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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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mindern. Freilich vermissen wir in seiner Beurtheilung des Handels das
Kulturmoment, dem Schiller's Distichon Ausdruck gibt:


Euch, ihr Götter, gehört der Kaufmann. Güter zu suchen
Geht er, doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich um.

Wie für den Schutzzoll würde Luther aber auch mit echt sittlichem Pathos für
ein Wuchergesetz eingetreten sein. "Das größte Unglück deutscher Nation,"
sagt er, "ist gewiß der Zinskauf... Der Teufel hat ihn erdacht . . . Darum
bitt' ich und ruf' hier: sehe ein Jeglicher sein eigen, seiner Kinder und Erben
Verderben an, das ihm nicht vor der Thür, sondern schon im Hause rumort,
und thue dazu Kaiser, Fürsten, Herren und Städte, daß der Kauf nur aufs
Schierste werde verdammt und hinfort verwehrt .... Hier müßte man wahr¬
lich auch den Fuggern (den Rothschilden jener Zeit) und dergleichen Gesell¬
schaften einen Zaum in's Maul legen. Wie ist's möglich, daß es sollte
göttlich und recht zugehen, daß bei eines Menschen Leben sollten ans einen
Haufen so große, königliche Güter gebracht werden? Ich weiß die Rechnung
nicht. Aber das verstehe ich nicht, wie man mit 100 Gulden mag des Jahres
erwerben 20, ja ein Gulden den andern, und das Alles nicht aus der Erde oder
von dem Vieh, da das Gut nicht in menschlichem Witz, sondern in Gottes
Gebenedeiung steht... Das weiß ich wohl, daß es viel göttlicher wäre, Acker¬
werk mehren und Kaufmannschaft mindern." Würde er vielleicht auch die
Getreidezölle befürwortet haben?

Zum Schlüsse sei noch auf ein paar Zeilen unsrer Schrift hingewiesen,
die Luther leicht als Partikularisten erscheinen lassen könnten. "Es dünkt mich
gleich" (d. h. recht und billig), erklärt er, "daß Landrecht und Landsitten den
kaiserlichen gemeinen Rechten werden vorgezogen und die Kaiserlichen nur zur
Noth gebraucht. Und wollte Gott, daß, wie ein jegliches Land seine eigene
Art und Gaben hat, also auch mit eigenen kurzen Rechten regiert würden!"
Damit steht er freilich im Gegensatz zu unsrer heutigen Reichsverfassung,
wonach Reichsrecht im Kollisionsfalle vor Landrecht geht. Aber unter einem
spanischen Kaiser mußte auch der deutsche Individualismus auf die berechtigten
Eigenthümlichkeiten der einzelnen Stämme noch sorgfältiger halten, als wir es
in einem enger umgrenzten Reichsgebiet, unter einem protestantischen und doch
auch gegen den Katholizismus gerechten Kaiser und unter konstitutionellen
Verhältnissen nöthig haben. Daß Luther ein warmes Herz für die ganze
"deutsche Nation" hatte, wird ihm Niemand abstreiten. Auch auf den guten
Willen des "jungen, edlen Blutes Carolus" setzte er anfangs nur allzugroße
Hoffnungen, und selbst als diese schon geraume Zeit getäuscht waren, hat er
immer noch eine Politik passiven Gehorsams gegen den Kaiser als den Herrn


mindern. Freilich vermissen wir in seiner Beurtheilung des Handels das
Kulturmoment, dem Schiller's Distichon Ausdruck gibt:


Euch, ihr Götter, gehört der Kaufmann. Güter zu suchen
Geht er, doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich um.

Wie für den Schutzzoll würde Luther aber auch mit echt sittlichem Pathos für
ein Wuchergesetz eingetreten sein. „Das größte Unglück deutscher Nation,"
sagt er, „ist gewiß der Zinskauf... Der Teufel hat ihn erdacht . . . Darum
bitt' ich und ruf' hier: sehe ein Jeglicher sein eigen, seiner Kinder und Erben
Verderben an, das ihm nicht vor der Thür, sondern schon im Hause rumort,
und thue dazu Kaiser, Fürsten, Herren und Städte, daß der Kauf nur aufs
Schierste werde verdammt und hinfort verwehrt .... Hier müßte man wahr¬
lich auch den Fuggern (den Rothschilden jener Zeit) und dergleichen Gesell¬
schaften einen Zaum in's Maul legen. Wie ist's möglich, daß es sollte
göttlich und recht zugehen, daß bei eines Menschen Leben sollten ans einen
Haufen so große, königliche Güter gebracht werden? Ich weiß die Rechnung
nicht. Aber das verstehe ich nicht, wie man mit 100 Gulden mag des Jahres
erwerben 20, ja ein Gulden den andern, und das Alles nicht aus der Erde oder
von dem Vieh, da das Gut nicht in menschlichem Witz, sondern in Gottes
Gebenedeiung steht... Das weiß ich wohl, daß es viel göttlicher wäre, Acker¬
werk mehren und Kaufmannschaft mindern." Würde er vielleicht auch die
Getreidezölle befürwortet haben?

Zum Schlüsse sei noch auf ein paar Zeilen unsrer Schrift hingewiesen,
die Luther leicht als Partikularisten erscheinen lassen könnten. „Es dünkt mich
gleich" (d. h. recht und billig), erklärt er, „daß Landrecht und Landsitten den
kaiserlichen gemeinen Rechten werden vorgezogen und die Kaiserlichen nur zur
Noth gebraucht. Und wollte Gott, daß, wie ein jegliches Land seine eigene
Art und Gaben hat, also auch mit eigenen kurzen Rechten regiert würden!"
Damit steht er freilich im Gegensatz zu unsrer heutigen Reichsverfassung,
wonach Reichsrecht im Kollisionsfalle vor Landrecht geht. Aber unter einem
spanischen Kaiser mußte auch der deutsche Individualismus auf die berechtigten
Eigenthümlichkeiten der einzelnen Stämme noch sorgfältiger halten, als wir es
in einem enger umgrenzten Reichsgebiet, unter einem protestantischen und doch
auch gegen den Katholizismus gerechten Kaiser und unter konstitutionellen
Verhältnissen nöthig haben. Daß Luther ein warmes Herz für die ganze
„deutsche Nation" hatte, wird ihm Niemand abstreiten. Auch auf den guten
Willen des „jungen, edlen Blutes Carolus" setzte er anfangs nur allzugroße
Hoffnungen, und selbst als diese schon geraume Zeit getäuscht waren, hat er
immer noch eine Politik passiven Gehorsams gegen den Kaiser als den Herrn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/224>, abgerufen am 27.11.2024.