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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Dagegen ist es eine wichtige Aufgabe, den ansehnlichen Theil des deutschen
Bürgerthums, welchen man unablässig in den Irrthum hineingeführt hat, die
parlamentarische Regierung, d. h. die Regierung durch die Legislative, lasse
sich von heute auf morgen in Deutschland dekretiren, und die bloße formale
Geltung dieses Verfassungsprinzips werde die deutsche Einheit sichern, alle
feindlichen Gegensätze niederschlagen oder versöhnen und die heilsamen Wege
der Zukunft ohne Mühe finden lassen -- diesen Theil des Bürgerthums aus
einem so widersinnigen und gefährlichen Irrthum wieder herauszureißen. Es
handelt sich darum, diesen Theil des Mittelstandes, der einen Theil der
besten geistigen Kraft unseres Volkes beherbergt, zu überzeugen, daß es sich
nicht um Reaktion, nicht um Beschränkung der freien Bewegung des öffent¬
lichen Geistes, nicht um Verkümmerung der verfassungsmäßigen Rechte der
Volksvertretung, nicht um Aufhebung der staatsbürgerlichen Gleichheit handelt,
wenn man das Idol der parlamentarischen Regierung aufgibt, wenn man auf¬
hört, alle politischen Maßregeln darnach zu beurtheilen, ob sie der Annäherung
an dieses Idol günstig sind. Die wahre Annäherung kann überdies nicht be¬
stehen in der Erwerbung mechanischer Machtmittel für das Parlament, in
einer willkürlichen Verfügung über die Einnahmequellen und dergleichen. Nur
eine allmähliche Erziehung der Parteien und des Volkes zu einem konstanten
Willen in konkreten Dingen könnte das Parlament zum ersten Faktor im
deutschen Staatsleben machen.

So lange ein solcher Wille, zu dem eine längere Erfahrung auf dem Boden
unveränderter Grundlagen des Staatslebens gehört, als das deutsche Volk sie
hat, nicht erzogen ist, so lange wäre die formal begründete Souveränetät des
deutschen Parlaments ein Spielzeug, mit welchem dasselbe sich und die Nation
zerschlagen würde. Die Aufgabe einer nationalen Partei wäre es, den bild¬
samen Theil des deutschen Bürgerthums in der Erkenntniß zu lenken, daß das
Ziel, die deutsche Einheit in alle Wurzeln unseres Lebens einzusenken, auf
anderen Vorarbeiten ruhen muß, als auf der Souveränetät eines Parlaments,
welches noch auf lange Zeit nur der Spiegel einer zerrissenen Nation sein kann.
Diese nationale Partei, welche nach und nach der Sammelpunkt der besten
geistigen Kräfte werden muß, denken wir uns als das führende, vorwärtstrei¬
bende Element der anderen konservativen Parteien und der konservativen Ent¬
wickelung. Denn konservativ ist die Partei, die es sich zur Aufgabe macht,
die zusammenhaltenden Kräfte des nationalen Lebens durch Institutionen zu
verkörpern, welche der Nation eine unzerstörbare Lebensdauer sichern.

Diesen vier konservativen Gruppen des deutschen Parteilebens stehen
naturgemäß gegenüber die drei Radikalismen: der manchesterliche, soziale und
ultramontane. Der ultramontane wird immer pästlicher sein als der Papst


Dagegen ist es eine wichtige Aufgabe, den ansehnlichen Theil des deutschen
Bürgerthums, welchen man unablässig in den Irrthum hineingeführt hat, die
parlamentarische Regierung, d. h. die Regierung durch die Legislative, lasse
sich von heute auf morgen in Deutschland dekretiren, und die bloße formale
Geltung dieses Verfassungsprinzips werde die deutsche Einheit sichern, alle
feindlichen Gegensätze niederschlagen oder versöhnen und die heilsamen Wege
der Zukunft ohne Mühe finden lassen — diesen Theil des Bürgerthums aus
einem so widersinnigen und gefährlichen Irrthum wieder herauszureißen. Es
handelt sich darum, diesen Theil des Mittelstandes, der einen Theil der
besten geistigen Kraft unseres Volkes beherbergt, zu überzeugen, daß es sich
nicht um Reaktion, nicht um Beschränkung der freien Bewegung des öffent¬
lichen Geistes, nicht um Verkümmerung der verfassungsmäßigen Rechte der
Volksvertretung, nicht um Aufhebung der staatsbürgerlichen Gleichheit handelt,
wenn man das Idol der parlamentarischen Regierung aufgibt, wenn man auf¬
hört, alle politischen Maßregeln darnach zu beurtheilen, ob sie der Annäherung
an dieses Idol günstig sind. Die wahre Annäherung kann überdies nicht be¬
stehen in der Erwerbung mechanischer Machtmittel für das Parlament, in
einer willkürlichen Verfügung über die Einnahmequellen und dergleichen. Nur
eine allmähliche Erziehung der Parteien und des Volkes zu einem konstanten
Willen in konkreten Dingen könnte das Parlament zum ersten Faktor im
deutschen Staatsleben machen.

So lange ein solcher Wille, zu dem eine längere Erfahrung auf dem Boden
unveränderter Grundlagen des Staatslebens gehört, als das deutsche Volk sie
hat, nicht erzogen ist, so lange wäre die formal begründete Souveränetät des
deutschen Parlaments ein Spielzeug, mit welchem dasselbe sich und die Nation
zerschlagen würde. Die Aufgabe einer nationalen Partei wäre es, den bild¬
samen Theil des deutschen Bürgerthums in der Erkenntniß zu lenken, daß das
Ziel, die deutsche Einheit in alle Wurzeln unseres Lebens einzusenken, auf
anderen Vorarbeiten ruhen muß, als auf der Souveränetät eines Parlaments,
welches noch auf lange Zeit nur der Spiegel einer zerrissenen Nation sein kann.
Diese nationale Partei, welche nach und nach der Sammelpunkt der besten
geistigen Kräfte werden muß, denken wir uns als das führende, vorwärtstrei¬
bende Element der anderen konservativen Parteien und der konservativen Ent¬
wickelung. Denn konservativ ist die Partei, die es sich zur Aufgabe macht,
die zusammenhaltenden Kräfte des nationalen Lebens durch Institutionen zu
verkörpern, welche der Nation eine unzerstörbare Lebensdauer sichern.

Diesen vier konservativen Gruppen des deutschen Parteilebens stehen
naturgemäß gegenüber die drei Radikalismen: der manchesterliche, soziale und
ultramontane. Der ultramontane wird immer pästlicher sein als der Papst


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[0209] Dagegen ist es eine wichtige Aufgabe, den ansehnlichen Theil des deutschen Bürgerthums, welchen man unablässig in den Irrthum hineingeführt hat, die parlamentarische Regierung, d. h. die Regierung durch die Legislative, lasse sich von heute auf morgen in Deutschland dekretiren, und die bloße formale Geltung dieses Verfassungsprinzips werde die deutsche Einheit sichern, alle feindlichen Gegensätze niederschlagen oder versöhnen und die heilsamen Wege der Zukunft ohne Mühe finden lassen — diesen Theil des Bürgerthums aus einem so widersinnigen und gefährlichen Irrthum wieder herauszureißen. Es handelt sich darum, diesen Theil des Mittelstandes, der einen Theil der besten geistigen Kraft unseres Volkes beherbergt, zu überzeugen, daß es sich nicht um Reaktion, nicht um Beschränkung der freien Bewegung des öffent¬ lichen Geistes, nicht um Verkümmerung der verfassungsmäßigen Rechte der Volksvertretung, nicht um Aufhebung der staatsbürgerlichen Gleichheit handelt, wenn man das Idol der parlamentarischen Regierung aufgibt, wenn man auf¬ hört, alle politischen Maßregeln darnach zu beurtheilen, ob sie der Annäherung an dieses Idol günstig sind. Die wahre Annäherung kann überdies nicht be¬ stehen in der Erwerbung mechanischer Machtmittel für das Parlament, in einer willkürlichen Verfügung über die Einnahmequellen und dergleichen. Nur eine allmähliche Erziehung der Parteien und des Volkes zu einem konstanten Willen in konkreten Dingen könnte das Parlament zum ersten Faktor im deutschen Staatsleben machen. So lange ein solcher Wille, zu dem eine längere Erfahrung auf dem Boden unveränderter Grundlagen des Staatslebens gehört, als das deutsche Volk sie hat, nicht erzogen ist, so lange wäre die formal begründete Souveränetät des deutschen Parlaments ein Spielzeug, mit welchem dasselbe sich und die Nation zerschlagen würde. Die Aufgabe einer nationalen Partei wäre es, den bild¬ samen Theil des deutschen Bürgerthums in der Erkenntniß zu lenken, daß das Ziel, die deutsche Einheit in alle Wurzeln unseres Lebens einzusenken, auf anderen Vorarbeiten ruhen muß, als auf der Souveränetät eines Parlaments, welches noch auf lange Zeit nur der Spiegel einer zerrissenen Nation sein kann. Diese nationale Partei, welche nach und nach der Sammelpunkt der besten geistigen Kräfte werden muß, denken wir uns als das führende, vorwärtstrei¬ bende Element der anderen konservativen Parteien und der konservativen Ent¬ wickelung. Denn konservativ ist die Partei, die es sich zur Aufgabe macht, die zusammenhaltenden Kräfte des nationalen Lebens durch Institutionen zu verkörpern, welche der Nation eine unzerstörbare Lebensdauer sichern. Diesen vier konservativen Gruppen des deutschen Parteilebens stehen naturgemäß gegenüber die drei Radikalismen: der manchesterliche, soziale und ultramontane. Der ultramontane wird immer pästlicher sein als der Papst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/209>, abgerufen am 27.11.2024.