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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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wollte wohl am liebsten einen Geschäftsmann zum Schwiegersohne haben;
Goethe schien ihr nicht die nöthigen Bürgschaften zu bieten, daß er in eine
reguläre Berufsthätigkeit einlenken und sich eine gesicherte äußere Lebensstel¬
lung erringen werde. Dazu kam, daß der endlose Klatsch, der gerade damals
über die realen Grundlagen der Wertherdichtung in Umlauf war, den Dichter
zwar zu einer äußerst interessanten Figur machte, deren Bekanntschaft auch den
vornehmsten Kreisen schmeichelte, mit der man aber nicht gerade in Familien-
Verbindung zu treten wünschte. Dein Vater Goethe's wiederum wollte Lili, "die
Staatsdame, wie er sie im Vertrauen gegen seine Gattin zu nennen Pflegte, keines¬
wegs anmuthen"; er hatte wohl auch den Argwohn, den, wie sich später zeigte,
nicht unbegründeten Argwohn, daß der Luxus des Schöuemann'schen Hauses
kunst ans der festesten Grundlage ruhe. Und vielleicht wären die Eltern uoch
eher zu vereinigen gewesen; aber die beiderseitigen Geschwister, Lili's ältere
Brüder, denen Goethe's singulüre Erscheinung unbequem sein mochte, und Goethe's
Schwester Cornelie, die durch Lili allerdings sehr in den Schatten gestellt
wurde, scheinen vor allem gegen eine Heirath eingenommen gewesen zu sein.

Doch alle diese Hindernisse wären zu beseitigen gewesen, wenn die beiden
Liebenden fest zu einander gestanden hätten. War dem aber wirklich so?
Nur von Lili wissen wir, daß sie mit unerschütterlicher Treue an Goethe hing
und durch keine Macht sich von ihm wollte abbringen lassen. Aber Goethe?
Er selbst gesteht: "Ich, der ich mir fest vorgenommen hatte, kein schleppendes
Verhältniß wieder anzuknüpfen, und mich doch in dieses ohne Sicherheit eines
günstigen Erfolges wieder verschlungen fand, war wirklich von einem Stumpf¬
sinn befangen, von dem ich mich zu retten, mich immer mehr in gleichgiltige,
weltliche Geschäfte verwickelte, aus denen ich auch nur wieder Vortheil und
Zufriedenheit an der Hand der Geliebten zu gewinnen hoffen durfte." Hier
liegt der entscheidende Grund. Goethe mag wirklich diesmal ans Heirathen
gedacht haben; er arbeitete damals fleißig, suchte seinen juristischen Geschäfts¬
kreis zu erweitern und steuerte ans eine einträgliche Anstellung in Frankfurt
los. Trotzdem konnte er sich nicht entschließen, wirklich Ernst zu machen. Der
ruhige Besitz lockte ihn nicht, nur das Gewinnen und Erobern hatte Reiz für
ihn. Ja, bei dem bloßen Gedanken, sich für das Leben zu binden, befiel ihn
eine förmliche Angst, und so schwebte er unaufhörlich zwischen Liebesleidenschaft
und Bangigkeit, Wollen und Nichtwollen, Zweifel und Entschluß -- Weisungen,
Clavigo, Fernando.

An einen eklatanten Abbruch des Verhältnisses war natürlich nicht zu
denken, er war auch unnöthig, da eine offizielle Verlobung nicht stattgefunden
hatte. Aber man konnte den Versuch machen, die Leidenschaften sich abkühlen,
das Verhältniß langsam wieder einschlafen zu lassen. Dies war am ehesten


wollte wohl am liebsten einen Geschäftsmann zum Schwiegersohne haben;
Goethe schien ihr nicht die nöthigen Bürgschaften zu bieten, daß er in eine
reguläre Berufsthätigkeit einlenken und sich eine gesicherte äußere Lebensstel¬
lung erringen werde. Dazu kam, daß der endlose Klatsch, der gerade damals
über die realen Grundlagen der Wertherdichtung in Umlauf war, den Dichter
zwar zu einer äußerst interessanten Figur machte, deren Bekanntschaft auch den
vornehmsten Kreisen schmeichelte, mit der man aber nicht gerade in Familien-
Verbindung zu treten wünschte. Dein Vater Goethe's wiederum wollte Lili, „die
Staatsdame, wie er sie im Vertrauen gegen seine Gattin zu nennen Pflegte, keines¬
wegs anmuthen"; er hatte wohl auch den Argwohn, den, wie sich später zeigte,
nicht unbegründeten Argwohn, daß der Luxus des Schöuemann'schen Hauses
kunst ans der festesten Grundlage ruhe. Und vielleicht wären die Eltern uoch
eher zu vereinigen gewesen; aber die beiderseitigen Geschwister, Lili's ältere
Brüder, denen Goethe's singulüre Erscheinung unbequem sein mochte, und Goethe's
Schwester Cornelie, die durch Lili allerdings sehr in den Schatten gestellt
wurde, scheinen vor allem gegen eine Heirath eingenommen gewesen zu sein.

Doch alle diese Hindernisse wären zu beseitigen gewesen, wenn die beiden
Liebenden fest zu einander gestanden hätten. War dem aber wirklich so?
Nur von Lili wissen wir, daß sie mit unerschütterlicher Treue an Goethe hing
und durch keine Macht sich von ihm wollte abbringen lassen. Aber Goethe?
Er selbst gesteht: „Ich, der ich mir fest vorgenommen hatte, kein schleppendes
Verhältniß wieder anzuknüpfen, und mich doch in dieses ohne Sicherheit eines
günstigen Erfolges wieder verschlungen fand, war wirklich von einem Stumpf¬
sinn befangen, von dem ich mich zu retten, mich immer mehr in gleichgiltige,
weltliche Geschäfte verwickelte, aus denen ich auch nur wieder Vortheil und
Zufriedenheit an der Hand der Geliebten zu gewinnen hoffen durfte." Hier
liegt der entscheidende Grund. Goethe mag wirklich diesmal ans Heirathen
gedacht haben; er arbeitete damals fleißig, suchte seinen juristischen Geschäfts¬
kreis zu erweitern und steuerte ans eine einträgliche Anstellung in Frankfurt
los. Trotzdem konnte er sich nicht entschließen, wirklich Ernst zu machen. Der
ruhige Besitz lockte ihn nicht, nur das Gewinnen und Erobern hatte Reiz für
ihn. Ja, bei dem bloßen Gedanken, sich für das Leben zu binden, befiel ihn
eine förmliche Angst, und so schwebte er unaufhörlich zwischen Liebesleidenschaft
und Bangigkeit, Wollen und Nichtwollen, Zweifel und Entschluß — Weisungen,
Clavigo, Fernando.

An einen eklatanten Abbruch des Verhältnisses war natürlich nicht zu
denken, er war auch unnöthig, da eine offizielle Verlobung nicht stattgefunden
hatte. Aber man konnte den Versuch machen, die Leidenschaften sich abkühlen,
das Verhältniß langsam wieder einschlafen zu lassen. Dies war am ehesten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/324>, abgerufen am 01.09.2024.