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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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voll, der Mund groß, die Lippen voll, die Backenknochen etwas hervorstehend.
Den Männern gegenüber gelten die Frauen im allgemeinen als weniger schön:
ihr Körperbau erscheint etwas zu stämmig, der Gesichtsausdruck hat etwas
Energisches, fast Männliches, ihren Zügen fehlt die Weichheit. Doch trifft man
anch hübsche Gesichter unter ihnen mit dem Ausdruck der Schamhaftigkeit.
Was den letzteren Punkt anlangt, so zeichnen sich die scunoanischen Frauen
vortheilhaft vor den übrigen polynesischen aus, deren Moral für sehr lax gilt.
Dumont d'Urville hebt es ganz besonders hervor, daß die eingebornen Frauen
die Bewerbungen seiner Watrosen standhaft zurückwiesen, und wenn sie nach
anderen Berichten sich der Matrosen- und Pflanzergalanterie zugänglicher
zeigten, so steht doch soviel fest, daß sie viel zurückhaltender sind als z. B.
die schönen Bewohnerinnen der Sandwichinseln, die Kanaka. Jedenfalls muß
man bei Beurtheilung dieser Frage den entsprechenden Maßstab anlegen und
die Naivetät des Naturvolkes mit in Rechnung ziehen.

Den Charakter der Samoaner erklären alle genaueren Kenner für harm¬
los, freundlich und heiter, ihre geistigen Anlagen für beachtenswerth, während
der Trieb zur Arbeit nur selten hervortritt. Sie befinden sich in der glück¬
lichen Lage, daß die überreiche Vegetation, die beispiellose Fruchtbarkeit auch
ohne große Anstrengung ihrerseits sie versorgt, und verrichten nicht mehr, als
sie eben zu ihrer leiblichen Erhaltung, Kleidung und Wohnung nöthig haben.
Wenn unter ihren häuslichen Tugenden eine zärtliche Liebe zu den Kindern
und eine hohe Ehrfurcht gegen das Alter am meisten auffallen, so nennt man
als ihre Stammeslaster zunächst ihre Neigung zum äolos lÄr nisQw, ihre Hab¬
sucht, Veränderlichkeit und ihren Hang zum Stehlen> Der letztere hat wohl
darin seinen Grund, daß bei dem Mangel eines genau bestimmten persönlichen
Besitzes die Begriffe über Mein und Dein nur unvollkommen entwickelt sind.
Doch treiben sie ihren Hang zum Nichtsthun nicht soweit, daß sie nicht in
ihren Wohnungen, wie in ihren Kleidungsstücken einen gewissen Luxus zur
Anwendung brächten, der von ihrem Sinne für das Anmuthige und Zierliche
hinreichend Zeugniß ablegt. Während sie schwere körperliche Anstrengungen
am liebsten vermeiden, haben sie ihre Umgangsformen mit Europäern und
unter sich mit besonderer Sorgfalt ausgebildet; die große Höflichkeit, mit der
sie den Europäern begegnen, berührt stets auf's angenehmste und hat ihnen
das Prädikat der zugänglichsten und liebenswürdigsten unter den Südsee¬
insulanern eingetragen. Mit einer gegen die übrigen Jnselbewohner abstechen¬
den Decenz in Worten und Benehmen verbinden sie große Gastfreiheit, Frei¬
gebigkeit und stete Hilfsbereitschaft. Im Verein mit großem Muth und leicht
erregbarer Kampfeslust hat allerdings die letztere Eigenschaft viel zur Zer¬
rüttung der staatlichen Verhältnisse beigetragen, denn sie folgten beim Ent-


voll, der Mund groß, die Lippen voll, die Backenknochen etwas hervorstehend.
Den Männern gegenüber gelten die Frauen im allgemeinen als weniger schön:
ihr Körperbau erscheint etwas zu stämmig, der Gesichtsausdruck hat etwas
Energisches, fast Männliches, ihren Zügen fehlt die Weichheit. Doch trifft man
anch hübsche Gesichter unter ihnen mit dem Ausdruck der Schamhaftigkeit.
Was den letzteren Punkt anlangt, so zeichnen sich die scunoanischen Frauen
vortheilhaft vor den übrigen polynesischen aus, deren Moral für sehr lax gilt.
Dumont d'Urville hebt es ganz besonders hervor, daß die eingebornen Frauen
die Bewerbungen seiner Watrosen standhaft zurückwiesen, und wenn sie nach
anderen Berichten sich der Matrosen- und Pflanzergalanterie zugänglicher
zeigten, so steht doch soviel fest, daß sie viel zurückhaltender sind als z. B.
die schönen Bewohnerinnen der Sandwichinseln, die Kanaka. Jedenfalls muß
man bei Beurtheilung dieser Frage den entsprechenden Maßstab anlegen und
die Naivetät des Naturvolkes mit in Rechnung ziehen.

Den Charakter der Samoaner erklären alle genaueren Kenner für harm¬
los, freundlich und heiter, ihre geistigen Anlagen für beachtenswerth, während
der Trieb zur Arbeit nur selten hervortritt. Sie befinden sich in der glück¬
lichen Lage, daß die überreiche Vegetation, die beispiellose Fruchtbarkeit auch
ohne große Anstrengung ihrerseits sie versorgt, und verrichten nicht mehr, als
sie eben zu ihrer leiblichen Erhaltung, Kleidung und Wohnung nöthig haben.
Wenn unter ihren häuslichen Tugenden eine zärtliche Liebe zu den Kindern
und eine hohe Ehrfurcht gegen das Alter am meisten auffallen, so nennt man
als ihre Stammeslaster zunächst ihre Neigung zum äolos lÄr nisQw, ihre Hab¬
sucht, Veränderlichkeit und ihren Hang zum Stehlen> Der letztere hat wohl
darin seinen Grund, daß bei dem Mangel eines genau bestimmten persönlichen
Besitzes die Begriffe über Mein und Dein nur unvollkommen entwickelt sind.
Doch treiben sie ihren Hang zum Nichtsthun nicht soweit, daß sie nicht in
ihren Wohnungen, wie in ihren Kleidungsstücken einen gewissen Luxus zur
Anwendung brächten, der von ihrem Sinne für das Anmuthige und Zierliche
hinreichend Zeugniß ablegt. Während sie schwere körperliche Anstrengungen
am liebsten vermeiden, haben sie ihre Umgangsformen mit Europäern und
unter sich mit besonderer Sorgfalt ausgebildet; die große Höflichkeit, mit der
sie den Europäern begegnen, berührt stets auf's angenehmste und hat ihnen
das Prädikat der zugänglichsten und liebenswürdigsten unter den Südsee¬
insulanern eingetragen. Mit einer gegen die übrigen Jnselbewohner abstechen¬
den Decenz in Worten und Benehmen verbinden sie große Gastfreiheit, Frei¬
gebigkeit und stete Hilfsbereitschaft. Im Verein mit großem Muth und leicht
erregbarer Kampfeslust hat allerdings die letztere Eigenschaft viel zur Zer¬
rüttung der staatlichen Verhältnisse beigetragen, denn sie folgten beim Ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/237>, abgerufen am 01.09.2024.