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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Grauen und Entsetzen hinein. Getragen, erfüllt, durchglüht und erhoben von
einer hohen Idee, die dadurch, daß sich ihr ein reichliches Theil von Aber¬
glauben beimischt, wenig von ihrer Größe verliert, arbeiten, kämpfen und leiden
sie in einer Weise, die weit über das menschliche Maß hinausgeht. Nie sah
man Hingebung und Entsagung, Verachtung der Gefahr, Standhaftigkeit bei
Mühsal und Entbehrung, Ueberwindung von Schmerz und Todesnoth in herr¬
licheren Lichte leuchten als während des Kampfes dieser französischen Jesuiten
und ihrer Genossen mit der wilden Natur und den wilden Bewohnern der
Landschaften zwischen dem Huronensee und dem Atlantischen Meere. Weh¬
müthig fast will es uus beschleichen, wenn wir auf das Ende dieses Trauer¬
spiels blicken und gewahren, daß all' dieser Eifer, all' diese Aufopferung, daß
dieses ganze jcchrzehnte lange Ringen ohne Erfolg bleibt, und daß das Drama
nach dem Tode seiner Helden mit vollständigem Mißlingen ihres Werkes schließt.

Dies ist der aesthetische Standpunkt. Vom historischen betrachtet, stimmt der
Prozeß, der sich hier vollzieht, anders, und wir sagen zum Schluß: So mußte
es kommen, und gut, daß es so gekommen ist. Die Grundsätze Richelieu's und
Loyola's waren es, die hier in den Boden der Wildniß gesät wurden, und
die, wenn der Fuß der Irokesen die Saat nicht zertreten hätte, aufgegangen
sein und für Amerika nicht nur, sondern mittelbar auch für Europa unheilvolle
Früchte getragen haben würden. Der Plan der Jesuiten und der französischen
Machthaber in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ging auf Gründung
eines großen Reiches, bewohnt von bekehrten Indianern und einer Anzahl von
französischen Einwanderern, ihren Herren und Leitern, welche sie den Zwecken
Rom's und Frankreich's dienstbar machen und sie in dieser Dienstbarkeit erhalten
sollten. Dieser Plan war in der Ausführung begriffen, und die Mühe, die
auf ihn verwendet wurde, hatte bereits namhafte Erfolge gehabt. Ein großer
Theil der Nation der Huronen und nicht wenige von den ihr benachbarten
Jndianerstämmen Kanada's und des Nordens der heutigen Vereinigten Staaten
waren schon unter der geistlichen und weltlichen Führung der Jesuiten, als
deren Versuch, hier ein Paraguay zu schaffen, das von der Kette der nördlichen
Seen bis an den Golf von Mexiko gereicht und sich von den Neufoundlands-
banken bis über den Missisippi ausgedehnt hätte, und das mit der Zeit für
Frankreich geworden wäre, was Indien lange für England war, eine Geld- und
Machtquelle ersten Ranges, durch den Bund der "fünf Nationen" vereitelt wurde.
Die Tomahawks und Arkebusen dieser Irokesen vernichteten in einem greuel¬
vollen Kriege alle Anstrengungen und Hoffnungen der Jünger Loyola's, und
sie haben damit der Zivilisation einen großen Dienst geleistet. Sie haben der
Freiheit in Amerika eine Stätte bereitet, und sie haben wesentlich dazu beige¬
tragen, daß Frankreich verhindert wurde, eine weltbeherrschende Macht zu


Grauen und Entsetzen hinein. Getragen, erfüllt, durchglüht und erhoben von
einer hohen Idee, die dadurch, daß sich ihr ein reichliches Theil von Aber¬
glauben beimischt, wenig von ihrer Größe verliert, arbeiten, kämpfen und leiden
sie in einer Weise, die weit über das menschliche Maß hinausgeht. Nie sah
man Hingebung und Entsagung, Verachtung der Gefahr, Standhaftigkeit bei
Mühsal und Entbehrung, Ueberwindung von Schmerz und Todesnoth in herr¬
licheren Lichte leuchten als während des Kampfes dieser französischen Jesuiten
und ihrer Genossen mit der wilden Natur und den wilden Bewohnern der
Landschaften zwischen dem Huronensee und dem Atlantischen Meere. Weh¬
müthig fast will es uus beschleichen, wenn wir auf das Ende dieses Trauer¬
spiels blicken und gewahren, daß all' dieser Eifer, all' diese Aufopferung, daß
dieses ganze jcchrzehnte lange Ringen ohne Erfolg bleibt, und daß das Drama
nach dem Tode seiner Helden mit vollständigem Mißlingen ihres Werkes schließt.

Dies ist der aesthetische Standpunkt. Vom historischen betrachtet, stimmt der
Prozeß, der sich hier vollzieht, anders, und wir sagen zum Schluß: So mußte
es kommen, und gut, daß es so gekommen ist. Die Grundsätze Richelieu's und
Loyola's waren es, die hier in den Boden der Wildniß gesät wurden, und
die, wenn der Fuß der Irokesen die Saat nicht zertreten hätte, aufgegangen
sein und für Amerika nicht nur, sondern mittelbar auch für Europa unheilvolle
Früchte getragen haben würden. Der Plan der Jesuiten und der französischen
Machthaber in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ging auf Gründung
eines großen Reiches, bewohnt von bekehrten Indianern und einer Anzahl von
französischen Einwanderern, ihren Herren und Leitern, welche sie den Zwecken
Rom's und Frankreich's dienstbar machen und sie in dieser Dienstbarkeit erhalten
sollten. Dieser Plan war in der Ausführung begriffen, und die Mühe, die
auf ihn verwendet wurde, hatte bereits namhafte Erfolge gehabt. Ein großer
Theil der Nation der Huronen und nicht wenige von den ihr benachbarten
Jndianerstämmen Kanada's und des Nordens der heutigen Vereinigten Staaten
waren schon unter der geistlichen und weltlichen Führung der Jesuiten, als
deren Versuch, hier ein Paraguay zu schaffen, das von der Kette der nördlichen
Seen bis an den Golf von Mexiko gereicht und sich von den Neufoundlands-
banken bis über den Missisippi ausgedehnt hätte, und das mit der Zeit für
Frankreich geworden wäre, was Indien lange für England war, eine Geld- und
Machtquelle ersten Ranges, durch den Bund der „fünf Nationen" vereitelt wurde.
Die Tomahawks und Arkebusen dieser Irokesen vernichteten in einem greuel¬
vollen Kriege alle Anstrengungen und Hoffnungen der Jünger Loyola's, und
sie haben damit der Zivilisation einen großen Dienst geleistet. Sie haben der
Freiheit in Amerika eine Stätte bereitet, und sie haben wesentlich dazu beige¬
tragen, daß Frankreich verhindert wurde, eine weltbeherrschende Macht zu


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[0376] Grauen und Entsetzen hinein. Getragen, erfüllt, durchglüht und erhoben von einer hohen Idee, die dadurch, daß sich ihr ein reichliches Theil von Aber¬ glauben beimischt, wenig von ihrer Größe verliert, arbeiten, kämpfen und leiden sie in einer Weise, die weit über das menschliche Maß hinausgeht. Nie sah man Hingebung und Entsagung, Verachtung der Gefahr, Standhaftigkeit bei Mühsal und Entbehrung, Ueberwindung von Schmerz und Todesnoth in herr¬ licheren Lichte leuchten als während des Kampfes dieser französischen Jesuiten und ihrer Genossen mit der wilden Natur und den wilden Bewohnern der Landschaften zwischen dem Huronensee und dem Atlantischen Meere. Weh¬ müthig fast will es uus beschleichen, wenn wir auf das Ende dieses Trauer¬ spiels blicken und gewahren, daß all' dieser Eifer, all' diese Aufopferung, daß dieses ganze jcchrzehnte lange Ringen ohne Erfolg bleibt, und daß das Drama nach dem Tode seiner Helden mit vollständigem Mißlingen ihres Werkes schließt. Dies ist der aesthetische Standpunkt. Vom historischen betrachtet, stimmt der Prozeß, der sich hier vollzieht, anders, und wir sagen zum Schluß: So mußte es kommen, und gut, daß es so gekommen ist. Die Grundsätze Richelieu's und Loyola's waren es, die hier in den Boden der Wildniß gesät wurden, und die, wenn der Fuß der Irokesen die Saat nicht zertreten hätte, aufgegangen sein und für Amerika nicht nur, sondern mittelbar auch für Europa unheilvolle Früchte getragen haben würden. Der Plan der Jesuiten und der französischen Machthaber in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ging auf Gründung eines großen Reiches, bewohnt von bekehrten Indianern und einer Anzahl von französischen Einwanderern, ihren Herren und Leitern, welche sie den Zwecken Rom's und Frankreich's dienstbar machen und sie in dieser Dienstbarkeit erhalten sollten. Dieser Plan war in der Ausführung begriffen, und die Mühe, die auf ihn verwendet wurde, hatte bereits namhafte Erfolge gehabt. Ein großer Theil der Nation der Huronen und nicht wenige von den ihr benachbarten Jndianerstämmen Kanada's und des Nordens der heutigen Vereinigten Staaten waren schon unter der geistlichen und weltlichen Führung der Jesuiten, als deren Versuch, hier ein Paraguay zu schaffen, das von der Kette der nördlichen Seen bis an den Golf von Mexiko gereicht und sich von den Neufoundlands- banken bis über den Missisippi ausgedehnt hätte, und das mit der Zeit für Frankreich geworden wäre, was Indien lange für England war, eine Geld- und Machtquelle ersten Ranges, durch den Bund der „fünf Nationen" vereitelt wurde. Die Tomahawks und Arkebusen dieser Irokesen vernichteten in einem greuel¬ vollen Kriege alle Anstrengungen und Hoffnungen der Jünger Loyola's, und sie haben damit der Zivilisation einen großen Dienst geleistet. Sie haben der Freiheit in Amerika eine Stätte bereitet, und sie haben wesentlich dazu beige¬ tragen, daß Frankreich verhindert wurde, eine weltbeherrschende Macht zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/376>, abgerufen am 27.11.2024.