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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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verderblich in vielen anderen, hat eine bewunderungswerthe Gegenstimme in
Sachen der Geschichte Napoleon's I. hervorgerufen: das leider unvollendet ge¬
bliebene Werk von Longfrey. Aber selbst in diesem Werke, dem man eine bis
zur Ungerechtigkeit gesteigerte leidenschaftliche Härte vorwerfen zu müssen ge¬
glaubt hat, erscheint Napoleon nicht so hassenswerth wie in den Memoiren der
Frau v. Remusat.

Niemand hat noch bisher so klar nachgewiesen, welche unglaubliche Eitel¬
keit sich sogar in der scheinbaren Einfachheit dieses großen Schauspielers offen¬
barte. Das graue Röckchen, welches er über seiner Uniform zu tragen Pflegte,
ist ja auch im Auslande, bei uns sogar in der Poesie -- man denke an Zedlitz'
"Nächtliche Heerschau" -- typisch geworden. Der durchdringende Blick des
Weibes hatte den Grund für diese Aeußerlichkeit bald durchschaut. "Ich erinnere
mich," schreibt Frau v. Remusat, "daß die neuernannten Marschälle am Tage
vor seiner Krönung zu ihm kamen, um sich vorzustellen. Alle waren in gold¬
starrende Uniformen gekleidet. Die Pracht dieser Uniformen und der Gegen¬
satz derselben zu seiner einfachen Tracht nöthigte ihm ein Lächeln ab. Ich
stand einige Schritte von ihm, und als er mich gleichfalls lächeln sah, sagte
er halblaut zu mir: Das Recht sich einfach zu kleiden hat nicht Jeder.
Einige Augenblicke später stritten sich die Marschälle der Armee über die wich¬
tige Frage des Vorrangs und baten den Kaiser, die Rangordnung für die
bevorstehende Krönungsceremonie festzustellen. Im Grunde vermochten sie ihre
Ansprüche gut genug zu rechtfertigen, denn jeder hatte Siege aufzuzählen.
Bonaparte hörte sie gelassen an, und es machte ihm offenbar Freude, meinen
Blicken zu begegnen. Ich sagte zu ihm: Heute scheinen Sie mir sozusagen
Frankreich einen Fußtritt gegeben und gesagt zu haben: Die Erde bringe
hervor alle Arten der Eitelkeit! Das ist wahr, entgegnete er, aber das thue
ich, weil es mir sehr bequem ist, die Franzosen mittelst ihrer Eitelkeit zu
gängeln."

Es ist begreiflich, wie ein Mann von Genie einen zügellosen Ehrgeiz be¬
sitzen kann; der nackte Egoismus kann sich mit sonstiger Größe paaren; aber
wer hätte bei dem Sieger von Austerlitz und Marengo, bei dem Eroberer von
halb Europa die Sucht zu scheinen gesucht, die Begierde zu glänzen und andere
auch in kleinlichen Dingen zu übertreffen, mit einem Worte Begierden, die sonst
nur etwa Frauen in Aufregung setzen können? Und doch erzählt Fran
v. Remusat ein Geschichtchen, welches beweist, daß der große Mann diese
lächerliche Schwäche wirklich besaß.

"Eines Tages," berichtet sie, "waren wir in Mortefontaine, einem Gute,
das Joseph Bonaparte gekauft hatte. Die ganze napoleonische Familie hatte
sich doch zusammengefunden. Da ereignete sich Folgendes. Den Vormittag


verderblich in vielen anderen, hat eine bewunderungswerthe Gegenstimme in
Sachen der Geschichte Napoleon's I. hervorgerufen: das leider unvollendet ge¬
bliebene Werk von Longfrey. Aber selbst in diesem Werke, dem man eine bis
zur Ungerechtigkeit gesteigerte leidenschaftliche Härte vorwerfen zu müssen ge¬
glaubt hat, erscheint Napoleon nicht so hassenswerth wie in den Memoiren der
Frau v. Remusat.

Niemand hat noch bisher so klar nachgewiesen, welche unglaubliche Eitel¬
keit sich sogar in der scheinbaren Einfachheit dieses großen Schauspielers offen¬
barte. Das graue Röckchen, welches er über seiner Uniform zu tragen Pflegte,
ist ja auch im Auslande, bei uns sogar in der Poesie — man denke an Zedlitz'
„Nächtliche Heerschau" — typisch geworden. Der durchdringende Blick des
Weibes hatte den Grund für diese Aeußerlichkeit bald durchschaut. „Ich erinnere
mich," schreibt Frau v. Remusat, „daß die neuernannten Marschälle am Tage
vor seiner Krönung zu ihm kamen, um sich vorzustellen. Alle waren in gold¬
starrende Uniformen gekleidet. Die Pracht dieser Uniformen und der Gegen¬
satz derselben zu seiner einfachen Tracht nöthigte ihm ein Lächeln ab. Ich
stand einige Schritte von ihm, und als er mich gleichfalls lächeln sah, sagte
er halblaut zu mir: Das Recht sich einfach zu kleiden hat nicht Jeder.
Einige Augenblicke später stritten sich die Marschälle der Armee über die wich¬
tige Frage des Vorrangs und baten den Kaiser, die Rangordnung für die
bevorstehende Krönungsceremonie festzustellen. Im Grunde vermochten sie ihre
Ansprüche gut genug zu rechtfertigen, denn jeder hatte Siege aufzuzählen.
Bonaparte hörte sie gelassen an, und es machte ihm offenbar Freude, meinen
Blicken zu begegnen. Ich sagte zu ihm: Heute scheinen Sie mir sozusagen
Frankreich einen Fußtritt gegeben und gesagt zu haben: Die Erde bringe
hervor alle Arten der Eitelkeit! Das ist wahr, entgegnete er, aber das thue
ich, weil es mir sehr bequem ist, die Franzosen mittelst ihrer Eitelkeit zu
gängeln."

Es ist begreiflich, wie ein Mann von Genie einen zügellosen Ehrgeiz be¬
sitzen kann; der nackte Egoismus kann sich mit sonstiger Größe paaren; aber
wer hätte bei dem Sieger von Austerlitz und Marengo, bei dem Eroberer von
halb Europa die Sucht zu scheinen gesucht, die Begierde zu glänzen und andere
auch in kleinlichen Dingen zu übertreffen, mit einem Worte Begierden, die sonst
nur etwa Frauen in Aufregung setzen können? Und doch erzählt Fran
v. Remusat ein Geschichtchen, welches beweist, daß der große Mann diese
lächerliche Schwäche wirklich besaß.

„Eines Tages," berichtet sie, „waren wir in Mortefontaine, einem Gute,
das Joseph Bonaparte gekauft hatte. Die ganze napoleonische Familie hatte
sich doch zusammengefunden. Da ereignete sich Folgendes. Den Vormittag


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[0246] verderblich in vielen anderen, hat eine bewunderungswerthe Gegenstimme in Sachen der Geschichte Napoleon's I. hervorgerufen: das leider unvollendet ge¬ bliebene Werk von Longfrey. Aber selbst in diesem Werke, dem man eine bis zur Ungerechtigkeit gesteigerte leidenschaftliche Härte vorwerfen zu müssen ge¬ glaubt hat, erscheint Napoleon nicht so hassenswerth wie in den Memoiren der Frau v. Remusat. Niemand hat noch bisher so klar nachgewiesen, welche unglaubliche Eitel¬ keit sich sogar in der scheinbaren Einfachheit dieses großen Schauspielers offen¬ barte. Das graue Röckchen, welches er über seiner Uniform zu tragen Pflegte, ist ja auch im Auslande, bei uns sogar in der Poesie — man denke an Zedlitz' „Nächtliche Heerschau" — typisch geworden. Der durchdringende Blick des Weibes hatte den Grund für diese Aeußerlichkeit bald durchschaut. „Ich erinnere mich," schreibt Frau v. Remusat, „daß die neuernannten Marschälle am Tage vor seiner Krönung zu ihm kamen, um sich vorzustellen. Alle waren in gold¬ starrende Uniformen gekleidet. Die Pracht dieser Uniformen und der Gegen¬ satz derselben zu seiner einfachen Tracht nöthigte ihm ein Lächeln ab. Ich stand einige Schritte von ihm, und als er mich gleichfalls lächeln sah, sagte er halblaut zu mir: Das Recht sich einfach zu kleiden hat nicht Jeder. Einige Augenblicke später stritten sich die Marschälle der Armee über die wich¬ tige Frage des Vorrangs und baten den Kaiser, die Rangordnung für die bevorstehende Krönungsceremonie festzustellen. Im Grunde vermochten sie ihre Ansprüche gut genug zu rechtfertigen, denn jeder hatte Siege aufzuzählen. Bonaparte hörte sie gelassen an, und es machte ihm offenbar Freude, meinen Blicken zu begegnen. Ich sagte zu ihm: Heute scheinen Sie mir sozusagen Frankreich einen Fußtritt gegeben und gesagt zu haben: Die Erde bringe hervor alle Arten der Eitelkeit! Das ist wahr, entgegnete er, aber das thue ich, weil es mir sehr bequem ist, die Franzosen mittelst ihrer Eitelkeit zu gängeln." Es ist begreiflich, wie ein Mann von Genie einen zügellosen Ehrgeiz be¬ sitzen kann; der nackte Egoismus kann sich mit sonstiger Größe paaren; aber wer hätte bei dem Sieger von Austerlitz und Marengo, bei dem Eroberer von halb Europa die Sucht zu scheinen gesucht, die Begierde zu glänzen und andere auch in kleinlichen Dingen zu übertreffen, mit einem Worte Begierden, die sonst nur etwa Frauen in Aufregung setzen können? Und doch erzählt Fran v. Remusat ein Geschichtchen, welches beweist, daß der große Mann diese lächerliche Schwäche wirklich besaß. „Eines Tages," berichtet sie, „waren wir in Mortefontaine, einem Gute, das Joseph Bonaparte gekauft hatte. Die ganze napoleonische Familie hatte sich doch zusammengefunden. Da ereignete sich Folgendes. Den Vormittag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/246>, abgerufen am 01.09.2024.