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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Bin ich's noch, den dn bei so viel Lichtern
An dem Spieltisch hältst?
Oft so unerträglichen Gesichtern
Gegenüberstellst?

Auch noch eine dritte Strophe an Lili gehört dieser Zeit an: die Zeilen, mit
denen er ihr "Erwin und Elmire", das Ende Januar zum Druck fertig ge¬
worden war, widmete:


Den kleinen Strauß, den ich hier binde,
Pflücke' ich aus diesem Herzen hier.
Nimm ihn gefällig auf. Belinde!
Der kleine Strauß, er kommt von mir.

Die winterlichen Vergnügungen endeten am 28. Februar mit einem Fast¬
nachtsball, den Goethe an Lili's Seite genoß. Die folgenden Wochen, wo er
wohl ungestörter als bisher mit der Geliebten verkehren konnte, waren nicht
dazu angethan, seine Leidenschaft abzukühlen; im Gegentheil, sein Herz stand
in vollen Flammen, das ganze Verhältniß drängte bereits zu einer Entschei¬
dung. Aber je enger er sich an Lili gekettet sah, umsomehr bangte ihm vor
dem Gedanken, sich für immer zu fesseln; zudem war bisher weder Lili's
Mutter noch Goethe's Eltern für die Verbindung gewonnen, und so schwankte
und zweifelte und zauderte er und wagte nicht, den entscheidenden Schritt zu
thun. Am 19. März schreibt er an die Stolberg: "Mir ist's wieder eine Zeit
her sür Wohl und Weh, daß ich nicht weiß, ob ich auf der Welt bin, und da
ist mir's doch, als wär' ich im Himmel", und am 25. März an Herder: "Es
sieht aus, als wenn die Zwirusfädcheu, an denen mein Schicksal hängt, und
die ich schon so lange in rotirender Oscillation auf- und zutrille, sich endlich
knüpfen wollten", was Herder so verstand, wie es zu verstehen war, und wie
er es Anfang Mai in einem Briefe an Heumann reproduzirt: "Goethe geht in
Heirathsgedanken."

Der unangenehme Beigeschmack, den das Gesellschaftstreiben der Winter¬
monate seinem zärtlichen Verhältniß gegeben, machte sich aufs neue fühlbar,
als die Ostermesse, die 1775 am 2. April ihren offiziellen Anfang nahm, that¬
sächlich aber stets schon einige Tage vor dem Termin begann, der Familie
Schönemann die üblichen Meßgäste zuführte. "Alle Handelsfreunde des bedeu¬
tenden Hauses kamen nach und nach heran, und es offenbarte sich schnell, daß
keiner einen gewissen Antheil an der liebenswürdigen Tochter völlig aufgeben
wollte uoch konnte. Die Jüngeren, ohne zudringlich zu sein, erschienen doch
als Wohlbekannte; die Mittlern, mit einem gewissen verbindlichen Anstand,
wie solche, die sich beliebt machen und allenfalls mit höheren Ansprüchen her¬
vortreten möchten. Es waren schöne Männer darunter mit dem Behagen eines


Grenzboten III. 1379. 41,
Bin ich's noch, den dn bei so viel Lichtern
An dem Spieltisch hältst?
Oft so unerträglichen Gesichtern
Gegenüberstellst?

Auch noch eine dritte Strophe an Lili gehört dieser Zeit an: die Zeilen, mit
denen er ihr „Erwin und Elmire", das Ende Januar zum Druck fertig ge¬
worden war, widmete:


Den kleinen Strauß, den ich hier binde,
Pflücke' ich aus diesem Herzen hier.
Nimm ihn gefällig auf. Belinde!
Der kleine Strauß, er kommt von mir.

Die winterlichen Vergnügungen endeten am 28. Februar mit einem Fast¬
nachtsball, den Goethe an Lili's Seite genoß. Die folgenden Wochen, wo er
wohl ungestörter als bisher mit der Geliebten verkehren konnte, waren nicht
dazu angethan, seine Leidenschaft abzukühlen; im Gegentheil, sein Herz stand
in vollen Flammen, das ganze Verhältniß drängte bereits zu einer Entschei¬
dung. Aber je enger er sich an Lili gekettet sah, umsomehr bangte ihm vor
dem Gedanken, sich für immer zu fesseln; zudem war bisher weder Lili's
Mutter noch Goethe's Eltern für die Verbindung gewonnen, und so schwankte
und zweifelte und zauderte er und wagte nicht, den entscheidenden Schritt zu
thun. Am 19. März schreibt er an die Stolberg: „Mir ist's wieder eine Zeit
her sür Wohl und Weh, daß ich nicht weiß, ob ich auf der Welt bin, und da
ist mir's doch, als wär' ich im Himmel", und am 25. März an Herder: „Es
sieht aus, als wenn die Zwirusfädcheu, an denen mein Schicksal hängt, und
die ich schon so lange in rotirender Oscillation auf- und zutrille, sich endlich
knüpfen wollten", was Herder so verstand, wie es zu verstehen war, und wie
er es Anfang Mai in einem Briefe an Heumann reproduzirt: „Goethe geht in
Heirathsgedanken."

Der unangenehme Beigeschmack, den das Gesellschaftstreiben der Winter¬
monate seinem zärtlichen Verhältniß gegeben, machte sich aufs neue fühlbar,
als die Ostermesse, die 1775 am 2. April ihren offiziellen Anfang nahm, that¬
sächlich aber stets schon einige Tage vor dem Termin begann, der Familie
Schönemann die üblichen Meßgäste zuführte. „Alle Handelsfreunde des bedeu¬
tenden Hauses kamen nach und nach heran, und es offenbarte sich schnell, daß
keiner einen gewissen Antheil an der liebenswürdigen Tochter völlig aufgeben
wollte uoch konnte. Die Jüngeren, ohne zudringlich zu sein, erschienen doch
als Wohlbekannte; die Mittlern, mit einem gewissen verbindlichen Anstand,
wie solche, die sich beliebt machen und allenfalls mit höheren Ansprüchen her¬
vortreten möchten. Es waren schöne Männer darunter mit dem Behagen eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/319>, abgerufen am 01.09.2024.