Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.hervorblitzenden Schönheiten gefielen mir so, daß ich das Dunkle in der Je stärker die Entbehrung, je gewaltiger regt sich die Leidenschaft. Königs¬ Es lag in der Natur der Sache, daß Hamann und Möser sich finden Beide bemühten sich, die Sprache aus der Verkümmerung zu befreien, hervorblitzenden Schönheiten gefielen mir so, daß ich das Dunkle in der Je stärker die Entbehrung, je gewaltiger regt sich die Leidenschaft. Königs¬ Es lag in der Natur der Sache, daß Hamann und Möser sich finden Beide bemühten sich, die Sprache aus der Verkümmerung zu befreien, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142764"/> <p xml:id="ID_777" prev="#ID_776"> hervorblitzenden Schönheiten gefielen mir so, daß ich das Dunkle in der<lb/> Schreibart irgend einer zufälligen Ursache zuschrieb: ich glaubte, der Verfasser<lb/> habe diesen seltsamen Ton nur als eine Art Maske angenommen. — Es er¬<lb/> schienen nach der Zeit einzelne flüchtige Blätter, in welchen sich seine Neigung zum<lb/> Räthselhaften noch mehr offenbarte; hie und da erblickte man einen trefflichen<lb/> Gedanken, der aber wie ein Blitz verschwand. — Der Verfasser hat sich in<lb/> seinen Stil einmal verliebt. — Indeß verräth er bei allen Fehlern noch immer<lb/> viel Genie."</p><lb/> <p xml:id="ID_778"> Je stärker die Entbehrung, je gewaltiger regt sich die Leidenschaft. Königs¬<lb/> berg ist nicht nur entlegner und deshalb vom allgemeinen Bildungstreiben des,<lb/> Landes weniger berührt als die westlichen Städte, es ist auch in sich weniger<lb/> gesellig. In Leipzig, Hamburg, Berlin, Halle, Zürich traten sogleich große<lb/> literarische Zirkel auf, deren Mitglieder ihre Meinungen austauschten, sie da¬<lb/> durch bis zu einem gewissen Grade abschliffen und ihnen allgemeinen Firniß<lb/> gaben: im Osten wirkte Jeder einsam für sich, Jeder genöthigt, in sein Inneres<lb/> einzukehren und dort seine Kräfte zu sammeln, zugleich aber scharf nach außen<lb/> zu spähen, um sich seinen eignen Lebenshorizont zu schaffen, Hamann hatte<lb/> einen ungemeinen Trieb der Mittheilung, aber was er gab, waren nur Mono¬<lb/> loge, die er allenfalls auch den Wänden hätte halten können; von dialektischer<lb/> Fähigkeit, sich zu ergänzen, war keine Spur. Kant war in seinen Vortrügen<lb/> ganz exoterisch, aber an seinen tieferen Gedanken hämmerte er für sich allein,<lb/> er theilte sich Niemand mit. Bei jüngeren Schriftstellern, wie Hippel, wurde<lb/> das Versteckspielen bald zum Laster. Die wunderlichen politischen Verhältnisse<lb/> — noch immer hielten die Russen das Land besetzt — trugen anch dazu bei.<lb/> Gerade die Abgelegenheit und Armuth des Landes, wie schärfte sie das Auf¬<lb/> merken! Homer und die Propheten sprachen viel vernehmlicher zu diesen ein¬<lb/> samen Grüblern, als zu den literarischen Zirkeln der großen Städte.</p><lb/> <p xml:id="ID_779"> Es lag in der Natur der Sache, daß Hamann und Möser sich finden<lb/> mußten. Hamann las Möser's „Harlekin" mit ungemeinem Vergnügen und<lb/> fand einen „Haufen seiner eigenen Gedanken" darin. In der That springt<lb/> eine gewisse Verwandtschaft in die Augen: die dreiste Nacktheit des Worts,<lb/> der Sinn für das Burleske, das scharfe Gefühl für das Geschichtliche und<lb/> Individuelle. Freilich sticht der in den Geschäften der Welt erfahrene, an<lb/> solide Arbeit gewöhnte Beamte mit seiner robusten Gesundheit sehr vortheilhaft<lb/> ab gegen den philologischen Grübler, dessen Sinn für die Wirklichkeit durch<lb/> die ewige Stubenluft verkümmert wurde, und der weder durch zweckmäßige<lb/> Thätigkeit, noch durch ein zweckmäßiges Studium geschult war.</p><lb/> <p xml:id="ID_780" next="#ID_781"> Beide bemühten sich, die Sprache aus der Verkümmerung zu befreien,<lb/> in der sie Wolf und Gottsched gelassen. Hamann zeigte die üble Einwirkung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0267]
hervorblitzenden Schönheiten gefielen mir so, daß ich das Dunkle in der
Schreibart irgend einer zufälligen Ursache zuschrieb: ich glaubte, der Verfasser
habe diesen seltsamen Ton nur als eine Art Maske angenommen. — Es er¬
schienen nach der Zeit einzelne flüchtige Blätter, in welchen sich seine Neigung zum
Räthselhaften noch mehr offenbarte; hie und da erblickte man einen trefflichen
Gedanken, der aber wie ein Blitz verschwand. — Der Verfasser hat sich in
seinen Stil einmal verliebt. — Indeß verräth er bei allen Fehlern noch immer
viel Genie."
Je stärker die Entbehrung, je gewaltiger regt sich die Leidenschaft. Königs¬
berg ist nicht nur entlegner und deshalb vom allgemeinen Bildungstreiben des,
Landes weniger berührt als die westlichen Städte, es ist auch in sich weniger
gesellig. In Leipzig, Hamburg, Berlin, Halle, Zürich traten sogleich große
literarische Zirkel auf, deren Mitglieder ihre Meinungen austauschten, sie da¬
durch bis zu einem gewissen Grade abschliffen und ihnen allgemeinen Firniß
gaben: im Osten wirkte Jeder einsam für sich, Jeder genöthigt, in sein Inneres
einzukehren und dort seine Kräfte zu sammeln, zugleich aber scharf nach außen
zu spähen, um sich seinen eignen Lebenshorizont zu schaffen, Hamann hatte
einen ungemeinen Trieb der Mittheilung, aber was er gab, waren nur Mono¬
loge, die er allenfalls auch den Wänden hätte halten können; von dialektischer
Fähigkeit, sich zu ergänzen, war keine Spur. Kant war in seinen Vortrügen
ganz exoterisch, aber an seinen tieferen Gedanken hämmerte er für sich allein,
er theilte sich Niemand mit. Bei jüngeren Schriftstellern, wie Hippel, wurde
das Versteckspielen bald zum Laster. Die wunderlichen politischen Verhältnisse
— noch immer hielten die Russen das Land besetzt — trugen anch dazu bei.
Gerade die Abgelegenheit und Armuth des Landes, wie schärfte sie das Auf¬
merken! Homer und die Propheten sprachen viel vernehmlicher zu diesen ein¬
samen Grüblern, als zu den literarischen Zirkeln der großen Städte.
Es lag in der Natur der Sache, daß Hamann und Möser sich finden
mußten. Hamann las Möser's „Harlekin" mit ungemeinem Vergnügen und
fand einen „Haufen seiner eigenen Gedanken" darin. In der That springt
eine gewisse Verwandtschaft in die Augen: die dreiste Nacktheit des Worts,
der Sinn für das Burleske, das scharfe Gefühl für das Geschichtliche und
Individuelle. Freilich sticht der in den Geschäften der Welt erfahrene, an
solide Arbeit gewöhnte Beamte mit seiner robusten Gesundheit sehr vortheilhaft
ab gegen den philologischen Grübler, dessen Sinn für die Wirklichkeit durch
die ewige Stubenluft verkümmert wurde, und der weder durch zweckmäßige
Thätigkeit, noch durch ein zweckmäßiges Studium geschult war.
Beide bemühten sich, die Sprache aus der Verkümmerung zu befreien,
in der sie Wolf und Gottsched gelassen. Hamann zeigte die üble Einwirkung
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |