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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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An unseren Universitäten herrscht über die betrübende und, wie es scheint,
doch ziemlich spät gemachte Entdeckung natürlich die tiefste und allgemeinste
Entrüstung. Aber man lege sich einmal recht ehrlich die Frage vor: Ist es
wirklich der lauterste sittliche Zorn über den verübten Betrug, der in dieser
Entrüstung sich Luft macht, oder spielt vielleicht ein gut Theil Aerger mit
hinein, Aerger darüber, daß einem wiederholt der fatale Fall hat passiren
können, ein ganz gewöhnliches oxus oxsra,wen, ein bezahltes Fabrikmachwerk
nicht von einer mit Lust und Liebe und Interesse an der Sache gefertigten
wissenschaftlichen Arbeit zu unterscheiden?

Jede echte wissenschaftliche Leistung zeigt, wie jedes echte Kunstwerk, etwas
wie eine persönliche Physiognomie. Wer mit einer wissenschaftlichen Frage sich
beschäftigt, tritt unwillkürlich zu seinem Stoffe in ein bestimmtes, intimes Ver¬
hältniß. Der Stoff sei, welcher er wolle und so unbedeutend er wolle, gleich¬
viel: dem, der ihn behandelt, wird er lieb und werth, wichtig und interessant.
Dies Verhältniß kommt in jeder echten wissenschaftlichen Arbeit zum Ausdruck;
es zeigt sich in der ehrlichen, naiven Zuversicht, mit der auf das Resultat der
Arbeit zugesteuert wird, in der Wärme der Ueberzeugung, mit der es vertreten
wird; auch eine unvollkommene Arbeit, die vielleicht sachlich nicht genügt, kann
durch einen Hauch dieses persönlichen Verhältnisses erfreulich und liebenswürdig
werden; sei es ein einziges Wort, eine einzige Wendung, in der es sich ver¬
räth, aber irgendwo wird die intime Beziehung des Verfassers zu seiner Arbeit
zu Tage treten -- wenn anders er die Arbeit aus gutem, eignem, freiem An¬
triebe geschaffen hat, oder, falls es sich um ein gestelltes Thema handelt, dieses
Thema, wie es recht und billig ist, vom Examinator nicht aus der Luft, son¬
dern aus dem Studienkreise des Examinanden gegriffen ist. In einer bezahlten
Arbeit aber, fabrizirt von einem Menschen, der heute hierüber, morgen darüber
schreibt, wenn er nur dafür bezahlt wird, wie sollte dort auch nur die leiseste
Spur jener persönlichen Antheilnahme zu finden sein? Es ist undenkbar. Auch
die Liebe zur Sache ist, wie alle Liebe, für Gold nicht feil. Diesen Unter¬
schied, der sich bei einigem stilistischen Feingefühl unbedingt herauserkennen
lassen muß, in einzelnen Fällen nicht erkannt, schofle Fabrikarbeit für gute,
ehrliche Handarbeit hingenommen zu haben, dies Bewußtsein ist es gewiß, das
in Universitätskreisen ebenso deprimirt hat, wie die schlechte Sache an sich, um
die sich's handelt.

Aber noch eine zweite Frage verfolgt uns und möchte einmal recht ehrlich
beantwortet werden. Wäre es wohl möglich, daß eine derartige Dissertationen-
Fabrik mit Aussicht auf Gewinn gegründet werden, sich eine Zeit lang halten
und ihre Leute nähren konnte, wenn unsere Universitäten nicht oft genug
Examenthemata stellten, die eben zur Noth auch von wissenschaftlichen Hand-


An unseren Universitäten herrscht über die betrübende und, wie es scheint,
doch ziemlich spät gemachte Entdeckung natürlich die tiefste und allgemeinste
Entrüstung. Aber man lege sich einmal recht ehrlich die Frage vor: Ist es
wirklich der lauterste sittliche Zorn über den verübten Betrug, der in dieser
Entrüstung sich Luft macht, oder spielt vielleicht ein gut Theil Aerger mit
hinein, Aerger darüber, daß einem wiederholt der fatale Fall hat passiren
können, ein ganz gewöhnliches oxus oxsra,wen, ein bezahltes Fabrikmachwerk
nicht von einer mit Lust und Liebe und Interesse an der Sache gefertigten
wissenschaftlichen Arbeit zu unterscheiden?

Jede echte wissenschaftliche Leistung zeigt, wie jedes echte Kunstwerk, etwas
wie eine persönliche Physiognomie. Wer mit einer wissenschaftlichen Frage sich
beschäftigt, tritt unwillkürlich zu seinem Stoffe in ein bestimmtes, intimes Ver¬
hältniß. Der Stoff sei, welcher er wolle und so unbedeutend er wolle, gleich¬
viel: dem, der ihn behandelt, wird er lieb und werth, wichtig und interessant.
Dies Verhältniß kommt in jeder echten wissenschaftlichen Arbeit zum Ausdruck;
es zeigt sich in der ehrlichen, naiven Zuversicht, mit der auf das Resultat der
Arbeit zugesteuert wird, in der Wärme der Ueberzeugung, mit der es vertreten
wird; auch eine unvollkommene Arbeit, die vielleicht sachlich nicht genügt, kann
durch einen Hauch dieses persönlichen Verhältnisses erfreulich und liebenswürdig
werden; sei es ein einziges Wort, eine einzige Wendung, in der es sich ver¬
räth, aber irgendwo wird die intime Beziehung des Verfassers zu seiner Arbeit
zu Tage treten — wenn anders er die Arbeit aus gutem, eignem, freiem An¬
triebe geschaffen hat, oder, falls es sich um ein gestelltes Thema handelt, dieses
Thema, wie es recht und billig ist, vom Examinator nicht aus der Luft, son¬
dern aus dem Studienkreise des Examinanden gegriffen ist. In einer bezahlten
Arbeit aber, fabrizirt von einem Menschen, der heute hierüber, morgen darüber
schreibt, wenn er nur dafür bezahlt wird, wie sollte dort auch nur die leiseste
Spur jener persönlichen Antheilnahme zu finden sein? Es ist undenkbar. Auch
die Liebe zur Sache ist, wie alle Liebe, für Gold nicht feil. Diesen Unter¬
schied, der sich bei einigem stilistischen Feingefühl unbedingt herauserkennen
lassen muß, in einzelnen Fällen nicht erkannt, schofle Fabrikarbeit für gute,
ehrliche Handarbeit hingenommen zu haben, dies Bewußtsein ist es gewiß, das
in Universitätskreisen ebenso deprimirt hat, wie die schlechte Sache an sich, um
die sich's handelt.

Aber noch eine zweite Frage verfolgt uns und möchte einmal recht ehrlich
beantwortet werden. Wäre es wohl möglich, daß eine derartige Dissertationen-
Fabrik mit Aussicht auf Gewinn gegründet werden, sich eine Zeit lang halten
und ihre Leute nähren konnte, wenn unsere Universitäten nicht oft genug
Examenthemata stellten, die eben zur Noth auch von wissenschaftlichen Hand-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/201>, abgerufen am 01.09.2024.