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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Frau sich, naiv genug, als Wittwensitz ausersehen hatte, das aber vielmehr
die Ruhestätte seines Alters werden sollte. Er ließ es später um ein Stock
erhöhen und bewohnte es bis an sein Ende, indem er seine Frau um volle
neun Jahre überlebte.

Komponiren und Unterrichtgeben blieb jetzt in Wien sein gleichmäßig ruhiges
Geschäft, Aber das letztere wurde ihm diesmal bei einem Schüler besonders
schwer. "Haydn hat hierher berichtet, er werde ihm große Opern aufgeben und
sselbstj bald aufhören müssen zu componiren", so schreibt man schon zu Anfang
des nächsten Jahres 1793 von Bonn aus über Beethoven. Und dieser An¬
schauung und dem ganzen Wesen des Meisters entspricht es, daß er dem jungen
Schüler rieth, von den drei Trios ox. 1, die in der gleichen Zeit in Haydn's
Gegenwart gespielt wurden, und über die er selbst dem Komponisten "viel
Schönes" sagte, das dritte in C-moll nicht herauszugeben; er fürchtete, daß
solcher "Sturm und Drang", gegen den allerdings im ersten Augenblick "alle
andere Musik zahm und geistlos erschien", ihm beim Publikum eher schaden
als nützen könne. Ans den so leicht mißtrauenden Beethoven aber machte dies
einen bösen Eindruck; er glaubte, Haydn sei neidisch, eifersüchtig und meine es
nicht gut mit ihm. So erscheint denn auch der Unterricht, der ohnehin nicht
viel Aussicht auf Erfolg hatte, weil dem ruhmgekrönten älteren Neuerer ein
noch in höherem Grade revolutionärer Jüngerer gegenübertrat, von Anfang
an in seinem inneren Bestände gestört. Doch währte er bis zu Ende des
Jahres 1793, der größere Jünger vergaß nicht, was er dem großen Meister
schuldig war. "Caffee für Haydn und mich" -- dergleichen Notizen in Beetho¬
ven's Tagebuch von damals bezeugen, daß persönlicher Privatverkehr auch über
den Unterricht hinaus unter ihnen bestand, und diesen brach er äußerlich auch
dann erst ab, als Haydn's zweite Reise nach London den schicklichen Vorwand
dazu gab. wiewohl er thatsächlich damals bereits der Schüler des aus Mozart's
Biographie bekannten Schenk war. Schon öfters hatte er gegen andere Musiker
sich beklagt, daß er mit seinen Studien nicht vorwärts komme, weil Haydn,
allzuviel beschäftigt, seinen Arbeiten nicht die gewünschte Aufmerksamkeit schenken
könne, und Schenk, der Beethoven bereits bei einem solchen Kollegen, dem Abbe
Gelinek, phantasiren gehört hatte, war ihm dann eines Tages begegnet, als er
gerade mit seinem Heft unterm Arme von Haydn kam, hatte einen Blick in
dasselbe geworfen und gefunden, daß sehr viel Unrichtiges darin stehen geblieben
War. Dies entschied rasch für Beethoven's Wechsel und Wahl. Dennoch hörte
man schon im Sommer 1793 von Wien aus in Bonn, daß der junge Lands¬
mann "große Fortschritte in der Kunst mache", und dies fällt doch in die
Wagschale Haydn's, der eben mit Hilfe seines Fux und PH. E. Bach das auf
Praktischen Wege erworbene kontrapunktische Wissen des genialen Stürmers zu


Grenzboten III. 1879. 47

Frau sich, naiv genug, als Wittwensitz ausersehen hatte, das aber vielmehr
die Ruhestätte seines Alters werden sollte. Er ließ es später um ein Stock
erhöhen und bewohnte es bis an sein Ende, indem er seine Frau um volle
neun Jahre überlebte.

Komponiren und Unterrichtgeben blieb jetzt in Wien sein gleichmäßig ruhiges
Geschäft, Aber das letztere wurde ihm diesmal bei einem Schüler besonders
schwer. „Haydn hat hierher berichtet, er werde ihm große Opern aufgeben und
sselbstj bald aufhören müssen zu componiren", so schreibt man schon zu Anfang
des nächsten Jahres 1793 von Bonn aus über Beethoven. Und dieser An¬
schauung und dem ganzen Wesen des Meisters entspricht es, daß er dem jungen
Schüler rieth, von den drei Trios ox. 1, die in der gleichen Zeit in Haydn's
Gegenwart gespielt wurden, und über die er selbst dem Komponisten „viel
Schönes" sagte, das dritte in C-moll nicht herauszugeben; er fürchtete, daß
solcher „Sturm und Drang", gegen den allerdings im ersten Augenblick „alle
andere Musik zahm und geistlos erschien", ihm beim Publikum eher schaden
als nützen könne. Ans den so leicht mißtrauenden Beethoven aber machte dies
einen bösen Eindruck; er glaubte, Haydn sei neidisch, eifersüchtig und meine es
nicht gut mit ihm. So erscheint denn auch der Unterricht, der ohnehin nicht
viel Aussicht auf Erfolg hatte, weil dem ruhmgekrönten älteren Neuerer ein
noch in höherem Grade revolutionärer Jüngerer gegenübertrat, von Anfang
an in seinem inneren Bestände gestört. Doch währte er bis zu Ende des
Jahres 1793, der größere Jünger vergaß nicht, was er dem großen Meister
schuldig war. „Caffee für Haydn und mich" — dergleichen Notizen in Beetho¬
ven's Tagebuch von damals bezeugen, daß persönlicher Privatverkehr auch über
den Unterricht hinaus unter ihnen bestand, und diesen brach er äußerlich auch
dann erst ab, als Haydn's zweite Reise nach London den schicklichen Vorwand
dazu gab. wiewohl er thatsächlich damals bereits der Schüler des aus Mozart's
Biographie bekannten Schenk war. Schon öfters hatte er gegen andere Musiker
sich beklagt, daß er mit seinen Studien nicht vorwärts komme, weil Haydn,
allzuviel beschäftigt, seinen Arbeiten nicht die gewünschte Aufmerksamkeit schenken
könne, und Schenk, der Beethoven bereits bei einem solchen Kollegen, dem Abbe
Gelinek, phantasiren gehört hatte, war ihm dann eines Tages begegnet, als er
gerade mit seinem Heft unterm Arme von Haydn kam, hatte einen Blick in
dasselbe geworfen und gefunden, daß sehr viel Unrichtiges darin stehen geblieben
War. Dies entschied rasch für Beethoven's Wechsel und Wahl. Dennoch hörte
man schon im Sommer 1793 von Wien aus in Bonn, daß der junge Lands¬
mann „große Fortschritte in der Kunst mache", und dies fällt doch in die
Wagschale Haydn's, der eben mit Hilfe seines Fux und PH. E. Bach das auf
Praktischen Wege erworbene kontrapunktische Wissen des genialen Stürmers zu


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[0367] Frau sich, naiv genug, als Wittwensitz ausersehen hatte, das aber vielmehr die Ruhestätte seines Alters werden sollte. Er ließ es später um ein Stock erhöhen und bewohnte es bis an sein Ende, indem er seine Frau um volle neun Jahre überlebte. Komponiren und Unterrichtgeben blieb jetzt in Wien sein gleichmäßig ruhiges Geschäft, Aber das letztere wurde ihm diesmal bei einem Schüler besonders schwer. „Haydn hat hierher berichtet, er werde ihm große Opern aufgeben und sselbstj bald aufhören müssen zu componiren", so schreibt man schon zu Anfang des nächsten Jahres 1793 von Bonn aus über Beethoven. Und dieser An¬ schauung und dem ganzen Wesen des Meisters entspricht es, daß er dem jungen Schüler rieth, von den drei Trios ox. 1, die in der gleichen Zeit in Haydn's Gegenwart gespielt wurden, und über die er selbst dem Komponisten „viel Schönes" sagte, das dritte in C-moll nicht herauszugeben; er fürchtete, daß solcher „Sturm und Drang", gegen den allerdings im ersten Augenblick „alle andere Musik zahm und geistlos erschien", ihm beim Publikum eher schaden als nützen könne. Ans den so leicht mißtrauenden Beethoven aber machte dies einen bösen Eindruck; er glaubte, Haydn sei neidisch, eifersüchtig und meine es nicht gut mit ihm. So erscheint denn auch der Unterricht, der ohnehin nicht viel Aussicht auf Erfolg hatte, weil dem ruhmgekrönten älteren Neuerer ein noch in höherem Grade revolutionärer Jüngerer gegenübertrat, von Anfang an in seinem inneren Bestände gestört. Doch währte er bis zu Ende des Jahres 1793, der größere Jünger vergaß nicht, was er dem großen Meister schuldig war. „Caffee für Haydn und mich" — dergleichen Notizen in Beetho¬ ven's Tagebuch von damals bezeugen, daß persönlicher Privatverkehr auch über den Unterricht hinaus unter ihnen bestand, und diesen brach er äußerlich auch dann erst ab, als Haydn's zweite Reise nach London den schicklichen Vorwand dazu gab. wiewohl er thatsächlich damals bereits der Schüler des aus Mozart's Biographie bekannten Schenk war. Schon öfters hatte er gegen andere Musiker sich beklagt, daß er mit seinen Studien nicht vorwärts komme, weil Haydn, allzuviel beschäftigt, seinen Arbeiten nicht die gewünschte Aufmerksamkeit schenken könne, und Schenk, der Beethoven bereits bei einem solchen Kollegen, dem Abbe Gelinek, phantasiren gehört hatte, war ihm dann eines Tages begegnet, als er gerade mit seinem Heft unterm Arme von Haydn kam, hatte einen Blick in dasselbe geworfen und gefunden, daß sehr viel Unrichtiges darin stehen geblieben War. Dies entschied rasch für Beethoven's Wechsel und Wahl. Dennoch hörte man schon im Sommer 1793 von Wien aus in Bonn, daß der junge Lands¬ mann „große Fortschritte in der Kunst mache", und dies fällt doch in die Wagschale Haydn's, der eben mit Hilfe seines Fux und PH. E. Bach das auf Praktischen Wege erworbene kontrapunktische Wissen des genialen Stürmers zu Grenzboten III. 1879. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/367>, abgerufen am 27.11.2024.