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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Die
deutsche Literatur zur Zeit des siebenjährigen Krieges.
Julian Schmidt. VolkVI.
(Schluß.)

Zu den Schriftstellern, die Hamann mit besonderer Vorliebe studirte,
gehörte Rousseau, dessen "Neue Heloise" eben erschienen war. "Ich wurde
nicht eher müde," schreibt er im August 1761, "als bei dem letzten Bogen. Der
erste Theil machte mich unzufrieden, weil der italienische Witz nie nach meinem
Geschmack gewesen; ich habe aber jetzt eingesehn, wie unumgänglich die Bekannt¬
schaft dieser Schriftsteller ist, wenn mau Gegenstände behandeln will, die zwar
in der Natur, aber nicht unter unserm Horizont sind: die Schwärmerei der
Sinne, die Spitzfindigkeit der Leidenschaften."

Es verdroß ihn, als gleich darauf in den Literaturbriefeu ein äußerst
abfülliges Urtheil erschien. "Rousseau," heißt es dort, "der zum Entzücken
schön schreibt, so oft er die Sprache der begeisterten Vernunft zu reden hat,
scheint über die Natur der Leidenschaften räsonnirt, sie aber niemals gefühlt
zu haben, daher es ihm so schwer wird, ihre echte Sprache zu reden. Ich
finde seine so begeistert gerühmte Sprache spitzfindig, affektirt und voller Schwulst;
er will sich durch Ausrufungen und Hyperbeln in einen Zustand von Empfin¬
dungen versetzen, die ihm aus Erfahrung nicht genug bekannt sind. Ich gestehe,
daß mein Herz bei den verliebten Klagen des albernen Se. Preux eiskalt ge¬
blieben ist."

Auf diese Rezension, als deren Verfasser er leicht Mendelssohn heraus¬
erkannte, schrieb Hamann unter dem Namen Abälardus Virbius eine Ent-
gegnung. "Ein verliebter Philosoph," schreibt er, "kaun unmöglich anders als ein
albern Geschöpf in unsern Augen sein, bis die Reihe an Sie und mich kommt,
lebendig zu wissen, was uns die Muse längst wahrsagt, daß die Liebe Philosophen


Grenzboten III. 187S. 34
Die
deutsche Literatur zur Zeit des siebenjährigen Krieges.
Julian Schmidt. VolkVI.
(Schluß.)

Zu den Schriftstellern, die Hamann mit besonderer Vorliebe studirte,
gehörte Rousseau, dessen „Neue Heloise" eben erschienen war. „Ich wurde
nicht eher müde," schreibt er im August 1761, „als bei dem letzten Bogen. Der
erste Theil machte mich unzufrieden, weil der italienische Witz nie nach meinem
Geschmack gewesen; ich habe aber jetzt eingesehn, wie unumgänglich die Bekannt¬
schaft dieser Schriftsteller ist, wenn mau Gegenstände behandeln will, die zwar
in der Natur, aber nicht unter unserm Horizont sind: die Schwärmerei der
Sinne, die Spitzfindigkeit der Leidenschaften."

Es verdroß ihn, als gleich darauf in den Literaturbriefeu ein äußerst
abfülliges Urtheil erschien. „Rousseau," heißt es dort, „der zum Entzücken
schön schreibt, so oft er die Sprache der begeisterten Vernunft zu reden hat,
scheint über die Natur der Leidenschaften räsonnirt, sie aber niemals gefühlt
zu haben, daher es ihm so schwer wird, ihre echte Sprache zu reden. Ich
finde seine so begeistert gerühmte Sprache spitzfindig, affektirt und voller Schwulst;
er will sich durch Ausrufungen und Hyperbeln in einen Zustand von Empfin¬
dungen versetzen, die ihm aus Erfahrung nicht genug bekannt sind. Ich gestehe,
daß mein Herz bei den verliebten Klagen des albernen Se. Preux eiskalt ge¬
blieben ist."

Auf diese Rezension, als deren Verfasser er leicht Mendelssohn heraus¬
erkannte, schrieb Hamann unter dem Namen Abälardus Virbius eine Ent-
gegnung. „Ein verliebter Philosoph," schreibt er, „kaun unmöglich anders als ein
albern Geschöpf in unsern Augen sein, bis die Reihe an Sie und mich kommt,
lebendig zu wissen, was uns die Muse längst wahrsagt, daß die Liebe Philosophen


Grenzboten III. 187S. 34
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[0263] Die deutsche Literatur zur Zeit des siebenjährigen Krieges. Julian Schmidt. VolkVI. (Schluß.) Zu den Schriftstellern, die Hamann mit besonderer Vorliebe studirte, gehörte Rousseau, dessen „Neue Heloise" eben erschienen war. „Ich wurde nicht eher müde," schreibt er im August 1761, „als bei dem letzten Bogen. Der erste Theil machte mich unzufrieden, weil der italienische Witz nie nach meinem Geschmack gewesen; ich habe aber jetzt eingesehn, wie unumgänglich die Bekannt¬ schaft dieser Schriftsteller ist, wenn mau Gegenstände behandeln will, die zwar in der Natur, aber nicht unter unserm Horizont sind: die Schwärmerei der Sinne, die Spitzfindigkeit der Leidenschaften." Es verdroß ihn, als gleich darauf in den Literaturbriefeu ein äußerst abfülliges Urtheil erschien. „Rousseau," heißt es dort, „der zum Entzücken schön schreibt, so oft er die Sprache der begeisterten Vernunft zu reden hat, scheint über die Natur der Leidenschaften räsonnirt, sie aber niemals gefühlt zu haben, daher es ihm so schwer wird, ihre echte Sprache zu reden. Ich finde seine so begeistert gerühmte Sprache spitzfindig, affektirt und voller Schwulst; er will sich durch Ausrufungen und Hyperbeln in einen Zustand von Empfin¬ dungen versetzen, die ihm aus Erfahrung nicht genug bekannt sind. Ich gestehe, daß mein Herz bei den verliebten Klagen des albernen Se. Preux eiskalt ge¬ blieben ist." Auf diese Rezension, als deren Verfasser er leicht Mendelssohn heraus¬ erkannte, schrieb Hamann unter dem Namen Abälardus Virbius eine Ent- gegnung. „Ein verliebter Philosoph," schreibt er, „kaun unmöglich anders als ein albern Geschöpf in unsern Augen sein, bis die Reihe an Sie und mich kommt, lebendig zu wissen, was uns die Muse längst wahrsagt, daß die Liebe Philosophen Grenzboten III. 187S. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/263>, abgerufen am 27.07.2024.