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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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jetzt der verkehrte Mißbrauch geht; denn Se. Paulus sagt: Wer nicht arbeitet,
soll auch nicht essen." Was für gesunde, zeitgemäße Grundsätze sind das,
ohne die geringste Spur von falscher Sentimentalität und doch mit dem ent¬
schiedenen Bewußtsein von der Pflicht zweckmäßiger Armenversorgung! Die
Armenpflege soll nicht den Zufälligkeiten der Privatwohlthätigkeit preisgegeben
sein -- wenngleich natürlich auch diese keineswegs verworfen werden soll, wo
die Anbahnung eines dauernden Verhältnisses zwischen Almosenspender und
-Empfänger möglich ist -- sondern durch eine berufsmäßige Diakonie getrieben
werden, die unter obrigkeitlicher oder kirchlicher Kontrole steht. Nun, in Leipzig
haben wir jetzt beides: die städtische Armenanstalt und die Wirksamkeit des
Vereinshauses für innere Mission. Gegen das Landstreicherthum aber sehen
wir gleichsam an Luther's Stubenthür im alten Augustinerkloster das abwei¬
sende Schild des "Vereines zur Verhütung von Hausbettelei" prangen.

In die neuesten Reichstagsverhandlungen glauben wir uns versetzt, wenn
Luther "ein gemein Gebot und Bewilligung deutscher Nation wider den über-
schwänglichen Ueberfluß und Kosten der Kleidung" verlangt, "dadurch so viel
Adel und reiches Volk verarmt. Hat doch Gott uns wie andern Landen genug
gegeben Wolle, Haar, Flachs und Alles, das zu ziemlicher, ehrlicher Kleidung
einem jeglichen Stand redlich dient, daß wir nicht bedurften so gräulichen,
großen Schatz für Seide, Sammet, Guldenstück und was der ausländischen
Waaren ist, so geudisch (verschwenderisch) verschütten. Ich acht, wenn schon
der Papst mit seiner unerträglichen Schinderei uns Deutsche nicht beraubte,
hätten wir dennoch mehr denn zuviel an diesen heimlichen Räubern, den
Seiden- und Sammetkrämern .... Desselbengleichen wäre auch noch zu
wenigern die Specerei, das auch der großen Schiffe eins ist, darinnen das
Geld aus deutschen Landen geführt wird. Es wächst uns ja von Gottes
Gnaden mehr Essen und Trinken und so köstlich und gut als irgend einem
andern Lande. Ich werde hier vielleicht närrische und unmögliche Dinge vor¬
geben, als wollte ich den größten Handel der Kaufmannschaft niederlegen. Aber
ich thue das Meine; wird's nicht in der Gemeine gebessert, so bessere sich selbst,
wer es thun will. Ich sehe nicht viel gute Sitten, die je in ein Land ge¬
kommen sind durch Kaufmannschaft, und Gott vor Zeiten sein Volk Israel
darum von dem Meere wohnen ließ und nicht viel Kaufmannschaft treiben."
Man sieht, Freihandelsmann war Luther nicht; er würde gewiß für den
Schutzzoll gestimmt haben, wenn auch nicht in der Absicht, dem Staate dadurch
neue Einnahmequellen zu eröffnen, oder in der Meinung, das Geschäftsleben
dadurch wieder in Fluß zu bringen, sondern eher umgekehrt, um den Luxus
und damit die Ausgaben des Bürgers, zumal des gemeinen Mannes, zu ver-


jetzt der verkehrte Mißbrauch geht; denn Se. Paulus sagt: Wer nicht arbeitet,
soll auch nicht essen." Was für gesunde, zeitgemäße Grundsätze sind das,
ohne die geringste Spur von falscher Sentimentalität und doch mit dem ent¬
schiedenen Bewußtsein von der Pflicht zweckmäßiger Armenversorgung! Die
Armenpflege soll nicht den Zufälligkeiten der Privatwohlthätigkeit preisgegeben
sein — wenngleich natürlich auch diese keineswegs verworfen werden soll, wo
die Anbahnung eines dauernden Verhältnisses zwischen Almosenspender und
-Empfänger möglich ist — sondern durch eine berufsmäßige Diakonie getrieben
werden, die unter obrigkeitlicher oder kirchlicher Kontrole steht. Nun, in Leipzig
haben wir jetzt beides: die städtische Armenanstalt und die Wirksamkeit des
Vereinshauses für innere Mission. Gegen das Landstreicherthum aber sehen
wir gleichsam an Luther's Stubenthür im alten Augustinerkloster das abwei¬
sende Schild des „Vereines zur Verhütung von Hausbettelei" prangen.

In die neuesten Reichstagsverhandlungen glauben wir uns versetzt, wenn
Luther „ein gemein Gebot und Bewilligung deutscher Nation wider den über-
schwänglichen Ueberfluß und Kosten der Kleidung" verlangt, „dadurch so viel
Adel und reiches Volk verarmt. Hat doch Gott uns wie andern Landen genug
gegeben Wolle, Haar, Flachs und Alles, das zu ziemlicher, ehrlicher Kleidung
einem jeglichen Stand redlich dient, daß wir nicht bedurften so gräulichen,
großen Schatz für Seide, Sammet, Guldenstück und was der ausländischen
Waaren ist, so geudisch (verschwenderisch) verschütten. Ich acht, wenn schon
der Papst mit seiner unerträglichen Schinderei uns Deutsche nicht beraubte,
hätten wir dennoch mehr denn zuviel an diesen heimlichen Räubern, den
Seiden- und Sammetkrämern .... Desselbengleichen wäre auch noch zu
wenigern die Specerei, das auch der großen Schiffe eins ist, darinnen das
Geld aus deutschen Landen geführt wird. Es wächst uns ja von Gottes
Gnaden mehr Essen und Trinken und so köstlich und gut als irgend einem
andern Lande. Ich werde hier vielleicht närrische und unmögliche Dinge vor¬
geben, als wollte ich den größten Handel der Kaufmannschaft niederlegen. Aber
ich thue das Meine; wird's nicht in der Gemeine gebessert, so bessere sich selbst,
wer es thun will. Ich sehe nicht viel gute Sitten, die je in ein Land ge¬
kommen sind durch Kaufmannschaft, und Gott vor Zeiten sein Volk Israel
darum von dem Meere wohnen ließ und nicht viel Kaufmannschaft treiben."
Man sieht, Freihandelsmann war Luther nicht; er würde gewiß für den
Schutzzoll gestimmt haben, wenn auch nicht in der Absicht, dem Staate dadurch
neue Einnahmequellen zu eröffnen, oder in der Meinung, das Geschäftsleben
dadurch wieder in Fluß zu bringen, sondern eher umgekehrt, um den Luxus
und damit die Ausgaben des Bürgers, zumal des gemeinen Mannes, zu ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/223>, abgerufen am 27.11.2024.