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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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und von einem auf einer andern Insel bekehrten Samoahäuptling geleitet es
gewagt, sich den verschrieenen Menschenfressern zu nähern. Er wurde freund¬
licher aufgenommen, als er erwartete. Durch lange blutige Bruderkriege
zerrüttet und durch die Greuelthaten einiger auf den Inseln gelandeter austra¬
lischer Sträflinge in Verwirrung gebracht, sehnte sich ein Theil der Insulaner
nach Ruhe und Frieden, und wenn auch der König Malietoa selbst keine
Neigung verspürte, die christliche Glaubenslehre anzunehmen, so legte er doch
wenigstens einem Versuche mit seinen Untergebenen kein Hinderniß in den Weg.
Im Gegentheil, er sah es gern, wenn den wi-MIo ein etwas demüthigerer und
unterwürfigerer Sinn beigebracht würde, als sie bisher gezeigt hatten. So
günstig sich aber auch anfangs die Auspizien zeigten, so sollte die vollständige
Bekehrung doch durch manches unvorhergesehene Ereigniß verzögert werden.
Williams, der bald nach seiner ersten Landung auf Samoa nach England
zurückgekehrt war, um die Erbauung eines eignen Missionsdampfers zu betreiben,
und sein Ziel auch bald erreichte, hatte die Freude, daß im 1.1837 die erste christ¬
liche Gemeinde gegründet wurde; aber bald fand er selbst auf den Kingsmill-
Jnseln den Märtyrertod. Die Bekehrung nahm nun einen langsamen Verlauf;
heftige Kriege entbrannten aus politischen wie aus religiösen Gründen, und nicht
selten standen die Christen den "Teufelsmännern", d. h. den unbekehrt gebliebenen,
gegenüber: ein solcher Krieg ans Upolu dauerte volle 10 Jahre. Erst im Jahre
1857 trat in Folge gänzlicher Erschlaffung Ruhe ein, und nun machte das
Werk der Christicinisirung schnelle Fortschritte, sodaß schon wenige Jahre nach¬
her die Samoaner äußerlich für völlig bekehrt gelten konnten.

Wie tief freilich die christliche Lehre in sie eingedrungen und ihre Sitten ge¬
ändert und gebessert hat, läßt sich vorläufig noch nicht mit Sicherheit beurtheilen.
Soviel ist sicher: etwas friedlicher, ruhiger und zu gegenseitiger Schonung geneigter
sind sie geworden. Dafür sind sie aber auch aus ihrer glücklichen Naivetät
herausgerissen und mit einer Lehre bekannt geworden, deren "Ueberwindung des
Fleisches" ihnen doch etwas unbegreiflich vorkommen dürfte. Man spricht oft
von der Erscheinung, daß die Naturvölker vor den Kulturvölkern zurückweichen
und schließlich aussterben, wie von einem Naturgesetz, dessen logische Begrün¬
dung aber nie recht gelungen ist. Vielleicht hält man den Satz deshalb für
besonders plausibel, weil er der gierigen Erwerbssucht der egoistischen Euro¬
päer einen guten Vorwand zu systematischer Vernichtung der Naturvölker abgibt.
Wenn aber darauf zunächst die Spekulationssucht der Kaufleute, Kolonisten 2c.
hinarbeitet, so scheuen wir uns nicht, es auszusprechen, daß doch auch den
Missionären ein nicht unwesentlicher Theil der Schuld zufällt. Mag jener
Satz noch so unbestreitbar sein, vom rein menschlichen Gesichtspunkte bleibt es
ein Verbrechen, ein Volk, das weder das Bedürfniß noch die Nothwendigkeit


Grenzboten III. 1379. 37

und von einem auf einer andern Insel bekehrten Samoahäuptling geleitet es
gewagt, sich den verschrieenen Menschenfressern zu nähern. Er wurde freund¬
licher aufgenommen, als er erwartete. Durch lange blutige Bruderkriege
zerrüttet und durch die Greuelthaten einiger auf den Inseln gelandeter austra¬
lischer Sträflinge in Verwirrung gebracht, sehnte sich ein Theil der Insulaner
nach Ruhe und Frieden, und wenn auch der König Malietoa selbst keine
Neigung verspürte, die christliche Glaubenslehre anzunehmen, so legte er doch
wenigstens einem Versuche mit seinen Untergebenen kein Hinderniß in den Weg.
Im Gegentheil, er sah es gern, wenn den wi-MIo ein etwas demüthigerer und
unterwürfigerer Sinn beigebracht würde, als sie bisher gezeigt hatten. So
günstig sich aber auch anfangs die Auspizien zeigten, so sollte die vollständige
Bekehrung doch durch manches unvorhergesehene Ereigniß verzögert werden.
Williams, der bald nach seiner ersten Landung auf Samoa nach England
zurückgekehrt war, um die Erbauung eines eignen Missionsdampfers zu betreiben,
und sein Ziel auch bald erreichte, hatte die Freude, daß im 1.1837 die erste christ¬
liche Gemeinde gegründet wurde; aber bald fand er selbst auf den Kingsmill-
Jnseln den Märtyrertod. Die Bekehrung nahm nun einen langsamen Verlauf;
heftige Kriege entbrannten aus politischen wie aus religiösen Gründen, und nicht
selten standen die Christen den „Teufelsmännern", d. h. den unbekehrt gebliebenen,
gegenüber: ein solcher Krieg ans Upolu dauerte volle 10 Jahre. Erst im Jahre
1857 trat in Folge gänzlicher Erschlaffung Ruhe ein, und nun machte das
Werk der Christicinisirung schnelle Fortschritte, sodaß schon wenige Jahre nach¬
her die Samoaner äußerlich für völlig bekehrt gelten konnten.

Wie tief freilich die christliche Lehre in sie eingedrungen und ihre Sitten ge¬
ändert und gebessert hat, läßt sich vorläufig noch nicht mit Sicherheit beurtheilen.
Soviel ist sicher: etwas friedlicher, ruhiger und zu gegenseitiger Schonung geneigter
sind sie geworden. Dafür sind sie aber auch aus ihrer glücklichen Naivetät
herausgerissen und mit einer Lehre bekannt geworden, deren „Ueberwindung des
Fleisches" ihnen doch etwas unbegreiflich vorkommen dürfte. Man spricht oft
von der Erscheinung, daß die Naturvölker vor den Kulturvölkern zurückweichen
und schließlich aussterben, wie von einem Naturgesetz, dessen logische Begrün¬
dung aber nie recht gelungen ist. Vielleicht hält man den Satz deshalb für
besonders plausibel, weil er der gierigen Erwerbssucht der egoistischen Euro¬
päer einen guten Vorwand zu systematischer Vernichtung der Naturvölker abgibt.
Wenn aber darauf zunächst die Spekulationssucht der Kaufleute, Kolonisten 2c.
hinarbeitet, so scheuen wir uns nicht, es auszusprechen, daß doch auch den
Missionären ein nicht unwesentlicher Theil der Schuld zufällt. Mag jener
Satz noch so unbestreitbar sein, vom rein menschlichen Gesichtspunkte bleibt es
ein Verbrechen, ein Volk, das weder das Bedürfniß noch die Nothwendigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/287>, abgerufen am 27.11.2024.