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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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ligt uns vor allem der Umstand, daß die Sage die beiden Prinzipien der
Zendreligion ziemlich deutlich erkennen läßt. Die wunderbare Lebensquelle,
deren Anblick schon Glück gewährt, und deren Wasser Unsterblichkeit verleiht,
ist nichts andres als das Lichtprinzip der Parsen, ebenso wie das Land der
Finsterniß, das den Weg zu jener Quelle versperrt, nichts andres als das
Prinzip der Finsterniß ist. Auf parsischen Ursprung deutet auch die dritte
Frage, welche Alexander an die Alten des Südens richtet, ob dem Lichte oder
der Finsterniß die Priorität zukomme. Die Alten bleiben ihm die Beantwor-
tung der Frage schuldig aus Besorgniß, er möchte uoch weiter in sie dringen
und Aufschluß über andere metaphysische Dinge von ihnen begehren. Andrer¬
seits zeigt aber ihr Schweigen, daß der Makedonier mit seiner Frage einen
Punkt berührt hat, den sie gar nicht zu beantworten im Stande sind, da Licht
und Finsterniß nach der Grundlehre des Pcirsismus von Anfang an ins Dasein
getreten sind, also von einem Früher oder Später bei ihnen gar nicht die
Rede sein kann.

Daß die Juden die Sage von den Parthern erhalten haben, wird auch
durch die Geschichte nahe gelegt. Es ist bekannt, daß nach der Zerstörung des
Tempels und nach der blutigen Unterdrückung verschiedener in Palästina aus¬
gebrochener Aufstände ein großer Theil der Judenschaft im Lande der Parther
sich niederließ, wo sie unter dem milden Regiments der Sassaniden, vor jeder
Bedrückung sicher, sich dem Gesetzesstudinm hingeben konnten. Dort entstanden
eine Reihe jüdischer Lehrhallen, und die Gesetzeskunde erreichte sehr bald eine
hohe Blüthe. Da die Juden mit den Parthern in engem Verkehr lebten, so
wird ein Ideenaustausch sehr wahrscheinlich. Enthält der Talmud doch außer
dieser Sage noch viele andere Bestandtheile des Pcirsismus. Merkwürdig bleibt
freilich dabei, wie Firdüs! bei der poetischen Gestaltung der Alexandersage, die
er bis in die geringsten Details verfolgt, gerade den wesentlichen Zug unsrer
Sage von dem durch nichts aufzuwiegenden Schädel oder Stein unerwähnt
lassen konnte. Dies läßt sich nur durch die Annahme erklären, die Sage sei
von den Parthern selbst im Laufe der Zeit nicht uach allen ihren Bestand¬
theilen in der Erinnerung festgehalten worden, was ja leicht der Fall sein
konnte, wenn man bedenkt, wie die Sassaniden mit aller Anstrengung darauf
hinarbeiteten, das Andenken der makedonischer Invasion, welche die Zend¬
religion untergraben, die heiligen Bücher dem Feuer überliefert und dafür
den griechischen Kultus zur Geltung gebracht hatte, zu verwischen. Mohl in
seiner Ausgabe des SchAMune und Görres im Heldenbuche von Iran (2,
360--400) haben sogar den Beweis geführt, daß Firdüst bei der Bearbeitung
der Alexandersage überhaupt fremden Ueberlieferungen gefolgt sei; namentlich


ligt uns vor allem der Umstand, daß die Sage die beiden Prinzipien der
Zendreligion ziemlich deutlich erkennen läßt. Die wunderbare Lebensquelle,
deren Anblick schon Glück gewährt, und deren Wasser Unsterblichkeit verleiht,
ist nichts andres als das Lichtprinzip der Parsen, ebenso wie das Land der
Finsterniß, das den Weg zu jener Quelle versperrt, nichts andres als das
Prinzip der Finsterniß ist. Auf parsischen Ursprung deutet auch die dritte
Frage, welche Alexander an die Alten des Südens richtet, ob dem Lichte oder
der Finsterniß die Priorität zukomme. Die Alten bleiben ihm die Beantwor-
tung der Frage schuldig aus Besorgniß, er möchte uoch weiter in sie dringen
und Aufschluß über andere metaphysische Dinge von ihnen begehren. Andrer¬
seits zeigt aber ihr Schweigen, daß der Makedonier mit seiner Frage einen
Punkt berührt hat, den sie gar nicht zu beantworten im Stande sind, da Licht
und Finsterniß nach der Grundlehre des Pcirsismus von Anfang an ins Dasein
getreten sind, also von einem Früher oder Später bei ihnen gar nicht die
Rede sein kann.

Daß die Juden die Sage von den Parthern erhalten haben, wird auch
durch die Geschichte nahe gelegt. Es ist bekannt, daß nach der Zerstörung des
Tempels und nach der blutigen Unterdrückung verschiedener in Palästina aus¬
gebrochener Aufstände ein großer Theil der Judenschaft im Lande der Parther
sich niederließ, wo sie unter dem milden Regiments der Sassaniden, vor jeder
Bedrückung sicher, sich dem Gesetzesstudinm hingeben konnten. Dort entstanden
eine Reihe jüdischer Lehrhallen, und die Gesetzeskunde erreichte sehr bald eine
hohe Blüthe. Da die Juden mit den Parthern in engem Verkehr lebten, so
wird ein Ideenaustausch sehr wahrscheinlich. Enthält der Talmud doch außer
dieser Sage noch viele andere Bestandtheile des Pcirsismus. Merkwürdig bleibt
freilich dabei, wie Firdüs! bei der poetischen Gestaltung der Alexandersage, die
er bis in die geringsten Details verfolgt, gerade den wesentlichen Zug unsrer
Sage von dem durch nichts aufzuwiegenden Schädel oder Stein unerwähnt
lassen konnte. Dies läßt sich nur durch die Annahme erklären, die Sage sei
von den Parthern selbst im Laufe der Zeit nicht uach allen ihren Bestand¬
theilen in der Erinnerung festgehalten worden, was ja leicht der Fall sein
konnte, wenn man bedenkt, wie die Sassaniden mit aller Anstrengung darauf
hinarbeiteten, das Andenken der makedonischer Invasion, welche die Zend¬
religion untergraben, die heiligen Bücher dem Feuer überliefert und dafür
den griechischen Kultus zur Geltung gebracht hatte, zu verwischen. Mohl in
seiner Ausgabe des SchAMune und Görres im Heldenbuche von Iran (2,
360—400) haben sogar den Beweis geführt, daß Firdüst bei der Bearbeitung
der Alexandersage überhaupt fremden Ueberlieferungen gefolgt sei; namentlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/285>, abgerufen am 27.11.2024.