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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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an Auguste Stolberg vom 13. Februar 1775. Der Dichter kommt sich vor,
als ob eine Verwandlung mit ihm vorgegangen, als ob ein zweites Wesen von
ihm abgezweigt worden sei. "Wenn Sie sich, meine Liebe, -- schreibt er --
einen Goethe vorstellen können, der im galonirten Rock, sonst von Kopf zu
Fuse auch in leidlich konsistenter Galanterie, umleuchtet vom unbedeutenden
Prachtglanze der Wandleuchter und Kronenleuchter, mitten unter allerley Leuten,
von ein Paar schönen Augen am Spieltische gehalten wird, der in abwechselnder
Zerstreuung aus der Gesellschaft, ins Conzert, und von da auf den Ball ge¬
trieben wird, und mit allem Interesse des Leichtsinns, einer niedlichen Blon¬
dine den Hof macht; so haben Sie den gegenwärtigen Fastnachts Goethe, der
Sie manchmal vergißt, weil er sich in Ihrer Gegenwart ganz unausstehlich
fühlt. Aber nun giebts noch einen, den im grauen Biberfrack mit dem braun-
seidnen Halstuche, und Stiefeln, der in der streichenden Februarluft schon den
Frühling ahndet, dem nun bald seine liebe weite Welt wieder geöffnet wird,
der immer in sich lebend, strebend und arbeitend, bald die unschuldigen Ge¬
fühlen der Jugend in kleinen Gedichten, das kräfftige Gewürze des Lebens in
mancherley Dramas, die Gestalten seiner Freunde und seiner Gegenden und
seines geliebten Hausraths mit Kreide aus grauem Papier, nach seiner Maase
auszudrücken sucht, weder rechts noch links fragt: was von dem gehalten werde
was er machte? weil er arbeitend immer gleich eine Stufe hoher steigt, weil
er nach keinem Ideale springen, sondern seine Gefühle sich zu Fähigkeiten,
kämpfend und spielend, entwickeln lassen will. Das ist der, dem Sie nicht aus
dem Sinne kommen." Zwei Tage später schreibt er auch an Sophie La Roche,
sich entschuldigend, daß er wochenlang nicht geschrieben: "Hernach bin ich auch
so ein Fassnachts Goethe in Schwarm und Saus, daß nichts mit mir anzu¬
fangen ist."

Aus diesen Februartagen stammen die beiden herrlichen Lieder, die den¬
selben Empfindungen dichterischen Ausdruck geben: "Herz, mein Herz, was
soll das geben?" und "Warum ziehst du mich unwiderstehlich". Mit hinrei¬
ßender Wahrheit und Lebendigkeit malt das erste die dem Dichter selbst un¬
faßbare Wandlung, die mit ihm vorgegangen, seit er von dem unzerreißbaren
Zauberfädchen des "lieben, losen Mädchens" gefesselt ist; das zweite athmet
dieselbe Stimmung, bringt aber vor allem die prosaische Kehrseite seiner Lage
zum Ausdruck. Es ist, als ob er den Brief an die Stolberg in Verse ge¬
bracht hätte, wenn er singt:


Warum ziehst du mich unwiderstehlich,
Ach, in jene Pracht!
War ich guter Junge nicht so selig
In der öden Nacht?

an Auguste Stolberg vom 13. Februar 1775. Der Dichter kommt sich vor,
als ob eine Verwandlung mit ihm vorgegangen, als ob ein zweites Wesen von
ihm abgezweigt worden sei. „Wenn Sie sich, meine Liebe, — schreibt er —
einen Goethe vorstellen können, der im galonirten Rock, sonst von Kopf zu
Fuse auch in leidlich konsistenter Galanterie, umleuchtet vom unbedeutenden
Prachtglanze der Wandleuchter und Kronenleuchter, mitten unter allerley Leuten,
von ein Paar schönen Augen am Spieltische gehalten wird, der in abwechselnder
Zerstreuung aus der Gesellschaft, ins Conzert, und von da auf den Ball ge¬
trieben wird, und mit allem Interesse des Leichtsinns, einer niedlichen Blon¬
dine den Hof macht; so haben Sie den gegenwärtigen Fastnachts Goethe, der
Sie manchmal vergißt, weil er sich in Ihrer Gegenwart ganz unausstehlich
fühlt. Aber nun giebts noch einen, den im grauen Biberfrack mit dem braun-
seidnen Halstuche, und Stiefeln, der in der streichenden Februarluft schon den
Frühling ahndet, dem nun bald seine liebe weite Welt wieder geöffnet wird,
der immer in sich lebend, strebend und arbeitend, bald die unschuldigen Ge¬
fühlen der Jugend in kleinen Gedichten, das kräfftige Gewürze des Lebens in
mancherley Dramas, die Gestalten seiner Freunde und seiner Gegenden und
seines geliebten Hausraths mit Kreide aus grauem Papier, nach seiner Maase
auszudrücken sucht, weder rechts noch links fragt: was von dem gehalten werde
was er machte? weil er arbeitend immer gleich eine Stufe hoher steigt, weil
er nach keinem Ideale springen, sondern seine Gefühle sich zu Fähigkeiten,
kämpfend und spielend, entwickeln lassen will. Das ist der, dem Sie nicht aus
dem Sinne kommen." Zwei Tage später schreibt er auch an Sophie La Roche,
sich entschuldigend, daß er wochenlang nicht geschrieben: „Hernach bin ich auch
so ein Fassnachts Goethe in Schwarm und Saus, daß nichts mit mir anzu¬
fangen ist."

Aus diesen Februartagen stammen die beiden herrlichen Lieder, die den¬
selben Empfindungen dichterischen Ausdruck geben: „Herz, mein Herz, was
soll das geben?" und „Warum ziehst du mich unwiderstehlich". Mit hinrei¬
ßender Wahrheit und Lebendigkeit malt das erste die dem Dichter selbst un¬
faßbare Wandlung, die mit ihm vorgegangen, seit er von dem unzerreißbaren
Zauberfädchen des „lieben, losen Mädchens" gefesselt ist; das zweite athmet
dieselbe Stimmung, bringt aber vor allem die prosaische Kehrseite seiner Lage
zum Ausdruck. Es ist, als ob er den Brief an die Stolberg in Verse ge¬
bracht hätte, wenn er singt:


Warum ziehst du mich unwiderstehlich,
Ach, in jene Pracht!
War ich guter Junge nicht so selig
In der öden Nacht?

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[0318] an Auguste Stolberg vom 13. Februar 1775. Der Dichter kommt sich vor, als ob eine Verwandlung mit ihm vorgegangen, als ob ein zweites Wesen von ihm abgezweigt worden sei. „Wenn Sie sich, meine Liebe, — schreibt er — einen Goethe vorstellen können, der im galonirten Rock, sonst von Kopf zu Fuse auch in leidlich konsistenter Galanterie, umleuchtet vom unbedeutenden Prachtglanze der Wandleuchter und Kronenleuchter, mitten unter allerley Leuten, von ein Paar schönen Augen am Spieltische gehalten wird, der in abwechselnder Zerstreuung aus der Gesellschaft, ins Conzert, und von da auf den Ball ge¬ trieben wird, und mit allem Interesse des Leichtsinns, einer niedlichen Blon¬ dine den Hof macht; so haben Sie den gegenwärtigen Fastnachts Goethe, der Sie manchmal vergißt, weil er sich in Ihrer Gegenwart ganz unausstehlich fühlt. Aber nun giebts noch einen, den im grauen Biberfrack mit dem braun- seidnen Halstuche, und Stiefeln, der in der streichenden Februarluft schon den Frühling ahndet, dem nun bald seine liebe weite Welt wieder geöffnet wird, der immer in sich lebend, strebend und arbeitend, bald die unschuldigen Ge¬ fühlen der Jugend in kleinen Gedichten, das kräfftige Gewürze des Lebens in mancherley Dramas, die Gestalten seiner Freunde und seiner Gegenden und seines geliebten Hausraths mit Kreide aus grauem Papier, nach seiner Maase auszudrücken sucht, weder rechts noch links fragt: was von dem gehalten werde was er machte? weil er arbeitend immer gleich eine Stufe hoher steigt, weil er nach keinem Ideale springen, sondern seine Gefühle sich zu Fähigkeiten, kämpfend und spielend, entwickeln lassen will. Das ist der, dem Sie nicht aus dem Sinne kommen." Zwei Tage später schreibt er auch an Sophie La Roche, sich entschuldigend, daß er wochenlang nicht geschrieben: „Hernach bin ich auch so ein Fassnachts Goethe in Schwarm und Saus, daß nichts mit mir anzu¬ fangen ist." Aus diesen Februartagen stammen die beiden herrlichen Lieder, die den¬ selben Empfindungen dichterischen Ausdruck geben: „Herz, mein Herz, was soll das geben?" und „Warum ziehst du mich unwiderstehlich". Mit hinrei¬ ßender Wahrheit und Lebendigkeit malt das erste die dem Dichter selbst un¬ faßbare Wandlung, die mit ihm vorgegangen, seit er von dem unzerreißbaren Zauberfädchen des „lieben, losen Mädchens" gefesselt ist; das zweite athmet dieselbe Stimmung, bringt aber vor allem die prosaische Kehrseite seiner Lage zum Ausdruck. Es ist, als ob er den Brief an die Stolberg in Verse ge¬ bracht hätte, wenn er singt: Warum ziehst du mich unwiderstehlich, Ach, in jene Pracht! War ich guter Junge nicht so selig In der öden Nacht?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/318>, abgerufen am 27.11.2024.