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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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sie vielleicht nie verbürgter und intimer, aber auch nie schonungsloser an die
Öffentlichkeit gezogen worden sind.

Schon als Konsul, wo Napoleon Bonaparte dem legitimistischen Adel
Frankreich's noch als Revolutionär galt, suchte er sich den ältesten und vor¬
nehmsten Familien möglichst zu nähern und dieselben an sich heranzuziehen.
Schon damals strebte er danach, den ganzen Glanz des alten Hofes wieder
aufleben zu lassen und sich mit Personen von klangvollen Namen zu umgeben.

Die erst 22 jährige geistvolle Gemahlin seines Palastpräfekten zog ihn
wegen ihrer gewinnenden Eigenschaften lebhaft an, ohne daß ihr deshalb die
Gunst Josephinen's entzogen wurde, und so theilte Frau v. Remusat vollständig
das Leben der Gatten und lernte beide sehr genau kennen, genauer als alle
die Staatsmänner und Generäle, die täglich einige Stunden mit Napoleon
arbeiteten oder ihn auf seinen Feldzttgen begleiteten. Denn Napoleon gab sich
solchen Personen gegenüber nie so, wie er war. Er war nicht blos ein großer
Staatsmann und Feldherr, sondern auch ein vortrefflicher -- Schauspieler;
aber seine Bühne war die Welt. Wenig Personen aber -- sicherlich keine,
welche so zu beobachte" und die Feder so gewandt zu führen wußte wie Frau
v. Remusat -- konnten soviel Gelegenheit finden wie sie, ihn gleichsam hinter
den Koulissen zu beobachten, wenn er, müde von der Arbeit und Last des
Tages, aus seiner Rolle herausging und ganz sich selbst angehören wollte.
Aber auch dann noch, sagt Frau v. Remusat, blieb er die imponirende, bezau¬
bernde Persönlichkeit. Sie selbst entging der verführerischen Gewalt seines
Wesens nicht, wie sie ohne Umschweif eingesteht. Wie so viele Andere ward
sie von seiner erdrückenden Ueberlegenheit und von seiner Ruhmesherrlichkeit
bezwungen und geblendet. Aber ihre Verirrung währte nicht lange: schon
längst vor dem Sturze des Gewaltigen hatte sie seinen eigentlichen Charakter
mit scharfem Blick durchschaut. Dennoch machen ihre Mittheilungen und Ent¬
hüllungen nicht den Eindruck, als habe die Eisersucht oder irgend sonst ein
gereiztes Gefühl ihr dieselben diktirt. Der Charakter Napoleon's aber erscheint
hier im düstersten Lichte, er wird als wahrhaft verächtlich geschildert.

So lange die napoleonische Legende <zu vo^us war, fälschte man um die
Wette die Geschichte; zum mindesten verschwieg man mit geflissentlicher Ueber¬
einstimmung Vieles, was einen Schatten auf die grandiose Gestalt werfen
konnte, in welcher der Ruhm und die Größe Frankreich's verkörpert zu sein
schien. Allmählich machte sich eine Reaktion gegen diese Art der Geschicht¬
schreibung geltend, und neben dem Genie des großen Eroberers wurde auch
sein maßloser Ehrgeiz, seine ungeheure Selbstsucht und die Verderbtheit seines
Herzens allmählich anerkannt und gezeichnet. Das Buch von Thiers, sagt ein
französischer Schriftsteller, so schön in mancher Hinsicht und doch so falsch und


sie vielleicht nie verbürgter und intimer, aber auch nie schonungsloser an die
Öffentlichkeit gezogen worden sind.

Schon als Konsul, wo Napoleon Bonaparte dem legitimistischen Adel
Frankreich's noch als Revolutionär galt, suchte er sich den ältesten und vor¬
nehmsten Familien möglichst zu nähern und dieselben an sich heranzuziehen.
Schon damals strebte er danach, den ganzen Glanz des alten Hofes wieder
aufleben zu lassen und sich mit Personen von klangvollen Namen zu umgeben.

Die erst 22 jährige geistvolle Gemahlin seines Palastpräfekten zog ihn
wegen ihrer gewinnenden Eigenschaften lebhaft an, ohne daß ihr deshalb die
Gunst Josephinen's entzogen wurde, und so theilte Frau v. Remusat vollständig
das Leben der Gatten und lernte beide sehr genau kennen, genauer als alle
die Staatsmänner und Generäle, die täglich einige Stunden mit Napoleon
arbeiteten oder ihn auf seinen Feldzttgen begleiteten. Denn Napoleon gab sich
solchen Personen gegenüber nie so, wie er war. Er war nicht blos ein großer
Staatsmann und Feldherr, sondern auch ein vortrefflicher — Schauspieler;
aber seine Bühne war die Welt. Wenig Personen aber — sicherlich keine,
welche so zu beobachte» und die Feder so gewandt zu führen wußte wie Frau
v. Remusat — konnten soviel Gelegenheit finden wie sie, ihn gleichsam hinter
den Koulissen zu beobachten, wenn er, müde von der Arbeit und Last des
Tages, aus seiner Rolle herausging und ganz sich selbst angehören wollte.
Aber auch dann noch, sagt Frau v. Remusat, blieb er die imponirende, bezau¬
bernde Persönlichkeit. Sie selbst entging der verführerischen Gewalt seines
Wesens nicht, wie sie ohne Umschweif eingesteht. Wie so viele Andere ward
sie von seiner erdrückenden Ueberlegenheit und von seiner Ruhmesherrlichkeit
bezwungen und geblendet. Aber ihre Verirrung währte nicht lange: schon
längst vor dem Sturze des Gewaltigen hatte sie seinen eigentlichen Charakter
mit scharfem Blick durchschaut. Dennoch machen ihre Mittheilungen und Ent¬
hüllungen nicht den Eindruck, als habe die Eisersucht oder irgend sonst ein
gereiztes Gefühl ihr dieselben diktirt. Der Charakter Napoleon's aber erscheint
hier im düstersten Lichte, er wird als wahrhaft verächtlich geschildert.

So lange die napoleonische Legende <zu vo^us war, fälschte man um die
Wette die Geschichte; zum mindesten verschwieg man mit geflissentlicher Ueber¬
einstimmung Vieles, was einen Schatten auf die grandiose Gestalt werfen
konnte, in welcher der Ruhm und die Größe Frankreich's verkörpert zu sein
schien. Allmählich machte sich eine Reaktion gegen diese Art der Geschicht¬
schreibung geltend, und neben dem Genie des großen Eroberers wurde auch
sein maßloser Ehrgeiz, seine ungeheure Selbstsucht und die Verderbtheit seines
Herzens allmählich anerkannt und gezeichnet. Das Buch von Thiers, sagt ein
französischer Schriftsteller, so schön in mancher Hinsicht und doch so falsch und


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[0245] sie vielleicht nie verbürgter und intimer, aber auch nie schonungsloser an die Öffentlichkeit gezogen worden sind. Schon als Konsul, wo Napoleon Bonaparte dem legitimistischen Adel Frankreich's noch als Revolutionär galt, suchte er sich den ältesten und vor¬ nehmsten Familien möglichst zu nähern und dieselben an sich heranzuziehen. Schon damals strebte er danach, den ganzen Glanz des alten Hofes wieder aufleben zu lassen und sich mit Personen von klangvollen Namen zu umgeben. Die erst 22 jährige geistvolle Gemahlin seines Palastpräfekten zog ihn wegen ihrer gewinnenden Eigenschaften lebhaft an, ohne daß ihr deshalb die Gunst Josephinen's entzogen wurde, und so theilte Frau v. Remusat vollständig das Leben der Gatten und lernte beide sehr genau kennen, genauer als alle die Staatsmänner und Generäle, die täglich einige Stunden mit Napoleon arbeiteten oder ihn auf seinen Feldzttgen begleiteten. Denn Napoleon gab sich solchen Personen gegenüber nie so, wie er war. Er war nicht blos ein großer Staatsmann und Feldherr, sondern auch ein vortrefflicher — Schauspieler; aber seine Bühne war die Welt. Wenig Personen aber — sicherlich keine, welche so zu beobachte» und die Feder so gewandt zu führen wußte wie Frau v. Remusat — konnten soviel Gelegenheit finden wie sie, ihn gleichsam hinter den Koulissen zu beobachten, wenn er, müde von der Arbeit und Last des Tages, aus seiner Rolle herausging und ganz sich selbst angehören wollte. Aber auch dann noch, sagt Frau v. Remusat, blieb er die imponirende, bezau¬ bernde Persönlichkeit. Sie selbst entging der verführerischen Gewalt seines Wesens nicht, wie sie ohne Umschweif eingesteht. Wie so viele Andere ward sie von seiner erdrückenden Ueberlegenheit und von seiner Ruhmesherrlichkeit bezwungen und geblendet. Aber ihre Verirrung währte nicht lange: schon längst vor dem Sturze des Gewaltigen hatte sie seinen eigentlichen Charakter mit scharfem Blick durchschaut. Dennoch machen ihre Mittheilungen und Ent¬ hüllungen nicht den Eindruck, als habe die Eisersucht oder irgend sonst ein gereiztes Gefühl ihr dieselben diktirt. Der Charakter Napoleon's aber erscheint hier im düstersten Lichte, er wird als wahrhaft verächtlich geschildert. So lange die napoleonische Legende <zu vo^us war, fälschte man um die Wette die Geschichte; zum mindesten verschwieg man mit geflissentlicher Ueber¬ einstimmung Vieles, was einen Schatten auf die grandiose Gestalt werfen konnte, in welcher der Ruhm und die Größe Frankreich's verkörpert zu sein schien. Allmählich machte sich eine Reaktion gegen diese Art der Geschicht¬ schreibung geltend, und neben dem Genie des großen Eroberers wurde auch sein maßloser Ehrgeiz, seine ungeheure Selbstsucht und die Verderbtheit seines Herzens allmählich anerkannt und gezeichnet. Das Buch von Thiers, sagt ein französischer Schriftsteller, so schön in mancher Hinsicht und doch so falsch und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/245>, abgerufen am 23.11.2024.