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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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und in der Anlehnung an die absoluteste Autorität das Mittel zur Zerstörung
der Bildung und Sitte suchen. Der manchesterliche Radikalismus ist gleich
dem ultramontanen und sozialen antinational. Sein Wahn ist die kosmo¬
politische Freihandelsgesellschaft, der atomistische Weltnebel, der in der englischen
Kapitalmacht eine Art Kern erhält, welcher ihn vor völliger Zerfließung bewahrt.
Der soziale Radikalismus folgt dem Wahn der kosmopolitischen Arbeitervor¬
sehung, nachdem die nicht handarbeitende Thätigkeit ans dem Buche der Gesell¬
schaft gestrichen ist. Ein Herrschaftsproblem, wie es noch keiner menschlichen
Herrschaft gestellt worden, welches von den Herrschern die Allmacht, die
Allwissenheit und zugleich die absoluteste Selbstlosigkeit verlangt, während in
der Theorie dieses Radikalismus der Mensch für ein lediglich materielles Wesen
und für sein einziges Motiv der Egoismus der materiellen Selbsterhaltung
erklärt wird.

In diesem Gegensatz vier konservativer und drei radikaler Richtungen
könnten nach und nach, so sollte man meinen, die immer noch zahlreichen
Schattirungen deutscher Ideale und Bestrebungen in der Politik ihr Unter¬
kommen finden. Sie werden wenigstens zu Anhängseln des Hauptgegensatzes
herabsinken ^ .




Sieöenbürgisches Jadeleben.

Von Jahr zu Jcihr vermehrt sich die Zahl der offiziellen Badeorte und Sommer¬
frischen. Eine Entwickelungsgeschichte des Bade- und Erfrischmigs-Bedürfnisses unsrer
Zeit, das man ja noch vor wenig Jahrzehnten in so ausgedehntem Maße gar nicht
kannte, und eine Darstellung der fort und fort sich mehrenden Mittel zu seiner Be¬
friedigung dürfte interessante Resultate zu Tage fördern und einen nicht unwesentlichen
Beitrag zur Kulturgeschichte der jüngsten Vergangenheit bilden. Zur Steigerung und
Ausbreitung des Bedürfnisses hat ohne Zweifel die vor fünfzig Jahren noch ungeahnte
Erleichterung unsrers Verkehrs und die stets zunehmende Vervollkommnung der Beför¬
derungsmittel in erster Linie beigetragen; hat sie doch für manchen, sonst wenig ergie¬
bigen Punkt der Erde geradezu einen neuen Erwerbszweig damit geschaffen.

Das auffallendste Beispiel dieser Art bietet der Rigi, der jetzt von zwei Eisen¬
bahnen erklommen ist. Der kürzlich verstorbene Ednard Osenbrüggen, der, obwohl von
Geburt ein Holsteiner, doch in der Schweiz besser bewandert war als die meisten
Schweizer, gibt in seinen "Wanderstudien" auch einige Andeutungen über die älteren


und in der Anlehnung an die absoluteste Autorität das Mittel zur Zerstörung
der Bildung und Sitte suchen. Der manchesterliche Radikalismus ist gleich
dem ultramontanen und sozialen antinational. Sein Wahn ist die kosmo¬
politische Freihandelsgesellschaft, der atomistische Weltnebel, der in der englischen
Kapitalmacht eine Art Kern erhält, welcher ihn vor völliger Zerfließung bewahrt.
Der soziale Radikalismus folgt dem Wahn der kosmopolitischen Arbeitervor¬
sehung, nachdem die nicht handarbeitende Thätigkeit ans dem Buche der Gesell¬
schaft gestrichen ist. Ein Herrschaftsproblem, wie es noch keiner menschlichen
Herrschaft gestellt worden, welches von den Herrschern die Allmacht, die
Allwissenheit und zugleich die absoluteste Selbstlosigkeit verlangt, während in
der Theorie dieses Radikalismus der Mensch für ein lediglich materielles Wesen
und für sein einziges Motiv der Egoismus der materiellen Selbsterhaltung
erklärt wird.

In diesem Gegensatz vier konservativer und drei radikaler Richtungen
könnten nach und nach, so sollte man meinen, die immer noch zahlreichen
Schattirungen deutscher Ideale und Bestrebungen in der Politik ihr Unter¬
kommen finden. Sie werden wenigstens zu Anhängseln des Hauptgegensatzes
herabsinken ^ .




Sieöenbürgisches Jadeleben.

Von Jahr zu Jcihr vermehrt sich die Zahl der offiziellen Badeorte und Sommer¬
frischen. Eine Entwickelungsgeschichte des Bade- und Erfrischmigs-Bedürfnisses unsrer
Zeit, das man ja noch vor wenig Jahrzehnten in so ausgedehntem Maße gar nicht
kannte, und eine Darstellung der fort und fort sich mehrenden Mittel zu seiner Be¬
friedigung dürfte interessante Resultate zu Tage fördern und einen nicht unwesentlichen
Beitrag zur Kulturgeschichte der jüngsten Vergangenheit bilden. Zur Steigerung und
Ausbreitung des Bedürfnisses hat ohne Zweifel die vor fünfzig Jahren noch ungeahnte
Erleichterung unsrers Verkehrs und die stets zunehmende Vervollkommnung der Beför¬
derungsmittel in erster Linie beigetragen; hat sie doch für manchen, sonst wenig ergie¬
bigen Punkt der Erde geradezu einen neuen Erwerbszweig damit geschaffen.

Das auffallendste Beispiel dieser Art bietet der Rigi, der jetzt von zwei Eisen¬
bahnen erklommen ist. Der kürzlich verstorbene Ednard Osenbrüggen, der, obwohl von
Geburt ein Holsteiner, doch in der Schweiz besser bewandert war als die meisten
Schweizer, gibt in seinen „Wanderstudien" auch einige Andeutungen über die älteren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/210>, abgerufen am 27.11.2024.