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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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machen, Lili zu entbehren, aber entsprach dieser Versuch seinem Wunsche? Er
war hinausgegangen, "hoffnungsvoll, ihre Schicksale zu verbinden". Als er
wegreiste, hatte Andre eben "Erwin und Elmire" fertig komponirt, und die
Operette wurde in Goethe's Abwesenheit zum ersten Male im Mai 1775 in
Frankfurt aufgeführt. Ohne Zweifel hoffte er von einer günstigen Aufnahme
des Stückes auch für feine Stellung zur Familie Schvnemann etwas. Daher
schreibt er am 16. Mai von Mannheim aus an Johanna Fahlmer: "Wenn
Erwin aufgeführt wird, bitt ich doch um eine Relativ" . . . Und ob Lilli
drinn war?" Am 22. Mai schreibt er aus Straßburg an dieselbe Freundin:
"Noch fühl ich, ist der Hauptzweck meiner Reise verfehlt, und komm ich wieder,
ist's dem Bären schlimmer als vorher. Ich weis es wohl ich bin ein Thor,
Allein drum bin ich's doch -- und warum soll man das Lämpgen auslöschen,
das einem so artig auf dem Weege des Lebens vorleuchtet und dämmert", und
zwei Tage später: "Dancke für den Brief, hoffe weiter! -- Hoffe von der
Vorstellung Erwins."

Schwere Tage erwarteten ihn in Emmendingen bei der Schwester. Größere
Gegensätze von Frauen als Lili und Cornelie sind kaum denkbar. Goethe's
Schwester war weder schön noch sonderlich liebenswürdig; sie war nach Goethe's
eigner Aeußerung "aller Leidenschaft und aller Sinnlichkeit baar". Dazu war
sie vergrämt und verbittert, weil sie in ihrer Ehe sich nicht glücklich fühlte.
Eine gefährlichere Richterin über Lili konnte es nicht geben als Schlosser's
Frau. Sie sah denn auch das Verhältniß ihres Bruders in düstern Farben
und empfahl, ja befahl ihm aufs ernsteste, sich von Lili zu trennen. "Es schien
ihr hart, ein solches Frauenzimmer, von dem sie sich die höchsten Begriffe
gemacht hatte, aus einer, wo nicht glänzenden, doch lebhaft bewegten Existenz
herauszuzerren in unser zwar löbliches, aber doch nicht zu bedeutenden Gesell¬
schaften eingerichtetes Haus, zwischen einen wohlwollenden, ungesprächigeu, aber
gern didaktischen Vater und eine in ihrer Art höchst häuslich-thätige
Mutter, welche doch nach vollbrachtem Geschäft bei einer bequemen Handarbeit
nicht gestört sein wollte in einem gemüthlichen Gespräche mit jungen heran¬
gezogenen und auserwählten Persönlichkeiten. Dagegen setzte sie mir Lili's
Verhältnisse lebhaft in's Klare; denn ich hatte ihr theils schon in Briefen, theils
aber in leidenschaftlich geschwätziger Vertraulichkeit Alles haarklein vorgetragen.
Leider war ihre Schilderung nur eine umständliche wohlgesinnte Ausführung
dessen, was ein Ohrenbläser von Freund, dem man nach und nach nichts Gutes
zutraute, mit wenigen charakteristischen Zügen einzuflüstern bemüht gewesen."
Ueber die Person dieses "Ohrenbläsers" läßt sich nichts auch nur annähernd
vermuthen. Aber obwohl Goethe der Schwester in manchen Stücken Recht
lassen mußte, zu einem Versprechen konnte er sich nicht verstehen und verließ


machen, Lili zu entbehren, aber entsprach dieser Versuch seinem Wunsche? Er
war hinausgegangen, „hoffnungsvoll, ihre Schicksale zu verbinden". Als er
wegreiste, hatte Andre eben „Erwin und Elmire" fertig komponirt, und die
Operette wurde in Goethe's Abwesenheit zum ersten Male im Mai 1775 in
Frankfurt aufgeführt. Ohne Zweifel hoffte er von einer günstigen Aufnahme
des Stückes auch für feine Stellung zur Familie Schvnemann etwas. Daher
schreibt er am 16. Mai von Mannheim aus an Johanna Fahlmer: „Wenn
Erwin aufgeführt wird, bitt ich doch um eine Relativ« . . . Und ob Lilli
drinn war?" Am 22. Mai schreibt er aus Straßburg an dieselbe Freundin:
„Noch fühl ich, ist der Hauptzweck meiner Reise verfehlt, und komm ich wieder,
ist's dem Bären schlimmer als vorher. Ich weis es wohl ich bin ein Thor,
Allein drum bin ich's doch — und warum soll man das Lämpgen auslöschen,
das einem so artig auf dem Weege des Lebens vorleuchtet und dämmert", und
zwei Tage später: „Dancke für den Brief, hoffe weiter! — Hoffe von der
Vorstellung Erwins."

Schwere Tage erwarteten ihn in Emmendingen bei der Schwester. Größere
Gegensätze von Frauen als Lili und Cornelie sind kaum denkbar. Goethe's
Schwester war weder schön noch sonderlich liebenswürdig; sie war nach Goethe's
eigner Aeußerung „aller Leidenschaft und aller Sinnlichkeit baar". Dazu war
sie vergrämt und verbittert, weil sie in ihrer Ehe sich nicht glücklich fühlte.
Eine gefährlichere Richterin über Lili konnte es nicht geben als Schlosser's
Frau. Sie sah denn auch das Verhältniß ihres Bruders in düstern Farben
und empfahl, ja befahl ihm aufs ernsteste, sich von Lili zu trennen. „Es schien
ihr hart, ein solches Frauenzimmer, von dem sie sich die höchsten Begriffe
gemacht hatte, aus einer, wo nicht glänzenden, doch lebhaft bewegten Existenz
herauszuzerren in unser zwar löbliches, aber doch nicht zu bedeutenden Gesell¬
schaften eingerichtetes Haus, zwischen einen wohlwollenden, ungesprächigeu, aber
gern didaktischen Vater und eine in ihrer Art höchst häuslich-thätige
Mutter, welche doch nach vollbrachtem Geschäft bei einer bequemen Handarbeit
nicht gestört sein wollte in einem gemüthlichen Gespräche mit jungen heran¬
gezogenen und auserwählten Persönlichkeiten. Dagegen setzte sie mir Lili's
Verhältnisse lebhaft in's Klare; denn ich hatte ihr theils schon in Briefen, theils
aber in leidenschaftlich geschwätziger Vertraulichkeit Alles haarklein vorgetragen.
Leider war ihre Schilderung nur eine umständliche wohlgesinnte Ausführung
dessen, was ein Ohrenbläser von Freund, dem man nach und nach nichts Gutes
zutraute, mit wenigen charakteristischen Zügen einzuflüstern bemüht gewesen."
Ueber die Person dieses „Ohrenbläsers" läßt sich nichts auch nur annähernd
vermuthen. Aber obwohl Goethe der Schwester in manchen Stücken Recht
lassen mußte, zu einem Versprechen konnte er sich nicht verstehen und verließ


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/326>, abgerufen am 01.09.2024.