Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Mitglieder, die vom Volke nicht wieder gewühlt wurden, in jener Schlußsitzung
sich mehr um ihr eigenes Interesse, als um das ihrer Konstituenten oder des
Landes überhaupt kümmern. Da kommen dann die "Jobs" und Bestechungs¬
geschichten, die eine so schmachvolle Rolle in der amerikanischen Kongreßgeschichte
spielen. Wenn die Kongreßrepräsentanten im September gewählt würden und
dann am 15. Oktober desselben Jahres zusammenträten, so wäre dem abgeholfen.
Warum hier keine Aenderung vorgenommen worden, ist schwer zu begreifen.
Vielleicht ist es nur die Scheu des Amerikaners vor Verfassungs-Abänderungen
überhaupt, die hier bis jetzt eine Reform verhindert hat. Für eine solche
Reform zu wirken, wäre gewiß eine lohnende Aufgabe für den "Bund der
Radikalen", und Tausende von denkenden Bürgern würden sich ihm dabei
anschließen, während sie jetzt nichts mit ihm zu thun haben wollen, da er fast
nur utopischen Dingen nachjagt.

Käme zu den angedeuteten Abänderungen der Verfassung noch die Ver¬
längerung des Präsidentschaftstermins von vier auf sechs Jahre
unter dem Verbot den unmittelbaren Wiederwahl, so wäre auch dies wohl zu
erreichen, denn es läßt sich Vieles dcisür sagen. Ein dahin gehender Vorschlag
liegt seit Jahren dem Kongresse vor. Ebenso sollte man darauf dringen, daß
endlich der Zählungsmodus der für die Präsidentschafts-Kandidaten abge¬
gebenen Stimmen in verständiger und unparteiischer Weise abgeändert und
geregelt würde. Ist die Union schon im Jahre 1877 bei der Wahl des Präsi¬
denten Hayes fast nur durch einen glücklichen Zufall den ärgsten Wirren, vielleicht
einem Bürgerkriege entgangen, so stehen ihr für das Jahr 1881 in Folge der
mangelhaften Bestimmungen über den Zählungsmodus ähnliche Gefahren sicher
bevor. Die demokratische Partei leugnet es gar nicht, daß sie alle Vortheile
benutzen werde, die ihr aus jener Mangelhaftigkeit der Verfassung entspringen.
Im nächsten Winter werden sich die beiden großen Parteien, die Republikaner
und die Demokraten, im Kongresse in nahezu gleicher Stärke gegenüberstehen,
wie das nur selten der Fall ist. Sollte das nicht gerade die beste Zeit und
Gelegenheit sein, solche Bestimmungen festzusetzen, ohne daß die eine Partei
ungebührlich für ihren eigenen Vortheil sorgt? Es dürften doch noch so viele
Ehrenmänner unter den Demokraten im Kongresse zu finden sein, daß sie in
einer so wichtigen Frage in Gemeinschaft mit den Republikanern das Partei¬
interesse dem Interesse der ganzen Republik unterordneten.

Im Juni d. I. machten übrigens auch die Sozialdemokraten in den
Vereinigten Staaten wieder einmal von sich reden. Es wurden große Partei¬
demonstrationen in Form von allgemeinen Strikes in Aussicht gestellt, und das
Kommunistenblcitt, die "New-Iorker Volkszeitung", ließ sich also vernehmen:
"Wir glauben es offen sagen zu müssen, und jeder unserer Gesinnungsgenossen


Mitglieder, die vom Volke nicht wieder gewühlt wurden, in jener Schlußsitzung
sich mehr um ihr eigenes Interesse, als um das ihrer Konstituenten oder des
Landes überhaupt kümmern. Da kommen dann die „Jobs" und Bestechungs¬
geschichten, die eine so schmachvolle Rolle in der amerikanischen Kongreßgeschichte
spielen. Wenn die Kongreßrepräsentanten im September gewählt würden und
dann am 15. Oktober desselben Jahres zusammenträten, so wäre dem abgeholfen.
Warum hier keine Aenderung vorgenommen worden, ist schwer zu begreifen.
Vielleicht ist es nur die Scheu des Amerikaners vor Verfassungs-Abänderungen
überhaupt, die hier bis jetzt eine Reform verhindert hat. Für eine solche
Reform zu wirken, wäre gewiß eine lohnende Aufgabe für den „Bund der
Radikalen", und Tausende von denkenden Bürgern würden sich ihm dabei
anschließen, während sie jetzt nichts mit ihm zu thun haben wollen, da er fast
nur utopischen Dingen nachjagt.

Käme zu den angedeuteten Abänderungen der Verfassung noch die Ver¬
längerung des Präsidentschaftstermins von vier auf sechs Jahre
unter dem Verbot den unmittelbaren Wiederwahl, so wäre auch dies wohl zu
erreichen, denn es läßt sich Vieles dcisür sagen. Ein dahin gehender Vorschlag
liegt seit Jahren dem Kongresse vor. Ebenso sollte man darauf dringen, daß
endlich der Zählungsmodus der für die Präsidentschafts-Kandidaten abge¬
gebenen Stimmen in verständiger und unparteiischer Weise abgeändert und
geregelt würde. Ist die Union schon im Jahre 1877 bei der Wahl des Präsi¬
denten Hayes fast nur durch einen glücklichen Zufall den ärgsten Wirren, vielleicht
einem Bürgerkriege entgangen, so stehen ihr für das Jahr 1881 in Folge der
mangelhaften Bestimmungen über den Zählungsmodus ähnliche Gefahren sicher
bevor. Die demokratische Partei leugnet es gar nicht, daß sie alle Vortheile
benutzen werde, die ihr aus jener Mangelhaftigkeit der Verfassung entspringen.
Im nächsten Winter werden sich die beiden großen Parteien, die Republikaner
und die Demokraten, im Kongresse in nahezu gleicher Stärke gegenüberstehen,
wie das nur selten der Fall ist. Sollte das nicht gerade die beste Zeit und
Gelegenheit sein, solche Bestimmungen festzusetzen, ohne daß die eine Partei
ungebührlich für ihren eigenen Vortheil sorgt? Es dürften doch noch so viele
Ehrenmänner unter den Demokraten im Kongresse zu finden sein, daß sie in
einer so wichtigen Frage in Gemeinschaft mit den Republikanern das Partei¬
interesse dem Interesse der ganzen Republik unterordneten.

Im Juni d. I. machten übrigens auch die Sozialdemokraten in den
Vereinigten Staaten wieder einmal von sich reden. Es wurden große Partei¬
demonstrationen in Form von allgemeinen Strikes in Aussicht gestellt, und das
Kommunistenblcitt, die „New-Iorker Volkszeitung", ließ sich also vernehmen:
„Wir glauben es offen sagen zu müssen, und jeder unserer Gesinnungsgenossen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142841"/>
          <p xml:id="ID_998" prev="#ID_997"> Mitglieder, die vom Volke nicht wieder gewühlt wurden, in jener Schlußsitzung<lb/>
sich mehr um ihr eigenes Interesse, als um das ihrer Konstituenten oder des<lb/>
Landes überhaupt kümmern. Da kommen dann die &#x201E;Jobs" und Bestechungs¬<lb/>
geschichten, die eine so schmachvolle Rolle in der amerikanischen Kongreßgeschichte<lb/>
spielen. Wenn die Kongreßrepräsentanten im September gewählt würden und<lb/>
dann am 15. Oktober desselben Jahres zusammenträten, so wäre dem abgeholfen.<lb/>
Warum hier keine Aenderung vorgenommen worden, ist schwer zu begreifen.<lb/>
Vielleicht ist es nur die Scheu des Amerikaners vor Verfassungs-Abänderungen<lb/>
überhaupt, die hier bis jetzt eine Reform verhindert hat. Für eine solche<lb/>
Reform zu wirken, wäre gewiß eine lohnende Aufgabe für den &#x201E;Bund der<lb/>
Radikalen", und Tausende von denkenden Bürgern würden sich ihm dabei<lb/>
anschließen, während sie jetzt nichts mit ihm zu thun haben wollen, da er fast<lb/>
nur utopischen Dingen nachjagt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_999"> Käme zu den angedeuteten Abänderungen der Verfassung noch die Ver¬<lb/>
längerung des Präsidentschaftstermins von vier auf sechs Jahre<lb/>
unter dem Verbot den unmittelbaren Wiederwahl, so wäre auch dies wohl zu<lb/>
erreichen, denn es läßt sich Vieles dcisür sagen. Ein dahin gehender Vorschlag<lb/>
liegt seit Jahren dem Kongresse vor. Ebenso sollte man darauf dringen, daß<lb/>
endlich der Zählungsmodus der für die Präsidentschafts-Kandidaten abge¬<lb/>
gebenen Stimmen in verständiger und unparteiischer Weise abgeändert und<lb/>
geregelt würde. Ist die Union schon im Jahre 1877 bei der Wahl des Präsi¬<lb/>
denten Hayes fast nur durch einen glücklichen Zufall den ärgsten Wirren, vielleicht<lb/>
einem Bürgerkriege entgangen, so stehen ihr für das Jahr 1881 in Folge der<lb/>
mangelhaften Bestimmungen über den Zählungsmodus ähnliche Gefahren sicher<lb/>
bevor. Die demokratische Partei leugnet es gar nicht, daß sie alle Vortheile<lb/>
benutzen werde, die ihr aus jener Mangelhaftigkeit der Verfassung entspringen.<lb/>
Im nächsten Winter werden sich die beiden großen Parteien, die Republikaner<lb/>
und die Demokraten, im Kongresse in nahezu gleicher Stärke gegenüberstehen,<lb/>
wie das nur selten der Fall ist. Sollte das nicht gerade die beste Zeit und<lb/>
Gelegenheit sein, solche Bestimmungen festzusetzen, ohne daß die eine Partei<lb/>
ungebührlich für ihren eigenen Vortheil sorgt? Es dürften doch noch so viele<lb/>
Ehrenmänner unter den Demokraten im Kongresse zu finden sein, daß sie in<lb/>
einer so wichtigen Frage in Gemeinschaft mit den Republikanern das Partei¬<lb/>
interesse dem Interesse der ganzen Republik unterordneten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1000" next="#ID_1001"> Im Juni d. I. machten übrigens auch die Sozialdemokraten in den<lb/>
Vereinigten Staaten wieder einmal von sich reden. Es wurden große Partei¬<lb/>
demonstrationen in Form von allgemeinen Strikes in Aussicht gestellt, und das<lb/>
Kommunistenblcitt, die &#x201E;New-Iorker Volkszeitung", ließ sich also vernehmen:<lb/>
&#x201E;Wir glauben es offen sagen zu müssen, und jeder unserer Gesinnungsgenossen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] Mitglieder, die vom Volke nicht wieder gewühlt wurden, in jener Schlußsitzung sich mehr um ihr eigenes Interesse, als um das ihrer Konstituenten oder des Landes überhaupt kümmern. Da kommen dann die „Jobs" und Bestechungs¬ geschichten, die eine so schmachvolle Rolle in der amerikanischen Kongreßgeschichte spielen. Wenn die Kongreßrepräsentanten im September gewählt würden und dann am 15. Oktober desselben Jahres zusammenträten, so wäre dem abgeholfen. Warum hier keine Aenderung vorgenommen worden, ist schwer zu begreifen. Vielleicht ist es nur die Scheu des Amerikaners vor Verfassungs-Abänderungen überhaupt, die hier bis jetzt eine Reform verhindert hat. Für eine solche Reform zu wirken, wäre gewiß eine lohnende Aufgabe für den „Bund der Radikalen", und Tausende von denkenden Bürgern würden sich ihm dabei anschließen, während sie jetzt nichts mit ihm zu thun haben wollen, da er fast nur utopischen Dingen nachjagt. Käme zu den angedeuteten Abänderungen der Verfassung noch die Ver¬ längerung des Präsidentschaftstermins von vier auf sechs Jahre unter dem Verbot den unmittelbaren Wiederwahl, so wäre auch dies wohl zu erreichen, denn es läßt sich Vieles dcisür sagen. Ein dahin gehender Vorschlag liegt seit Jahren dem Kongresse vor. Ebenso sollte man darauf dringen, daß endlich der Zählungsmodus der für die Präsidentschafts-Kandidaten abge¬ gebenen Stimmen in verständiger und unparteiischer Weise abgeändert und geregelt würde. Ist die Union schon im Jahre 1877 bei der Wahl des Präsi¬ denten Hayes fast nur durch einen glücklichen Zufall den ärgsten Wirren, vielleicht einem Bürgerkriege entgangen, so stehen ihr für das Jahr 1881 in Folge der mangelhaften Bestimmungen über den Zählungsmodus ähnliche Gefahren sicher bevor. Die demokratische Partei leugnet es gar nicht, daß sie alle Vortheile benutzen werde, die ihr aus jener Mangelhaftigkeit der Verfassung entspringen. Im nächsten Winter werden sich die beiden großen Parteien, die Republikaner und die Demokraten, im Kongresse in nahezu gleicher Stärke gegenüberstehen, wie das nur selten der Fall ist. Sollte das nicht gerade die beste Zeit und Gelegenheit sein, solche Bestimmungen festzusetzen, ohne daß die eine Partei ungebührlich für ihren eigenen Vortheil sorgt? Es dürften doch noch so viele Ehrenmänner unter den Demokraten im Kongresse zu finden sein, daß sie in einer so wichtigen Frage in Gemeinschaft mit den Republikanern das Partei¬ interesse dem Interesse der ganzen Republik unterordneten. Im Juni d. I. machten übrigens auch die Sozialdemokraten in den Vereinigten Staaten wieder einmal von sich reden. Es wurden große Partei¬ demonstrationen in Form von allgemeinen Strikes in Aussicht gestellt, und das Kommunistenblcitt, die „New-Iorker Volkszeitung", ließ sich also vernehmen: „Wir glauben es offen sagen zu müssen, und jeder unserer Gesinnungsgenossen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/344>, abgerufen am 01.09.2024.