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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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nähme an der Wahl des Komites große Zweifel hegte. Die Eisenbahnsache
war mit einem Male wieder in Vergessenheit gerathen.

Da wandten sich diejenigen Personen, welche bis dahin das Unternehmen
hauptsächlich unterstützt hatten, an List mit dem Ersuchen, die öffentliche Mei¬
nung dafür von neuem zu beleben. List entwarf zu diesem Zwecke einen
kleinen Aufsatz von der Länge einen Bogens: "Aufruf an unsere Mitbürger
in Sachsen, die Anlage einer Eisenbahn zwischen Dresden und Leipzig betref¬
fend." Der Aufsatz war meisterhaft abgefaßt. In einfacher, volksthümlicher
Sprache führte er in kurzen Zügen Alles vor, was auf die Eisenbahnen Bezug
hatte, ihren nächsten Nutzen und die große volkswirtschaftliche Tragweite ihrer
Wirkungen. List wiederholte auch hier seinen alten, stets von neuem ausge¬
sprochenen Grundsatz, die Bewegung für die Eisenbahnen müsse von möglichst
breiten Schichten der Bevölkerung ausgehen, überall durch ganz Deutschland
müßten Eisenbahn-Komites gewählt werden, die Städte müßten selbständig auf¬
treten, von ihnen und ihren Komites müßten die Unternehmungen ausgehen.
Die Eisenbahnen müßten die gemeinsame Angelegenheit der Bürger bilden, nicht
die einzelner reicher Konzessionäre, welche nachher die Aktien willkürlich ver¬
theilten, wie es in Frankreich der Fall gewesen war. Ueberall müßten die
Unternehmungen von der öffentlichen Meinung kontrolirt werden.

Als List seinen Aufsatz vor der Versammlung von Harkort, Seyfferth,
Dufour und Lampe zur Verlesung brachte, war die Freude groß, nicht minder
die Anerkennung, und der letzteren gaben sie gleich darauf dadurch Ausdruck, daß
sie ihm einen prächtigen silbernen Pokal mit reicher Vergoldung überreichten,
auf dem ihre Namen eingegraben waren und die Inschrift: "Dem Verfasser
des Aufsatzes an unsere Mitbürger". Die Schrift wurde auf ihre Kosten ge¬
druckt und in tausend Exemplaren unter die Bürger vertheilt.

Der Erfolg überstieg alle Erwartungen. Als der Stadtrath die Versamm¬
lung zur Wahl des Komites auf den 17. März in die Börse berief, war der
Saal gedrängt voll. Alles, was nur irgend in Leipzig in großen Geschäften
thätig war, fand sich ein. Die Begeisterung für die große Sache war wieder
eine allgemeine. Ja, es wurde laut verlangt, man solle unmittelbar zur Sub¬
skription der Aktien schreiten, und später wurde noch oft behauptet, daß schon
damals die Subskription zu Stande gekommen sein würde. Der Vorsitzende
des Rathes von Leipzig, Stadtrath F. Müller, eröffnete die Versammlung mit
einem kurzen Vortrage, in welchem er mittheilte, was in der Sache bereits
geschehen sei, und er erwähnte bei dieser Gelegenheit auch in ehrenvoller Weise
die Verdienste, welche sich List um dieselbe erworben. Darauf wurde ein
Konnte von zwölf Personen gewählt. Selbstverständlich fielen die meisten
Stimmen auf List, Harkort, Dufour, Seyfferth, Lampe.


nähme an der Wahl des Komites große Zweifel hegte. Die Eisenbahnsache
war mit einem Male wieder in Vergessenheit gerathen.

Da wandten sich diejenigen Personen, welche bis dahin das Unternehmen
hauptsächlich unterstützt hatten, an List mit dem Ersuchen, die öffentliche Mei¬
nung dafür von neuem zu beleben. List entwarf zu diesem Zwecke einen
kleinen Aufsatz von der Länge einen Bogens: „Aufruf an unsere Mitbürger
in Sachsen, die Anlage einer Eisenbahn zwischen Dresden und Leipzig betref¬
fend." Der Aufsatz war meisterhaft abgefaßt. In einfacher, volksthümlicher
Sprache führte er in kurzen Zügen Alles vor, was auf die Eisenbahnen Bezug
hatte, ihren nächsten Nutzen und die große volkswirtschaftliche Tragweite ihrer
Wirkungen. List wiederholte auch hier seinen alten, stets von neuem ausge¬
sprochenen Grundsatz, die Bewegung für die Eisenbahnen müsse von möglichst
breiten Schichten der Bevölkerung ausgehen, überall durch ganz Deutschland
müßten Eisenbahn-Komites gewählt werden, die Städte müßten selbständig auf¬
treten, von ihnen und ihren Komites müßten die Unternehmungen ausgehen.
Die Eisenbahnen müßten die gemeinsame Angelegenheit der Bürger bilden, nicht
die einzelner reicher Konzessionäre, welche nachher die Aktien willkürlich ver¬
theilten, wie es in Frankreich der Fall gewesen war. Ueberall müßten die
Unternehmungen von der öffentlichen Meinung kontrolirt werden.

Als List seinen Aufsatz vor der Versammlung von Harkort, Seyfferth,
Dufour und Lampe zur Verlesung brachte, war die Freude groß, nicht minder
die Anerkennung, und der letzteren gaben sie gleich darauf dadurch Ausdruck, daß
sie ihm einen prächtigen silbernen Pokal mit reicher Vergoldung überreichten,
auf dem ihre Namen eingegraben waren und die Inschrift: „Dem Verfasser
des Aufsatzes an unsere Mitbürger". Die Schrift wurde auf ihre Kosten ge¬
druckt und in tausend Exemplaren unter die Bürger vertheilt.

Der Erfolg überstieg alle Erwartungen. Als der Stadtrath die Versamm¬
lung zur Wahl des Komites auf den 17. März in die Börse berief, war der
Saal gedrängt voll. Alles, was nur irgend in Leipzig in großen Geschäften
thätig war, fand sich ein. Die Begeisterung für die große Sache war wieder
eine allgemeine. Ja, es wurde laut verlangt, man solle unmittelbar zur Sub¬
skription der Aktien schreiten, und später wurde noch oft behauptet, daß schon
damals die Subskription zu Stande gekommen sein würde. Der Vorsitzende
des Rathes von Leipzig, Stadtrath F. Müller, eröffnete die Versammlung mit
einem kurzen Vortrage, in welchem er mittheilte, was in der Sache bereits
geschehen sei, und er erwähnte bei dieser Gelegenheit auch in ehrenvoller Weise
die Verdienste, welche sich List um dieselbe erworben. Darauf wurde ein
Konnte von zwölf Personen gewählt. Selbstverständlich fielen die meisten
Stimmen auf List, Harkort, Dufour, Seyfferth, Lampe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/25>, abgerufen am 25.11.2024.