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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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lande und seiner Frau trennen könne. Der König erbot sich, die letztere kommen
zu lassen. "Die fährt nicht über die Donau, viel weniger über Meer", versetzte
Haydn. Er blieb überhaupt in diesem Punkte unerbittlich.

Die Konzerte waren 1795 großartiger als je eingerichtet, denn die politi¬
schen Ereignisse auf dem Kontinente störten mannigfach das Interesse. Haydn,
Martin, Clementi und dazu die ausgezeichnetsten Sänger und Spieler aus
aller Herren Ländern -- ein glänzenderes Konzertunternehmen hatte London
noch nicht gesehen. Haydn eröffnete jedesmal die zweite Abtheilung des Kon¬
zertes mit einer Symphonie. Ueber eine derselben schreibt das Oraols, sie zeige
"den Stil und die Phantasie Haydn's in Tönen, wie sie keinem anderen Genius
zu Gebote ständen". Als er daher am 4. Mai 1795 sein Benefiz gab, bei dem
die Militärsymphonie und die letzte der 12 Londoner Orchesterschvpfnngen, die
Symphonie in D-dur, gespielt wurden, konnte er in sein Tagebuch schreiben:
"Der Saal war voll auserlesener Gesellschaft, die Gesellschaft war äußerst ver¬
gnügt und auch ich. Ich machte diesen Abend 4000 si., so etwas kann man
nur in England machen." Er faßte bei diesen erwünschten Erfahrungen auch
damals schon die Idee, für England ein Werk der jüngern Gattung zu schreiben,
die dort weitaus am beliebtesten und volkstümlichsten war, ein Oratorium,
begann auch ein solches in englischer Sprache, ließ es jedoch liegen, weil er
sich wohl der Aufgabe nicht mächtig genug fühlen mochte.

Neben dem Ertrag der Konzerte liefen auch mancherlei Geschenke bei ihm
ein: von Clementi ein Becher aus Kokosnuß mit silbernem Fuß, von einem
gewissen Tattersall für die Mitarbeit an einer Komposition zur Verbesserung
des englischen Kirchengesanges eine fußbreite silberne Schale, und noch neun
Jahre später that sich die Wirkung dieses Londoner Aufenthalts in der Ueber¬
sendung von -- sechs Paar wollenen Strümpfen kund, in welche sechs Themen
von Haydn, wie das Andante der Symphonie mit dem Paukenschlag, "Gott
erhalte Franz den Kaiser" u. s. w. eingewebt waren! Er war aber auch der
Erste, der nach Händel wieder allseitig und dauernd in London durchdrang
und die Zuhörer förmlich zur ernst-heiteren Aufnahme der Gebilde der Ton¬
kunst nöthigte. Erst als dann Mozart's und später vor allem Beethoven's
Werke in London bekannt wurden, begann eine neue Dynastie: Vorläufig
herrschte Haydn fast so unbedingt wie einst Händel. Er hatte diese Herrschaft
aber auch durch eine große Anzahl von Werken aller Gattungen befestigt.
Griesinger gibt in seinen "Biographischen Notizen über I. Haydn" (Wien 1870)
sein eigenes Verzeichnis es sind im ganzen 768 Blätter, darunter außer der
Oper Orpheus und jenen 12 Londoner Symphonieen, deren Themen man in
der Schrift "Haydn in London" findet, 6 Quartette, 11 Sonaten, zahlreiche
Lieder, Tänze, Märsche -- man wollte ihm allüberall wieder begegnen. Und


lande und seiner Frau trennen könne. Der König erbot sich, die letztere kommen
zu lassen. „Die fährt nicht über die Donau, viel weniger über Meer", versetzte
Haydn. Er blieb überhaupt in diesem Punkte unerbittlich.

Die Konzerte waren 1795 großartiger als je eingerichtet, denn die politi¬
schen Ereignisse auf dem Kontinente störten mannigfach das Interesse. Haydn,
Martin, Clementi und dazu die ausgezeichnetsten Sänger und Spieler aus
aller Herren Ländern — ein glänzenderes Konzertunternehmen hatte London
noch nicht gesehen. Haydn eröffnete jedesmal die zweite Abtheilung des Kon¬
zertes mit einer Symphonie. Ueber eine derselben schreibt das Oraols, sie zeige
„den Stil und die Phantasie Haydn's in Tönen, wie sie keinem anderen Genius
zu Gebote ständen". Als er daher am 4. Mai 1795 sein Benefiz gab, bei dem
die Militärsymphonie und die letzte der 12 Londoner Orchesterschvpfnngen, die
Symphonie in D-dur, gespielt wurden, konnte er in sein Tagebuch schreiben:
„Der Saal war voll auserlesener Gesellschaft, die Gesellschaft war äußerst ver¬
gnügt und auch ich. Ich machte diesen Abend 4000 si., so etwas kann man
nur in England machen." Er faßte bei diesen erwünschten Erfahrungen auch
damals schon die Idee, für England ein Werk der jüngern Gattung zu schreiben,
die dort weitaus am beliebtesten und volkstümlichsten war, ein Oratorium,
begann auch ein solches in englischer Sprache, ließ es jedoch liegen, weil er
sich wohl der Aufgabe nicht mächtig genug fühlen mochte.

Neben dem Ertrag der Konzerte liefen auch mancherlei Geschenke bei ihm
ein: von Clementi ein Becher aus Kokosnuß mit silbernem Fuß, von einem
gewissen Tattersall für die Mitarbeit an einer Komposition zur Verbesserung
des englischen Kirchengesanges eine fußbreite silberne Schale, und noch neun
Jahre später that sich die Wirkung dieses Londoner Aufenthalts in der Ueber¬
sendung von — sechs Paar wollenen Strümpfen kund, in welche sechs Themen
von Haydn, wie das Andante der Symphonie mit dem Paukenschlag, „Gott
erhalte Franz den Kaiser" u. s. w. eingewebt waren! Er war aber auch der
Erste, der nach Händel wieder allseitig und dauernd in London durchdrang
und die Zuhörer förmlich zur ernst-heiteren Aufnahme der Gebilde der Ton¬
kunst nöthigte. Erst als dann Mozart's und später vor allem Beethoven's
Werke in London bekannt wurden, begann eine neue Dynastie: Vorläufig
herrschte Haydn fast so unbedingt wie einst Händel. Er hatte diese Herrschaft
aber auch durch eine große Anzahl von Werken aller Gattungen befestigt.
Griesinger gibt in seinen „Biographischen Notizen über I. Haydn" (Wien 1870)
sein eigenes Verzeichnis es sind im ganzen 768 Blätter, darunter außer der
Oper Orpheus und jenen 12 Londoner Symphonieen, deren Themen man in
der Schrift „Haydn in London" findet, 6 Quartette, 11 Sonaten, zahlreiche
Lieder, Tänze, Märsche — man wollte ihm allüberall wieder begegnen. Und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/374>, abgerufen am 27.11.2024.