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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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über deutsche Volksetymologie nachgewiesen hat. Es entwickelten sich aus Christian
allmählich folgende Formen: Kristen, Kresten, Kirsten, Kersten, Kirschten, Kirschstein.

Zu den Schwierigkeiten, welche die Volksetymologie der Worterklärung in
den Weg legt, kommt endlich noch die oft ganz fehlerhafte Schreibung der Namen
hinzu. Wir betrachten es zwar als einen Beweis völliger Unbildung, wenn
jemand seinen Namen nicht richtig schreiben kann, aber leider kommt dies gar
nicht Sellero or, und namentlich in früheren Zeiten finden wir denselben Namen
von denselben Personen oft ganz verschieden geschrieben. Hat doch selbst Schiller
in der Schreibung seines Vornamens geschwankt: während er noch auf der
zweiten Auflage der "Räuber" vom Jahre 1782 Friderich schreibt, gebraucht
er zehn Jahre später bei Herausgabe des Historischen Taschenkalenders für
Damen die übliche Form Friedrich. Vertauschungen von b und p, von d und t,
en und el, ü und i sind bei Namen ganz gewöhnlich: wir finden neben einander
Burghard und Purkhart, Theobald und Dippold (eigentlich Dietbald, der Volks¬
kühne), Leuthold und Leidhold, Kühne und Kieme. Daneben kommen auch ab¬
sichtliche Namensentstellungen vor, wie es bei den Namen Schweingel und
Ungerleider unschwer zu erkennen ist. So soll Kaulbach ursprünglich Kahl¬
bauch gelautet haben, und sicher ist es, daß der in musikalischen Kreisen oft
genannte Name Gutschbach vor nicht langer Zeit erst sich aus dem alten Gutzsche-
bauch metamorphosirt hat.

Trotz aller dieser Schwierigkeiten steht es aber doch nicht so verzweifelt
um die Deutung unserer Familiennamen, wie es scheinen könnte. Durch unsere
immer tiefer eindringende Kenntniß des Altdeutschen, durch die methodische
Erforschung der alten Ncnnensformen, durch die Vergleichung unserer Namen
mit denen der verwandten Sprachen sind auch auf diesem Gebiete der Sprach¬
forschung in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht worden. Männer
wie Pott, Förstemann, Umdrehen, Stark und Fick sind in dieser Hinsicht be¬
sonders hervorzuheben.

Unsere eigentlichen Familiennamen sind gar nicht alt, sie existiren erst seit
etwa 400 Jahren. Allerdings kommen in adelichen Häusern schon im 12. und
13. Jahrhundert Familiennamen vor -- man nannte sich nach dem Stamm¬
sitze --, in weiteren Kreisen aber wurden die Familiennamen erst im 15. Jahr¬
hundert gebräuchlich. Allgemein durchgeführt send sie sogar erst feit Anfang
unseres Jahrhunderts. Am längsten sträubten sich dagegen die Friesen und die
Juden; den letzteren mußte noch im Jahre 1812 dnrch einen Erlaß von Harden-
berg ausdrücklich befohlen werden, Familiennamen anzunehmen. Daher kommt
es, daß die jüdischen Familiennamen etwas so Modernes haben: man denke
nur an Rosenkranz, Rosenzweig, Rosenthal, Blumenstengel, Kornblum, Silber¬
stein, Rubinstein u. a. Früher hatte jeder Mensch nur einen einzigen Namen,


über deutsche Volksetymologie nachgewiesen hat. Es entwickelten sich aus Christian
allmählich folgende Formen: Kristen, Kresten, Kirsten, Kersten, Kirschten, Kirschstein.

Zu den Schwierigkeiten, welche die Volksetymologie der Worterklärung in
den Weg legt, kommt endlich noch die oft ganz fehlerhafte Schreibung der Namen
hinzu. Wir betrachten es zwar als einen Beweis völliger Unbildung, wenn
jemand seinen Namen nicht richtig schreiben kann, aber leider kommt dies gar
nicht Sellero or, und namentlich in früheren Zeiten finden wir denselben Namen
von denselben Personen oft ganz verschieden geschrieben. Hat doch selbst Schiller
in der Schreibung seines Vornamens geschwankt: während er noch auf der
zweiten Auflage der „Räuber" vom Jahre 1782 Friderich schreibt, gebraucht
er zehn Jahre später bei Herausgabe des Historischen Taschenkalenders für
Damen die übliche Form Friedrich. Vertauschungen von b und p, von d und t,
en und el, ü und i sind bei Namen ganz gewöhnlich: wir finden neben einander
Burghard und Purkhart, Theobald und Dippold (eigentlich Dietbald, der Volks¬
kühne), Leuthold und Leidhold, Kühne und Kieme. Daneben kommen auch ab¬
sichtliche Namensentstellungen vor, wie es bei den Namen Schweingel und
Ungerleider unschwer zu erkennen ist. So soll Kaulbach ursprünglich Kahl¬
bauch gelautet haben, und sicher ist es, daß der in musikalischen Kreisen oft
genannte Name Gutschbach vor nicht langer Zeit erst sich aus dem alten Gutzsche-
bauch metamorphosirt hat.

Trotz aller dieser Schwierigkeiten steht es aber doch nicht so verzweifelt
um die Deutung unserer Familiennamen, wie es scheinen könnte. Durch unsere
immer tiefer eindringende Kenntniß des Altdeutschen, durch die methodische
Erforschung der alten Ncnnensformen, durch die Vergleichung unserer Namen
mit denen der verwandten Sprachen sind auch auf diesem Gebiete der Sprach¬
forschung in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht worden. Männer
wie Pott, Förstemann, Umdrehen, Stark und Fick sind in dieser Hinsicht be¬
sonders hervorzuheben.

Unsere eigentlichen Familiennamen sind gar nicht alt, sie existiren erst seit
etwa 400 Jahren. Allerdings kommen in adelichen Häusern schon im 12. und
13. Jahrhundert Familiennamen vor — man nannte sich nach dem Stamm¬
sitze —, in weiteren Kreisen aber wurden die Familiennamen erst im 15. Jahr¬
hundert gebräuchlich. Allgemein durchgeführt send sie sogar erst feit Anfang
unseres Jahrhunderts. Am längsten sträubten sich dagegen die Friesen und die
Juden; den letzteren mußte noch im Jahre 1812 dnrch einen Erlaß von Harden-
berg ausdrücklich befohlen werden, Familiennamen anzunehmen. Daher kommt
es, daß die jüdischen Familiennamen etwas so Modernes haben: man denke
nur an Rosenkranz, Rosenzweig, Rosenthal, Blumenstengel, Kornblum, Silber¬
stein, Rubinstein u. a. Früher hatte jeder Mensch nur einen einzigen Namen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/330>, abgerufen am 06.10.2024.