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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Lu Sommeraöend bei Joachim.

Vielleicht wird einer oder der andere unsrer Leser bei dein Namen Joachim
nach dem Orte fragen, wo der "Abend", der ihr Interesse in Anspruch nehmen
soll, verlebt worden sei; die meisten derselben werden aber wohl unwillkürlich
an den berühmten Meister des Violinspiels denken, der in allen Kreisen der
gebildeten Gesellschaft gekannt und als Stern erster Große am Kunsthimmel in
Ehren gehalten wird. Ich wenigstens habe die Erfahrung gemacht, daß der
Name Joachim eines weiteren Zusatzes nirgends bedarf, wenn man den
"König der Geiger", wie er ja oft genannt wird, damit bezeichnen will; zumal
in Berlin scheint Jedem, der auf dem Gebiete der Wissenschaft und Kunst nur
einigermaßen orientirt ist, sein Ruhm lebhaft vor Augen zu stehen. Bei ihm
also, in seiner am Eingange der Beethovenstraße in Berlin reizend gelegenen
Behausung, war es, wo am Abend des 29. Juli eine "Musikprobe" stattfinden
und, wie man sagte, von zwei neuen Werken eines genial begabten, kaum seit
Jahresfrist in die Öffentlichkeit getretenen Tonsetzers Kenntniß genommen
werden sollte. Das Haus des Meisters, hieß es, stehe bei solchen Gelegen¬
heiten Künstlern und Kunstfreunden offen, Jeder habe, eingeladen oder nicht,
eine freundliche Aufnahme zu gewärtigen. Diese Versicherung verscheuchte meine
Bedenken, uneingeladen hinzukommen; konnte ich doch als aufrichtiger Verehrer
seines Genius mich Joachim, dessen Gestirn ich seit seinem ersten Erscheinen
in Deutschland*) unablässig bis jetzt verfolgt hatte, mit gutem Gewissen gegen¬
überstellen. So trat ich denn zur festgesetzten Stunde, im Verein mit drei
Anderen, in die Vorhalle seines Hauses ein. Zugleich mit mir kamen der
Musiker Robert Keller, dem die große Korrektheit der Simrock'schen Ausgaben
zu verdanken ist, der "Geschäftsführer" der Handlung Simrock, und der
Komponist, dessen Werke probirt werden sollten, welcher von jenen Beiden als
ihr gemeinschaftlicher Freund eigens zum Zwecke des AnHörens schnell nach
Berlin herbeitelegraphirt worden war.

Töne, herrlich und gesangvoll, wenn sie gehalten waren, glockenrein und
mit äußerster Genauigkeit sich abgrenzend, wenn sie in flüchtigem Laufe dahin¬
schwanden, klangen in die Vorhalle heraus: kein Zweifel, daß sie von seiner
Hand und seinem Instrumente kamen. Der freundliche Diener des Hauses
hatte es nicht nöthig, zu sagen, daß der Hausherr zugegen sei. Gleich darauf
stellten sich auch die Künstler ein, welche zur "Probe" berufen waren, unter
ihnen Robert Hausmann, der von jugendlichem Feuer beseelte Meister des
Violoncello, den ich von seinem Auftreten'im Leipziger Gewandhause her bereits
ins Herz geschlossen hatte. Die Thüren zum Musiksaal öffneten sich; zu¬
sammen acht Mann, indem mich Hausmann voranschob, traten die Versam¬
melten ein. Mit jener gewinnenden, sofort das Gemüth mit Wärme erfül-



*) Joachim trat zuerst c>in 19, August d.nnals zwölf Jahre alt, in einem von
Pauline Biardot-Garcia im Gewandhaussaalc zu Leipzig gegebenen Konzerte auf, welches
mir zugleich dadurch denkwürdig geblieben ist, daß Mendelssohn sein Spiel auf dem Piano-
forte begleitete, sowie daß die Variationen für zwei Pmnoforte von Schumann zum ersten
Male öffentlich zu Gehör gebracht wurden. Letztere wurden von Clara Schumann und
Mendelssohn vorgetragen.
Lu Sommeraöend bei Joachim.

Vielleicht wird einer oder der andere unsrer Leser bei dein Namen Joachim
nach dem Orte fragen, wo der „Abend", der ihr Interesse in Anspruch nehmen
soll, verlebt worden sei; die meisten derselben werden aber wohl unwillkürlich
an den berühmten Meister des Violinspiels denken, der in allen Kreisen der
gebildeten Gesellschaft gekannt und als Stern erster Große am Kunsthimmel in
Ehren gehalten wird. Ich wenigstens habe die Erfahrung gemacht, daß der
Name Joachim eines weiteren Zusatzes nirgends bedarf, wenn man den
„König der Geiger", wie er ja oft genannt wird, damit bezeichnen will; zumal
in Berlin scheint Jedem, der auf dem Gebiete der Wissenschaft und Kunst nur
einigermaßen orientirt ist, sein Ruhm lebhaft vor Augen zu stehen. Bei ihm
also, in seiner am Eingange der Beethovenstraße in Berlin reizend gelegenen
Behausung, war es, wo am Abend des 29. Juli eine „Musikprobe" stattfinden
und, wie man sagte, von zwei neuen Werken eines genial begabten, kaum seit
Jahresfrist in die Öffentlichkeit getretenen Tonsetzers Kenntniß genommen
werden sollte. Das Haus des Meisters, hieß es, stehe bei solchen Gelegen¬
heiten Künstlern und Kunstfreunden offen, Jeder habe, eingeladen oder nicht,
eine freundliche Aufnahme zu gewärtigen. Diese Versicherung verscheuchte meine
Bedenken, uneingeladen hinzukommen; konnte ich doch als aufrichtiger Verehrer
seines Genius mich Joachim, dessen Gestirn ich seit seinem ersten Erscheinen
in Deutschland*) unablässig bis jetzt verfolgt hatte, mit gutem Gewissen gegen¬
überstellen. So trat ich denn zur festgesetzten Stunde, im Verein mit drei
Anderen, in die Vorhalle seines Hauses ein. Zugleich mit mir kamen der
Musiker Robert Keller, dem die große Korrektheit der Simrock'schen Ausgaben
zu verdanken ist, der „Geschäftsführer" der Handlung Simrock, und der
Komponist, dessen Werke probirt werden sollten, welcher von jenen Beiden als
ihr gemeinschaftlicher Freund eigens zum Zwecke des AnHörens schnell nach
Berlin herbeitelegraphirt worden war.

Töne, herrlich und gesangvoll, wenn sie gehalten waren, glockenrein und
mit äußerster Genauigkeit sich abgrenzend, wenn sie in flüchtigem Laufe dahin¬
schwanden, klangen in die Vorhalle heraus: kein Zweifel, daß sie von seiner
Hand und seinem Instrumente kamen. Der freundliche Diener des Hauses
hatte es nicht nöthig, zu sagen, daß der Hausherr zugegen sei. Gleich darauf
stellten sich auch die Künstler ein, welche zur „Probe" berufen waren, unter
ihnen Robert Hausmann, der von jugendlichem Feuer beseelte Meister des
Violoncello, den ich von seinem Auftreten'im Leipziger Gewandhause her bereits
ins Herz geschlossen hatte. Die Thüren zum Musiksaal öffneten sich; zu¬
sammen acht Mann, indem mich Hausmann voranschob, traten die Versam¬
melten ein. Mit jener gewinnenden, sofort das Gemüth mit Wärme erfül-



*) Joachim trat zuerst c>in 19, August d.nnals zwölf Jahre alt, in einem von
Pauline Biardot-Garcia im Gewandhaussaalc zu Leipzig gegebenen Konzerte auf, welches
mir zugleich dadurch denkwürdig geblieben ist, daß Mendelssohn sein Spiel auf dem Piano-
forte begleitete, sowie daß die Variationen für zwei Pmnoforte von Schumann zum ersten
Male öffentlich zu Gehör gebracht wurden. Letztere wurden von Clara Schumann und
Mendelssohn vorgetragen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/299>, abgerufen am 27.11.2024.