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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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päpstlichen Regierung das Verhältniß der katholischen Kirche zum deutschen
Staate geregelt sehen, werden sich durch ihre religiöse, soziale und intellektuelle
Stellung gleichmäßig auf die Theilnahme an der konservativen Entwickelung
angewiesen sehen. Es schadet nichts, wenn sie vorläufig ablehnen, in die deutsch¬
konservative oder sreikonservative Fraktion aufzugehen, sondern die Ueberwachung
der Beziehungen zwischen Staat und Kirche als besonderes Ziel zu ihrer Theil¬
nahme an der konservativen Aufgabe hinzufügen.

Wir halten nun aber noch die Bildung eines vierten Genossen unter den
konservativen Faktoren für durchaus erforderlich. Wir meinen die Bildung
einer nationalen Partei. Eine solche Partei muß ihren Ausgangspunkt
von der Erkenntniß nehmen, daß dem deutschen Reiche, welches noch nicht zehn
Lebensjahre zählt, die wichtigsten Institutionen der Dauer und Kraft noch
mangeln, die man nicht etwa nach dem fertigen Schema eines souveränen Par¬
laments mit einem kollegialen Ministerium u. s. w. in's Leben rufen kann.
Die natürlichen Keimpunkte unserer nationalen Einheit und ihrer Institutionen
wollen erkannt und im rechten Augenblicke zur wirksamen Entfaltung gebracht
sein. Wenn das Ziel einer solchen Partei beinahe zusammenfallen würde mit
dem der Freikonservativen, so ist doch die Bildung einer eignen Partei wenig¬
stens vorläufig durchaus angezeigt. Der Nationalliberalismus sucht neuerdings
ein Monopol auf das deutsche Bürgerthum in Anspruch zu nehmen. Das
deutsche Bürgerthum ist vor 30 Jahren in den "Grenzboten" als politische Kate¬
gorie, die Achtung verdient, in die politischen Begriffe eingeführt worden.
Damals war es Mode, nach französischer Art das Volk als Gegensatz aufzu¬
stellen gegen die verdorbene Bourgeoisie. Gegen diesen Mißbrauch zog Julian
Schmidt in seiner kraftvollen Weise zu Felde; er nannte den Bürger den Ver¬
treter der wahren zusammenhängenden Arbeit gegenüber einer unstäten, von
Phantasmen verführten Masse. Er legte dem Bürger das Wort des Goethi-
schen Prometheus in den Mund:


"Mußt mir meine Hütte
Doch lassen steh'n,
Die Du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Muth
Du mich beneidest/'

Dies war und ist ein richtiger Gedanke von großer Wirkung. Eine leere
Anmaßung aber ist es, das Bürgerthum, welches die Mannigfaltigkeit aller
geistigen Gegensätze und zahlloser widerstrebender Interessen in sich birgt, als
einen einheitlichen Willen vorzustellen, den man repräsentire oder nach Belieben
in Beschlag nehmen könne.


päpstlichen Regierung das Verhältniß der katholischen Kirche zum deutschen
Staate geregelt sehen, werden sich durch ihre religiöse, soziale und intellektuelle
Stellung gleichmäßig auf die Theilnahme an der konservativen Entwickelung
angewiesen sehen. Es schadet nichts, wenn sie vorläufig ablehnen, in die deutsch¬
konservative oder sreikonservative Fraktion aufzugehen, sondern die Ueberwachung
der Beziehungen zwischen Staat und Kirche als besonderes Ziel zu ihrer Theil¬
nahme an der konservativen Aufgabe hinzufügen.

Wir halten nun aber noch die Bildung eines vierten Genossen unter den
konservativen Faktoren für durchaus erforderlich. Wir meinen die Bildung
einer nationalen Partei. Eine solche Partei muß ihren Ausgangspunkt
von der Erkenntniß nehmen, daß dem deutschen Reiche, welches noch nicht zehn
Lebensjahre zählt, die wichtigsten Institutionen der Dauer und Kraft noch
mangeln, die man nicht etwa nach dem fertigen Schema eines souveränen Par¬
laments mit einem kollegialen Ministerium u. s. w. in's Leben rufen kann.
Die natürlichen Keimpunkte unserer nationalen Einheit und ihrer Institutionen
wollen erkannt und im rechten Augenblicke zur wirksamen Entfaltung gebracht
sein. Wenn das Ziel einer solchen Partei beinahe zusammenfallen würde mit
dem der Freikonservativen, so ist doch die Bildung einer eignen Partei wenig¬
stens vorläufig durchaus angezeigt. Der Nationalliberalismus sucht neuerdings
ein Monopol auf das deutsche Bürgerthum in Anspruch zu nehmen. Das
deutsche Bürgerthum ist vor 30 Jahren in den „Grenzboten" als politische Kate¬
gorie, die Achtung verdient, in die politischen Begriffe eingeführt worden.
Damals war es Mode, nach französischer Art das Volk als Gegensatz aufzu¬
stellen gegen die verdorbene Bourgeoisie. Gegen diesen Mißbrauch zog Julian
Schmidt in seiner kraftvollen Weise zu Felde; er nannte den Bürger den Ver¬
treter der wahren zusammenhängenden Arbeit gegenüber einer unstäten, von
Phantasmen verführten Masse. Er legte dem Bürger das Wort des Goethi-
schen Prometheus in den Mund:


„Mußt mir meine Hütte
Doch lassen steh'n,
Die Du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Muth
Du mich beneidest/'

Dies war und ist ein richtiger Gedanke von großer Wirkung. Eine leere
Anmaßung aber ist es, das Bürgerthum, welches die Mannigfaltigkeit aller
geistigen Gegensätze und zahlloser widerstrebender Interessen in sich birgt, als
einen einheitlichen Willen vorzustellen, den man repräsentire oder nach Belieben
in Beschlag nehmen könne.


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[0208] päpstlichen Regierung das Verhältniß der katholischen Kirche zum deutschen Staate geregelt sehen, werden sich durch ihre religiöse, soziale und intellektuelle Stellung gleichmäßig auf die Theilnahme an der konservativen Entwickelung angewiesen sehen. Es schadet nichts, wenn sie vorläufig ablehnen, in die deutsch¬ konservative oder sreikonservative Fraktion aufzugehen, sondern die Ueberwachung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche als besonderes Ziel zu ihrer Theil¬ nahme an der konservativen Aufgabe hinzufügen. Wir halten nun aber noch die Bildung eines vierten Genossen unter den konservativen Faktoren für durchaus erforderlich. Wir meinen die Bildung einer nationalen Partei. Eine solche Partei muß ihren Ausgangspunkt von der Erkenntniß nehmen, daß dem deutschen Reiche, welches noch nicht zehn Lebensjahre zählt, die wichtigsten Institutionen der Dauer und Kraft noch mangeln, die man nicht etwa nach dem fertigen Schema eines souveränen Par¬ laments mit einem kollegialen Ministerium u. s. w. in's Leben rufen kann. Die natürlichen Keimpunkte unserer nationalen Einheit und ihrer Institutionen wollen erkannt und im rechten Augenblicke zur wirksamen Entfaltung gebracht sein. Wenn das Ziel einer solchen Partei beinahe zusammenfallen würde mit dem der Freikonservativen, so ist doch die Bildung einer eignen Partei wenig¬ stens vorläufig durchaus angezeigt. Der Nationalliberalismus sucht neuerdings ein Monopol auf das deutsche Bürgerthum in Anspruch zu nehmen. Das deutsche Bürgerthum ist vor 30 Jahren in den „Grenzboten" als politische Kate¬ gorie, die Achtung verdient, in die politischen Begriffe eingeführt worden. Damals war es Mode, nach französischer Art das Volk als Gegensatz aufzu¬ stellen gegen die verdorbene Bourgeoisie. Gegen diesen Mißbrauch zog Julian Schmidt in seiner kraftvollen Weise zu Felde; er nannte den Bürger den Ver¬ treter der wahren zusammenhängenden Arbeit gegenüber einer unstäten, von Phantasmen verführten Masse. Er legte dem Bürger das Wort des Goethi- schen Prometheus in den Mund: „Mußt mir meine Hütte Doch lassen steh'n, Die Du nicht gebaut, Und meinen Herd, Um dessen Muth Du mich beneidest/' Dies war und ist ein richtiger Gedanke von großer Wirkung. Eine leere Anmaßung aber ist es, das Bürgerthum, welches die Mannigfaltigkeit aller geistigen Gegensätze und zahlloser widerstrebender Interessen in sich birgt, als einen einheitlichen Willen vorzustellen, den man repräsentire oder nach Belieben in Beschlag nehmen könne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/208>, abgerufen am 01.09.2024.