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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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reicht. Und hieraus ziehe ich den Schluß, daß wir thöricht thun, ein so voll¬
kommenes Band zu schwächen oder wohl gar zu zerreißen."

In die Tiefen des religiösen Bewußtseins einzudringen, scheint Möser
die Lust wie die Fähigkeit gefehlt zu haben. Daß Moses, um das Volk von
seiner göttlichen Sendung zu überreden, selber an seine Sendung glauben,
daß er, um seine Inspiration geltend zu machen, wirklich inspirirt sein mußte:
das hätte Hamann eher finden können als Möser, wenn er im Stande
gewesen wäre, seine verwirrten genialen Einfälle ebenso zu beherrschen und zu¬
sammenzudrängen, wie Möser seine realen Anschauungen.

Mehrere Jahre später veröffentlichte Möser ein Schreiben an den
Oberrabbiner Aaron da Costa über den leichten Uebergang von der pharisäischen
Sekte zur christlichen Religion. "Die jüdische Religion -- schreibt er da --,
welche ausdrücklich sagt, daß der erste Mensch die Unsterblichkeit verloren habe,
daß der Mensch wieder zur Erde werden soll, wovon er genommen ist: diese
Religion muß zuletzt durchaus auf einen Erlöser führen; sie muß schlechter¬
dings alle Menschen in einem Ewigen sterben lassen, nachdem Gott einmal ge¬
sagt, daß alle Menschen des ewigen Todes sterben sollen. Auf eine andre
Art kann sie sich nicht helfen, und eine Hülfe ist doch nöthig: denn jede Na¬
tion, sobald sie anfängt sich zu bilden, will durchaus ein ewiges Leben. Je
trauriger ihre Schicksale werden, desto süßer werden ihre Wünsche nach einem
künftigen Leben sein, desto öfter wird sie Propheten zu ihrer Beruhigung er¬
wecken. Das bringt der natürliche Gang ihrer Empfindungen und Gedanken
mit sich; und sollte diese Nation einen Gott anbeten, der ihr alle Hoffnung
jenseit des Grabes untersagt hätte: sie würde sich wider sein Gebot empören,
Himmel und Erde zum Mitleid bewegen, um zuletzt, es koste was es wolle,
diesen Fluch des Gesetzes in einen tröstlichen Segen zu verwandeln."

Der Paulinische Lehrbegriff war eine nothwendige Konsequenz von Moses
und den Propheten- "Ueber das Factum, daß wirklich der Ewige Mensch ge¬
worden sei und das Gesetz erfüllt habe, daß Jesus von Ncrzareth dieser Ewige
gewesen, habe ich nicht mit Ihnen zu streiten. Paulus wurde hievon durch
ein Wunder überzeugt, und wenn Sie das auch verlangen, kann ich Ihnen
nicht helfen."

Gleichzeitig mit den "Kreuzzügen eines Philologen" erschienen verschiedene
Schriften aus der Schule Winckelmcinn's, die aufs einseitigste den Kultus
der griechischen Jdealschönheit predigten: Hagedorn's "Betrachtungen über
Malerei" und Mengs' "Von den Schönheiten der Kunst", gleichzeitig aber
auch der Anfang der Wieland'schen Shakespeare-Uebersetzung, die den Deutschen
zu zeigen versuchte, was Lessing doch nur angemeldet hatte.

Das ungefähr waren die hervorragendsten Erscheinungen der deutscheu


reicht. Und hieraus ziehe ich den Schluß, daß wir thöricht thun, ein so voll¬
kommenes Band zu schwächen oder wohl gar zu zerreißen."

In die Tiefen des religiösen Bewußtseins einzudringen, scheint Möser
die Lust wie die Fähigkeit gefehlt zu haben. Daß Moses, um das Volk von
seiner göttlichen Sendung zu überreden, selber an seine Sendung glauben,
daß er, um seine Inspiration geltend zu machen, wirklich inspirirt sein mußte:
das hätte Hamann eher finden können als Möser, wenn er im Stande
gewesen wäre, seine verwirrten genialen Einfälle ebenso zu beherrschen und zu¬
sammenzudrängen, wie Möser seine realen Anschauungen.

Mehrere Jahre später veröffentlichte Möser ein Schreiben an den
Oberrabbiner Aaron da Costa über den leichten Uebergang von der pharisäischen
Sekte zur christlichen Religion. „Die jüdische Religion — schreibt er da —,
welche ausdrücklich sagt, daß der erste Mensch die Unsterblichkeit verloren habe,
daß der Mensch wieder zur Erde werden soll, wovon er genommen ist: diese
Religion muß zuletzt durchaus auf einen Erlöser führen; sie muß schlechter¬
dings alle Menschen in einem Ewigen sterben lassen, nachdem Gott einmal ge¬
sagt, daß alle Menschen des ewigen Todes sterben sollen. Auf eine andre
Art kann sie sich nicht helfen, und eine Hülfe ist doch nöthig: denn jede Na¬
tion, sobald sie anfängt sich zu bilden, will durchaus ein ewiges Leben. Je
trauriger ihre Schicksale werden, desto süßer werden ihre Wünsche nach einem
künftigen Leben sein, desto öfter wird sie Propheten zu ihrer Beruhigung er¬
wecken. Das bringt der natürliche Gang ihrer Empfindungen und Gedanken
mit sich; und sollte diese Nation einen Gott anbeten, der ihr alle Hoffnung
jenseit des Grabes untersagt hätte: sie würde sich wider sein Gebot empören,
Himmel und Erde zum Mitleid bewegen, um zuletzt, es koste was es wolle,
diesen Fluch des Gesetzes in einen tröstlichen Segen zu verwandeln."

Der Paulinische Lehrbegriff war eine nothwendige Konsequenz von Moses
und den Propheten- „Ueber das Factum, daß wirklich der Ewige Mensch ge¬
worden sei und das Gesetz erfüllt habe, daß Jesus von Ncrzareth dieser Ewige
gewesen, habe ich nicht mit Ihnen zu streiten. Paulus wurde hievon durch
ein Wunder überzeugt, und wenn Sie das auch verlangen, kann ich Ihnen
nicht helfen."

Gleichzeitig mit den „Kreuzzügen eines Philologen" erschienen verschiedene
Schriften aus der Schule Winckelmcinn's, die aufs einseitigste den Kultus
der griechischen Jdealschönheit predigten: Hagedorn's „Betrachtungen über
Malerei" und Mengs' „Von den Schönheiten der Kunst", gleichzeitig aber
auch der Anfang der Wieland'schen Shakespeare-Uebersetzung, die den Deutschen
zu zeigen versuchte, was Lessing doch nur angemeldet hatte.

Das ungefähr waren die hervorragendsten Erscheinungen der deutscheu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/274>, abgerufen am 27.07.2024.