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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Hause, bei der eine musikalische Abendlmterhaltnng abgehalten wurde, und Goethe,
von dem wohl oft genug die Rede gewesen, und auf dessen persönliche Bekannt¬
schaft man neugierig war, wurde von einem Freunde -- vielleicht von dein
Musikus Kayser, der auch der Familie Schönemanu befreundet war und dort
Musikunterricht gab -- mitgenommen. Goethe selbst hat in "Dichtung und
Wahrheit" diese erste Begegnung anziehend geschildert. Kurz nach seinem Eintritt
ins Zimmer setzte sich Lili an den Flügel und spielte mit großer Fertigkeit und
Anmuth eine Sonate. Er sagte ihr darauf, wie er sich freue, "daß die erste
Bekanntschaft ihn auch zugleich mit ihren: Talent bekannt mache", und schon
an diesem Abend glaubte er "eine Anziehungskraft vou der sanftesten Art zu
empfinden". Er wiederholte daun "nach schicklichen Pausen" seinen Besuch, "da
sich denn ein heiteres verständiges Gespräch bildete, welches kein leidenschaftliches
Verhältniß zu weissagen schien". Aber es währte nicht lange, so erschlossen
sich gegenseitig ihre Herzen, und eines war wider Willen an das andere gefesselt.

Seit der aufregenden Wetzlarer Zeit war Goethe jedem Liebesverhältnis?
aus dem Wege gegangen. Zu Weihnachten 1773 schreibt er an Kestner, daß
ihn in Frankfurt "weder Liebe noch Hoffnung eines Amts" halte. Während
des ganzen Jahres 1774 mag ihm seine Stellung zu Maximiliane La Roche, die
seit dem Januar 1774 an den Frankfurter Kaufmann Brentano verheirathet war,
aber zu Goethe eine viel stärkere Zuneigung hatte als zu dem ihr aufgenöthigtcu
Mann, manchen Kummer bereitet haben; um Maximiliane's und seine eigne Ruhe
zik wahren, mied er das ganze Jahr über den Verkehr im Brentano'schen Hanse.
Um so stärker brach jetzt die lange verhaltene Flamme seiner Leidenschaft' Lili
gegenüber hervor. Lili ihrerseits fühlte sich wohl zum ersten Male in den
Banden einer ernsten Neigung. Ohne Zweifel war das schöne und liebens¬
würdige Mädchen, die einzige Tochter des für reich geltenden Hauses, auch
vorher schon von Verehrern umschwärmt worden; aber eine Zuneigung hatte sie
wohl, schon wegen ihrer großen Jugend, zu keinem von allen gesaßt. Wir
wissen wenigstens, daß sie von der Mutter, ehe Goethe sie kennen lernte, einem
Vetter Namens Mauskopf zugedacht war, dieser Plan aber an Lili's völliger
Gleichgiltigkeit scheiterte. Goethe's überwältigenden Wesen konnte sie sich nicht
entziehen. Seine strahlende Schönheit, die selbst die Männerwelt entzückte, seine
überquellende Jugendkraft, sein geistvolles Gespräch und vor allem der dich¬
terische Nimbus, der den Verfasser des "Götz", des "Werther", des "Clavigo"
umgab -- wie hätte alles' das sie nicht bezaubern sollen! "Sie konnte nicht
läugnen," sagt er selbst, "daß sie eine gewisse Gabe anzuziehen, an sich habe
bemerken mussen, womit zugleich eine gewisse Eigenschaft, fahren zu lassen, ver¬
bunden sei. Hierdurch gelangten wir im Hin- und Wiederreden auf den bedeut-


Hause, bei der eine musikalische Abendlmterhaltnng abgehalten wurde, und Goethe,
von dem wohl oft genug die Rede gewesen, und auf dessen persönliche Bekannt¬
schaft man neugierig war, wurde von einem Freunde — vielleicht von dein
Musikus Kayser, der auch der Familie Schönemanu befreundet war und dort
Musikunterricht gab — mitgenommen. Goethe selbst hat in „Dichtung und
Wahrheit" diese erste Begegnung anziehend geschildert. Kurz nach seinem Eintritt
ins Zimmer setzte sich Lili an den Flügel und spielte mit großer Fertigkeit und
Anmuth eine Sonate. Er sagte ihr darauf, wie er sich freue, „daß die erste
Bekanntschaft ihn auch zugleich mit ihren: Talent bekannt mache", und schon
an diesem Abend glaubte er „eine Anziehungskraft vou der sanftesten Art zu
empfinden". Er wiederholte daun „nach schicklichen Pausen" seinen Besuch, „da
sich denn ein heiteres verständiges Gespräch bildete, welches kein leidenschaftliches
Verhältniß zu weissagen schien". Aber es währte nicht lange, so erschlossen
sich gegenseitig ihre Herzen, und eines war wider Willen an das andere gefesselt.

Seit der aufregenden Wetzlarer Zeit war Goethe jedem Liebesverhältnis?
aus dem Wege gegangen. Zu Weihnachten 1773 schreibt er an Kestner, daß
ihn in Frankfurt „weder Liebe noch Hoffnung eines Amts" halte. Während
des ganzen Jahres 1774 mag ihm seine Stellung zu Maximiliane La Roche, die
seit dem Januar 1774 an den Frankfurter Kaufmann Brentano verheirathet war,
aber zu Goethe eine viel stärkere Zuneigung hatte als zu dem ihr aufgenöthigtcu
Mann, manchen Kummer bereitet haben; um Maximiliane's und seine eigne Ruhe
zik wahren, mied er das ganze Jahr über den Verkehr im Brentano'schen Hanse.
Um so stärker brach jetzt die lange verhaltene Flamme seiner Leidenschaft' Lili
gegenüber hervor. Lili ihrerseits fühlte sich wohl zum ersten Male in den
Banden einer ernsten Neigung. Ohne Zweifel war das schöne und liebens¬
würdige Mädchen, die einzige Tochter des für reich geltenden Hauses, auch
vorher schon von Verehrern umschwärmt worden; aber eine Zuneigung hatte sie
wohl, schon wegen ihrer großen Jugend, zu keinem von allen gesaßt. Wir
wissen wenigstens, daß sie von der Mutter, ehe Goethe sie kennen lernte, einem
Vetter Namens Mauskopf zugedacht war, dieser Plan aber an Lili's völliger
Gleichgiltigkeit scheiterte. Goethe's überwältigenden Wesen konnte sie sich nicht
entziehen. Seine strahlende Schönheit, die selbst die Männerwelt entzückte, seine
überquellende Jugendkraft, sein geistvolles Gespräch und vor allem der dich¬
terische Nimbus, der den Verfasser des „Götz", des „Werther", des „Clavigo"
umgab — wie hätte alles' das sie nicht bezaubern sollen! „Sie konnte nicht
läugnen," sagt er selbst, „daß sie eine gewisse Gabe anzuziehen, an sich habe
bemerken mussen, womit zugleich eine gewisse Eigenschaft, fahren zu lassen, ver¬
bunden sei. Hierdurch gelangten wir im Hin- und Wiederreden auf den bedeut-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/316>, abgerufen am 01.09.2024.