigen, welche, am
Schlusse des Ganzen, die Freiheit als ethisches und zugleich rechtsphilosophisches
Prinzip , die Freiheit als aesthetisches Prinzip, die Freiheit als Prinzip der
Glückseligkeit, endlich die Freiheit als religiöses Prinzip zur Besprechung bringen.
Die fruchtbarsten Anregungen für Leben und Denken, auch für Beantwortung
mancher die Gegenwart aufregender Zweifelsfragen und Beurtheilung von
Zeitströmungen, wird diesen Abschnitten auch derjenige entnehmen, der vielleicht
noch mehr als wir selbst Veranlassung zu kritischen Einwendungen im
Einzelnen finden würde. Wir unsrerseits möchten in dieser Richtung nur das
Eine bemerken, daß das außerordentlich schwere Problem, welches die gestimmte
hier vorgetragene Weltanschauung als ihr besonderes Hauskreuz mit sich zu
schleppen hat, nämlich das Problem der Unterscheidung und Abgrenzung des
göttlichen UrWillens oder der Ursubstanz von den einzelnen, geschaffenen, ab¬
hängigen Wesen der Welt, das Problem des Verhältnisses der "Freiheit" dieser
Wesen, z. B. der menschlichen Individuen, zu der Freiheit des UrWillens und
zu den Nöthigungen und Einschränkungen, welche ihnen durch die Macht und
den Jdealgehalt des Absoluten auferlegt sind -- daß dieses Problem auch hier
uoch nicht widerspruchslos gelöst sein dürfte. Den Schwierigkeiten dieses
Problems möchten wir namentlich die Schuld davon aufbürden, daß der Autor
in der Beurtheilung politischer Verhältnisse, Mächte und Persönlichkeiten bis¬
weilen im Interesse der "Freiheit" auf bedenkliche Abwege geräth, und vor
allem die "Realpolitik" ihm ein ärgerlicher Dorn im Auge' zu sein scheint.
Um so interessanter ist es, daß wir in dem zweiten Theile des vorliegenden
Werkes eine ausgeführte Rechtsphilosophie zu erwarten haben.


R. S.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig,
Verlag von F. L. Hering in Leipzig, -- Druck von Hiithel K, Herrmann in Leipzig,

Buchs auch erscheinen muß, flößt uns doch seine sprachliche Haltung, seine
Darstellungsform und Anordnung manche Bedenken ein, die wir nicht unter¬
drücken dürfen. Der Autor gehört offenbar zu jenen hochzuschätzenden, für die
Verwerthung aller Elemente nationaler Bildung unentbehrlichen Männern,
welche, außerhalb berufsmäßiger Facharbeit und zunftmnßiger Abgrenzung,
alle wesentlichen Strahlen der Geistesprodnktion der Zeit in sich aufsaugen,
wie in einem Sammelspiegel vereinigen, kraft ihrer eignen Individualität zu
besonderer Gestalt verschmelzen und in dieser Gestalt reproduktiv zurückwerfen.
Den Gefahren einer solchen freien und doch einem bestimmten Fache gewidmeten
Schriftstellern, für das populäre Bedürfniß bei weitem nicht leicht und durch¬
sichtig, für das Bedürfniß der Wissenschaft nicht begründend und systematisch
genug zu sein, ist auch diese letzte Schrift Schellwien's schwerlich ganz entronnen.

Ohne Zweifel am wirksamsten werden diejenigen Partieen des Buchs sein,
welche das Prinzip des Willens oder der „Freiheit" in die Mehrheit seiner
Aeußerungen und Anwendungen verfolgen, namentlich diejenigen, welche, am
Schlusse des Ganzen, die Freiheit als ethisches und zugleich rechtsphilosophisches
Prinzip , die Freiheit als aesthetisches Prinzip, die Freiheit als Prinzip der
Glückseligkeit, endlich die Freiheit als religiöses Prinzip zur Besprechung bringen.
Die fruchtbarsten Anregungen für Leben und Denken, auch für Beantwortung
mancher die Gegenwart aufregender Zweifelsfragen und Beurtheilung von
Zeitströmungen, wird diesen Abschnitten auch derjenige entnehmen, der vielleicht
noch mehr als wir selbst Veranlassung zu kritischen Einwendungen im
Einzelnen finden würde. Wir unsrerseits möchten in dieser Richtung nur das
Eine bemerken, daß das außerordentlich schwere Problem, welches die gestimmte
hier vorgetragene Weltanschauung als ihr besonderes Hauskreuz mit sich zu
schleppen hat, nämlich das Problem der Unterscheidung und Abgrenzung des
göttlichen UrWillens oder der Ursubstanz von den einzelnen, geschaffenen, ab¬
hängigen Wesen der Welt, das Problem des Verhältnisses der „Freiheit" dieser
Wesen, z. B. der menschlichen Individuen, zu der Freiheit des UrWillens und
zu den Nöthigungen und Einschränkungen, welche ihnen durch die Macht und
den Jdealgehalt des Absoluten auferlegt sind — daß dieses Problem auch hier
uoch nicht widerspruchslos gelöst sein dürfte. Den Schwierigkeiten dieses
Problems möchten wir namentlich die Schuld davon aufbürden, daß der Autor
in der Beurtheilung politischer Verhältnisse, Mächte und Persönlichkeiten bis¬
weilen im Interesse der „Freiheit" auf bedenkliche Abwege geräth, und vor
allem die „Realpolitik" ihm ein ärgerlicher Dorn im Auge' zu sein scheint.
Um so interessanter ist es, daß wir in dem zweiten Theile des vorliegenden
Werkes eine ausgeführte Rechtsphilosophie zu erwarten haben.


R. S.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig,
Verlag von F. L. Hering in Leipzig, — Druck von Hiithel K, Herrmann in Leipzig,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142887"/>
          <p xml:id="ID_1137" prev="#ID_1136"> Buchs auch erscheinen muß, flößt uns doch seine sprachliche Haltung, seine<lb/>
Darstellungsform und Anordnung manche Bedenken ein, die wir nicht unter¬<lb/>
drücken dürfen. Der Autor gehört offenbar zu jenen hochzuschätzenden, für die<lb/>
Verwerthung aller Elemente nationaler Bildung unentbehrlichen Männern,<lb/>
welche, außerhalb berufsmäßiger Facharbeit und zunftmnßiger Abgrenzung,<lb/>
alle wesentlichen Strahlen der Geistesprodnktion der Zeit in sich aufsaugen,<lb/>
wie in einem Sammelspiegel vereinigen, kraft ihrer eignen Individualität zu<lb/>
besonderer Gestalt verschmelzen und in dieser Gestalt reproduktiv zurückwerfen.<lb/>
Den Gefahren einer solchen freien und doch einem bestimmten Fache gewidmeten<lb/>
Schriftstellern, für das populäre Bedürfniß bei weitem nicht leicht und durch¬<lb/>
sichtig, für das Bedürfniß der Wissenschaft nicht begründend und systematisch<lb/>
genug zu sein, ist auch diese letzte Schrift Schellwien's schwerlich ganz entronnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1138"> Ohne Zweifel am wirksamsten werden diejenigen Partieen des Buchs sein,<lb/>
welche das Prinzip des Willens oder der &#x201E;Freiheit" in die Mehrheit seiner<lb/>
Aeußerungen und Anwendungen verfolgen, namentlich diejenigen, welche, am<lb/>
Schlusse des Ganzen, die Freiheit als ethisches und zugleich rechtsphilosophisches<lb/>
Prinzip , die Freiheit als aesthetisches Prinzip, die Freiheit als Prinzip der<lb/>
Glückseligkeit, endlich die Freiheit als religiöses Prinzip zur Besprechung bringen.<lb/>
Die fruchtbarsten Anregungen für Leben und Denken, auch für Beantwortung<lb/>
mancher die Gegenwart aufregender Zweifelsfragen und Beurtheilung von<lb/>
Zeitströmungen, wird diesen Abschnitten auch derjenige entnehmen, der vielleicht<lb/>
noch mehr als wir selbst Veranlassung zu kritischen Einwendungen im<lb/>
Einzelnen finden würde. Wir unsrerseits möchten in dieser Richtung nur das<lb/>
Eine bemerken, daß das außerordentlich schwere Problem, welches die gestimmte<lb/>
hier vorgetragene Weltanschauung als ihr besonderes Hauskreuz mit sich zu<lb/>
schleppen hat, nämlich das Problem der Unterscheidung und Abgrenzung des<lb/>
göttlichen UrWillens oder der Ursubstanz von den einzelnen, geschaffenen, ab¬<lb/>
hängigen Wesen der Welt, das Problem des Verhältnisses der &#x201E;Freiheit" dieser<lb/>
Wesen, z. B. der menschlichen Individuen, zu der Freiheit des UrWillens und<lb/>
zu den Nöthigungen und Einschränkungen, welche ihnen durch die Macht und<lb/>
den Jdealgehalt des Absoluten auferlegt sind &#x2014; daß dieses Problem auch hier<lb/>
uoch nicht widerspruchslos gelöst sein dürfte. Den Schwierigkeiten dieses<lb/>
Problems möchten wir namentlich die Schuld davon aufbürden, daß der Autor<lb/>
in der Beurtheilung politischer Verhältnisse, Mächte und Persönlichkeiten bis¬<lb/>
weilen im Interesse der &#x201E;Freiheit" auf bedenkliche Abwege geräth, und vor<lb/>
allem die &#x201E;Realpolitik" ihm ein ärgerlicher Dorn im Auge' zu sein scheint.<lb/>
Um so interessanter ist es, daß wir in dem zweiten Theile des vorliegenden<lb/>
Werkes eine ausgeführte Rechtsphilosophie zu erwarten haben.</p><lb/>
          <note type="byline"> R. S.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig,<lb/>
Verlag von F. L. Hering in Leipzig, &#x2014; Druck von Hiithel K, Herrmann in Leipzig,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0390] Buchs auch erscheinen muß, flößt uns doch seine sprachliche Haltung, seine Darstellungsform und Anordnung manche Bedenken ein, die wir nicht unter¬ drücken dürfen. Der Autor gehört offenbar zu jenen hochzuschätzenden, für die Verwerthung aller Elemente nationaler Bildung unentbehrlichen Männern, welche, außerhalb berufsmäßiger Facharbeit und zunftmnßiger Abgrenzung, alle wesentlichen Strahlen der Geistesprodnktion der Zeit in sich aufsaugen, wie in einem Sammelspiegel vereinigen, kraft ihrer eignen Individualität zu besonderer Gestalt verschmelzen und in dieser Gestalt reproduktiv zurückwerfen. Den Gefahren einer solchen freien und doch einem bestimmten Fache gewidmeten Schriftstellern, für das populäre Bedürfniß bei weitem nicht leicht und durch¬ sichtig, für das Bedürfniß der Wissenschaft nicht begründend und systematisch genug zu sein, ist auch diese letzte Schrift Schellwien's schwerlich ganz entronnen. Ohne Zweifel am wirksamsten werden diejenigen Partieen des Buchs sein, welche das Prinzip des Willens oder der „Freiheit" in die Mehrheit seiner Aeußerungen und Anwendungen verfolgen, namentlich diejenigen, welche, am Schlusse des Ganzen, die Freiheit als ethisches und zugleich rechtsphilosophisches Prinzip , die Freiheit als aesthetisches Prinzip, die Freiheit als Prinzip der Glückseligkeit, endlich die Freiheit als religiöses Prinzip zur Besprechung bringen. Die fruchtbarsten Anregungen für Leben und Denken, auch für Beantwortung mancher die Gegenwart aufregender Zweifelsfragen und Beurtheilung von Zeitströmungen, wird diesen Abschnitten auch derjenige entnehmen, der vielleicht noch mehr als wir selbst Veranlassung zu kritischen Einwendungen im Einzelnen finden würde. Wir unsrerseits möchten in dieser Richtung nur das Eine bemerken, daß das außerordentlich schwere Problem, welches die gestimmte hier vorgetragene Weltanschauung als ihr besonderes Hauskreuz mit sich zu schleppen hat, nämlich das Problem der Unterscheidung und Abgrenzung des göttlichen UrWillens oder der Ursubstanz von den einzelnen, geschaffenen, ab¬ hängigen Wesen der Welt, das Problem des Verhältnisses der „Freiheit" dieser Wesen, z. B. der menschlichen Individuen, zu der Freiheit des UrWillens und zu den Nöthigungen und Einschränkungen, welche ihnen durch die Macht und den Jdealgehalt des Absoluten auferlegt sind — daß dieses Problem auch hier uoch nicht widerspruchslos gelöst sein dürfte. Den Schwierigkeiten dieses Problems möchten wir namentlich die Schuld davon aufbürden, daß der Autor in der Beurtheilung politischer Verhältnisse, Mächte und Persönlichkeiten bis¬ weilen im Interesse der „Freiheit" auf bedenkliche Abwege geräth, und vor allem die „Realpolitik" ihm ein ärgerlicher Dorn im Auge' zu sein scheint. Um so interessanter ist es, daß wir in dem zweiten Theile des vorliegenden Werkes eine ausgeführte Rechtsphilosophie zu erwarten haben. R. S. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig, Verlag von F. L. Hering in Leipzig, — Druck von Hiithel K, Herrmann in Leipzig,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/390
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/390>, abgerufen am 27.11.2024.