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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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sanken oder die innere Güte eines jeden Dings nehmen. So hat ein Pferd,
so hat das Eisen seine Tugenden, und der Held auch, der seinen gehörigen
Antheil Stahl, Härte, Kälte und Hitze besitzt. Die Anwendung soll sein Ver¬
dienst, und die Menge der Wirkungen, welche das menschliche Geschlecht davon
zieht, die Größe seines Verdienstes bestimmen."




Htnselm Jeueröach.

Goethe hat im zweiten Theile seines "Faust" zuerst mit Bewußtsein das
Problem aufgestellt, an dessen Lösung im Laufe des Jahrhunderts die erlesensten
Geister unseres Volkes mitgewirkt haben, das Problem, die Klassizität des
antiken Griechenthums mit den Idealen der modernen Kunstanschauung, ins¬
besondere mit der Romantik, zu verschmelzen und dadurch eine neue Renaissance
heraufzuführen. Auf den verschiedenen Gebieten der Kunst ist die Lösung dieses
Problems verschiedenartig angestrebt worden. In der Bildhauerkunst wurde
der Ausgang zu dieser Renaissance von dem eifrigsten Studium der Natur
genommen, welches aber durch die Vorbilder der Antike geregelt wurde. Thor-
waldsen und Rauch waren in der Plastik die Chorführer dieser Renaissance,
die sich -- und wie bald! -- heute schon wieder ausgelebt hat. Rietschel
machte bereits einen großen Schritt von der Antike dem reinen, nicht durch
ein anderes Medium hindurchgeleiteten Naturalismus entgegen, und in unseren
Tagen krönt der Beifall der Menge und das Glück des Erfolges die Werke
eines Reinhold Begas, der in seinem derben, wuchtige" Naturalismus, in seiner
dramatischen Leidenschaftlichkeit an Michel Angelo und das Zeitalter des
Barocco anknüpft.

Ganz denselben Verlauf hat die Geschichte der modernen Architektur und
Malerei genommen. An der edlen, einfachen, stilvollen Klassizität Schinkel's
geht man hente fast theilnahmlos vorüber. Man versucht nicht mehr die
Wiedergeburt der deutschen Kunst aus dem Geiste des Griechenthums, sondern
knüpft an die voll und üppig entwickelte Renaissance des 16. Jahrhunderts an,
wie sie sich in Italien, Frankreich und Deutschland, den Bedürfnissen eines
jeden Landes entsprechend, gestaltet hat. Die Renaissance des 16. Jahrhunderts
liegt dem modernen Geiste ungleich näher als die kühle Hoheit der Antike.
Ich habe viele Leute theilnahm- und verständnißlos an der "hohen Frau von
Milo" vorübergehen sehen; aber vor der allgewaltigen, ergreifenden Herrlichkeit


GrenzSoten 1II> 1879. s

sanken oder die innere Güte eines jeden Dings nehmen. So hat ein Pferd,
so hat das Eisen seine Tugenden, und der Held auch, der seinen gehörigen
Antheil Stahl, Härte, Kälte und Hitze besitzt. Die Anwendung soll sein Ver¬
dienst, und die Menge der Wirkungen, welche das menschliche Geschlecht davon
zieht, die Größe seines Verdienstes bestimmen."




Htnselm Jeueröach.

Goethe hat im zweiten Theile seines „Faust" zuerst mit Bewußtsein das
Problem aufgestellt, an dessen Lösung im Laufe des Jahrhunderts die erlesensten
Geister unseres Volkes mitgewirkt haben, das Problem, die Klassizität des
antiken Griechenthums mit den Idealen der modernen Kunstanschauung, ins¬
besondere mit der Romantik, zu verschmelzen und dadurch eine neue Renaissance
heraufzuführen. Auf den verschiedenen Gebieten der Kunst ist die Lösung dieses
Problems verschiedenartig angestrebt worden. In der Bildhauerkunst wurde
der Ausgang zu dieser Renaissance von dem eifrigsten Studium der Natur
genommen, welches aber durch die Vorbilder der Antike geregelt wurde. Thor-
waldsen und Rauch waren in der Plastik die Chorführer dieser Renaissance,
die sich — und wie bald! — heute schon wieder ausgelebt hat. Rietschel
machte bereits einen großen Schritt von der Antike dem reinen, nicht durch
ein anderes Medium hindurchgeleiteten Naturalismus entgegen, und in unseren
Tagen krönt der Beifall der Menge und das Glück des Erfolges die Werke
eines Reinhold Begas, der in seinem derben, wuchtige» Naturalismus, in seiner
dramatischen Leidenschaftlichkeit an Michel Angelo und das Zeitalter des
Barocco anknüpft.

Ganz denselben Verlauf hat die Geschichte der modernen Architektur und
Malerei genommen. An der edlen, einfachen, stilvollen Klassizität Schinkel's
geht man hente fast theilnahmlos vorüber. Man versucht nicht mehr die
Wiedergeburt der deutschen Kunst aus dem Geiste des Griechenthums, sondern
knüpft an die voll und üppig entwickelte Renaissance des 16. Jahrhunderts an,
wie sie sich in Italien, Frankreich und Deutschland, den Bedürfnissen eines
jeden Landes entsprechend, gestaltet hat. Die Renaissance des 16. Jahrhunderts
liegt dem modernen Geiste ungleich näher als die kühle Hoheit der Antike.
Ich habe viele Leute theilnahm- und verständnißlos an der „hohen Frau von
Milo" vorübergehen sehen; aber vor der allgewaltigen, ergreifenden Herrlichkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/39>, abgerufen am 24.11.2024.