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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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hatte man die sehr schönen Gärten angesehen. Als die Essenszeit kam, war
die Rede von dem Ceremoniell der Plätze bei Tisch. Die Mutter der Bona¬
partes war auch zugegen. Joseph sagte seinem Bruder, daß er beim Eintritt
in den Speisesaal der Mutter seinen Arm geben und sie zu seiner Rechten
placiren wollte, und daß Madame Napoleon Bonaparte zur Linken sitzen sollte.
Diese Anordnung, nach welcher für seine Frau der zweite Platz bestimmt war,
beleidigte den Konsul, und er glaubte seinem Bruder befehlen zu müssen, ihre
Mutter an die zweite Stelle zu setzen. Joseph widersetzte sich und ließ sich
durchaus nicht bestimmen, nachzugeben. Als gemeldet wurde, daß angerichtet
sei, nahm Joseph seine Mutter am Arm, und Lucicin führte Madame Bona¬
parte. Aufgebracht über den Widerstand, ging der Konsul hastig durch den
Saal, nahm den Arm seiner Frau, ging an der ganzen Gesellschaft vorbei,
setzte sie neben sich, und indem er sich nach mir umwandte, rief er mir mit
lauter Stimme zu, ich möchte mich zu ihnen setzen. Die ganze Gesellschaft
war bestürzt, ich noch mehr als alle anderen, und Madame Joseph Bonaparte,
der man doch gerade eine Artigkeit schuldig war, saß am Ende der Tafel, als
ob sie gar nicht zur Familie gehörte. Man kann denken, welchen Zwang diese
Anordnung unter die Tischgesellschaft brachte. Die Brüder waren unzufrieden,
Madame Bonaparte sehr traurig und ich selbst höchst verwirrt. Während der
ganzen Mahlzeit sprach er mit keinem seiner Angehörigen."

Bekannt ist es, wie hartherzig Bonaparte war. Die Ermordung des
Herzogs v. Enghien, seine Scheidung von Josephine, seine Leidenschaft für den
Krieg beweisen es hinlänglich. Aber mehr als diese Züge zeigt folgender, den
Frau v. Remusat zuerst mitgetheilt hat, die völlige Gefühllosigkeit des Impe¬
rators. "Zwei bis dreimal in der Woche," erzählen unsere Memoiren, "mußte
der kleine Napoleon (der Sohn von Louis Napoleon und Hortense), "der
dann in Holland gestorben ist, zu ihm nach Samt Cloud kommen. Bonaparte
schien dieses Kind sehr lieb zu haben, weil er ihm eine große Zukunft zutraute.
Vielleicht zeichnete er den Knaben nur deshalb aus; denn Talleyrand hat mir
erzählt, daß, als die Nachricht von seinem Tode nach Berlin kam, Napoleon
sich sehr wenig erregt gezeigt habe. Da er gerade sich in der Oeffentlichkeit
zeigen wollte, nahm Talleyrand Gelegenheit, ihm zu sagen: Sie vergessen, daß
ein Todesfall in Ihrer Familie vorgekommen ist, und daß Sie ein wenig traurig
aussehen müssen. Darauf antwortete er: Es macht mir keinen Spaß, an
die Todten zu denken! Es müßte sich merkwürdig ausnehmen, wenn man
diesen Ausspruch mit der schönen Rede des Herrn Fontanes zusammenstellen
wollte, der, beauftragt, über die im Triumph nach dem Jnvalidendom ge¬
brachten preußischen Fahnen zu sprechen, so schön und so rhetorisch den maje-


hatte man die sehr schönen Gärten angesehen. Als die Essenszeit kam, war
die Rede von dem Ceremoniell der Plätze bei Tisch. Die Mutter der Bona¬
partes war auch zugegen. Joseph sagte seinem Bruder, daß er beim Eintritt
in den Speisesaal der Mutter seinen Arm geben und sie zu seiner Rechten
placiren wollte, und daß Madame Napoleon Bonaparte zur Linken sitzen sollte.
Diese Anordnung, nach welcher für seine Frau der zweite Platz bestimmt war,
beleidigte den Konsul, und er glaubte seinem Bruder befehlen zu müssen, ihre
Mutter an die zweite Stelle zu setzen. Joseph widersetzte sich und ließ sich
durchaus nicht bestimmen, nachzugeben. Als gemeldet wurde, daß angerichtet
sei, nahm Joseph seine Mutter am Arm, und Lucicin führte Madame Bona¬
parte. Aufgebracht über den Widerstand, ging der Konsul hastig durch den
Saal, nahm den Arm seiner Frau, ging an der ganzen Gesellschaft vorbei,
setzte sie neben sich, und indem er sich nach mir umwandte, rief er mir mit
lauter Stimme zu, ich möchte mich zu ihnen setzen. Die ganze Gesellschaft
war bestürzt, ich noch mehr als alle anderen, und Madame Joseph Bonaparte,
der man doch gerade eine Artigkeit schuldig war, saß am Ende der Tafel, als
ob sie gar nicht zur Familie gehörte. Man kann denken, welchen Zwang diese
Anordnung unter die Tischgesellschaft brachte. Die Brüder waren unzufrieden,
Madame Bonaparte sehr traurig und ich selbst höchst verwirrt. Während der
ganzen Mahlzeit sprach er mit keinem seiner Angehörigen."

Bekannt ist es, wie hartherzig Bonaparte war. Die Ermordung des
Herzogs v. Enghien, seine Scheidung von Josephine, seine Leidenschaft für den
Krieg beweisen es hinlänglich. Aber mehr als diese Züge zeigt folgender, den
Frau v. Remusat zuerst mitgetheilt hat, die völlige Gefühllosigkeit des Impe¬
rators. „Zwei bis dreimal in der Woche," erzählen unsere Memoiren, „mußte
der kleine Napoleon (der Sohn von Louis Napoleon und Hortense), „der
dann in Holland gestorben ist, zu ihm nach Samt Cloud kommen. Bonaparte
schien dieses Kind sehr lieb zu haben, weil er ihm eine große Zukunft zutraute.
Vielleicht zeichnete er den Knaben nur deshalb aus; denn Talleyrand hat mir
erzählt, daß, als die Nachricht von seinem Tode nach Berlin kam, Napoleon
sich sehr wenig erregt gezeigt habe. Da er gerade sich in der Oeffentlichkeit
zeigen wollte, nahm Talleyrand Gelegenheit, ihm zu sagen: Sie vergessen, daß
ein Todesfall in Ihrer Familie vorgekommen ist, und daß Sie ein wenig traurig
aussehen müssen. Darauf antwortete er: Es macht mir keinen Spaß, an
die Todten zu denken! Es müßte sich merkwürdig ausnehmen, wenn man
diesen Ausspruch mit der schönen Rede des Herrn Fontanes zusammenstellen
wollte, der, beauftragt, über die im Triumph nach dem Jnvalidendom ge¬
brachten preußischen Fahnen zu sprechen, so schön und so rhetorisch den maje-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/247>, abgerufen am 01.09.2024.