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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Aber bald mußte List sich überzeugen, daß in diesen Regionen nichts an¬
zufangen sei, und daß er auf diesem Wege seinen Zweck nicht erreichen würde.
Die französische Regierung nicht minder als die französische und belgische libe¬
rale Partei und die Nation war viel zu sehr mit anderen Dingen, mit inneren
politischen Fragen beschäftigt, als daß sie so weittragende Pläne, wie List sie
hatte, völlig hätte fassen, geschweige denn verwirklichen können. Mittlerweile
war noch ein Umstand eingetreten, der ihn gleichfalls veranlaßte, die Annähe¬
rung an sein Ziel auf andere Weise zu versuchen. Der Senat von Hamburg
weigerte sich, List wegen seiner früheren politischen Thätigkeit im Sinne des
Liberalismus als Konsul anzuerkennen. List grämte sich wenig darüber, da er
bereits ans den Posten verzichtet hatte, nachdem er in Erfahrung gebracht, daß
der Inhaber des Konsulates von den Einnahmen desselben lebe, aber er sah
aus dem Benehmen der Hamburger Regierung, daß sein Heimatland dasselbe
geblieben war. Einem Manne von weniger Patriotismus, von geringerer Hoch¬
herzigkeit, von minderem Thatendrange wäre dies wahrscheinlich ein Mahnzei¬
chen gewesen, das engherzige Land nicht wieder zu betreten, sondern dort zu
bleiben, wo er Glück und Ehre genoß. List dachte anders, er ließ sich nicht
beirren. Er ging nach Amerika zurück und schiffte sich im folgenden Jahre
(1831) mit seiner Familie nach Hamburg ein, entschlossen, vier bis sechs Jahre
daran zu setzen, um die Eisenbahnen in Deutschland emporzubringen. Zunächst
ließ er sich in Hamburg nieder, um von dort aus zu agitiren. Mit allen
größeren Plätzen trat er in Verbindung, namentlich mit Hannover, Kassel,
Leipzig, Gotha, Frankfurt, Karlsruhe, Stuttgart; wo er konnte, wirkte er durch
die Zeitungen. Aber es gelang ihm nicht, die Hamburger in Bewegung zu
bringen; aller Unternehmungsgeist war todt. Man lachte ihm in's Gesicht,
wenn er von einem deutschen Eisenbahnsystem sprach; die ganze Agitation kam
den Leuten so komisch vor, daß selbst dann noch, als List bereits für das
Leipzig-Dresdner Unternehmen thätig war, einige Weisheitsmänner von Ham¬
burg sein Bestreben in Leipzig als eine Jagd nach Chimären darstellen konn¬
ten. Ein Engländer Namens Elliot, der Sekretär beim englischen General-
Konsulat in Hamburg, dessen Kompetenz , in Sachen der deutschen Industrie
das Wort zu nehmen, dadurch bewiesen werden sollte, daß er der Neffe
eines berühmten Mannes Namens Steward sei, suchte die List'sche Idee eines
deutschen Eisenbahnsystems als Wahnwitz darzustellen und zu beweisen, daß
nur eine Eisenbahn zwischen Hamburg und Hannover rentabel sein könne, und
daß auch diese uur mit englischem Gelde herzustellen sei. Ein Engländer hatte
es gesagt -- und kein respektabler Geschäftsmann Hamburg's zweifelte mehr
an der Richtigkeit.

Im Laufe des Winters überzeugte sich List, daß in Hamburg nichts zu


Aber bald mußte List sich überzeugen, daß in diesen Regionen nichts an¬
zufangen sei, und daß er auf diesem Wege seinen Zweck nicht erreichen würde.
Die französische Regierung nicht minder als die französische und belgische libe¬
rale Partei und die Nation war viel zu sehr mit anderen Dingen, mit inneren
politischen Fragen beschäftigt, als daß sie so weittragende Pläne, wie List sie
hatte, völlig hätte fassen, geschweige denn verwirklichen können. Mittlerweile
war noch ein Umstand eingetreten, der ihn gleichfalls veranlaßte, die Annähe¬
rung an sein Ziel auf andere Weise zu versuchen. Der Senat von Hamburg
weigerte sich, List wegen seiner früheren politischen Thätigkeit im Sinne des
Liberalismus als Konsul anzuerkennen. List grämte sich wenig darüber, da er
bereits ans den Posten verzichtet hatte, nachdem er in Erfahrung gebracht, daß
der Inhaber des Konsulates von den Einnahmen desselben lebe, aber er sah
aus dem Benehmen der Hamburger Regierung, daß sein Heimatland dasselbe
geblieben war. Einem Manne von weniger Patriotismus, von geringerer Hoch¬
herzigkeit, von minderem Thatendrange wäre dies wahrscheinlich ein Mahnzei¬
chen gewesen, das engherzige Land nicht wieder zu betreten, sondern dort zu
bleiben, wo er Glück und Ehre genoß. List dachte anders, er ließ sich nicht
beirren. Er ging nach Amerika zurück und schiffte sich im folgenden Jahre
(1831) mit seiner Familie nach Hamburg ein, entschlossen, vier bis sechs Jahre
daran zu setzen, um die Eisenbahnen in Deutschland emporzubringen. Zunächst
ließ er sich in Hamburg nieder, um von dort aus zu agitiren. Mit allen
größeren Plätzen trat er in Verbindung, namentlich mit Hannover, Kassel,
Leipzig, Gotha, Frankfurt, Karlsruhe, Stuttgart; wo er konnte, wirkte er durch
die Zeitungen. Aber es gelang ihm nicht, die Hamburger in Bewegung zu
bringen; aller Unternehmungsgeist war todt. Man lachte ihm in's Gesicht,
wenn er von einem deutschen Eisenbahnsystem sprach; die ganze Agitation kam
den Leuten so komisch vor, daß selbst dann noch, als List bereits für das
Leipzig-Dresdner Unternehmen thätig war, einige Weisheitsmänner von Ham¬
burg sein Bestreben in Leipzig als eine Jagd nach Chimären darstellen konn¬
ten. Ein Engländer Namens Elliot, der Sekretär beim englischen General-
Konsulat in Hamburg, dessen Kompetenz , in Sachen der deutschen Industrie
das Wort zu nehmen, dadurch bewiesen werden sollte, daß er der Neffe
eines berühmten Mannes Namens Steward sei, suchte die List'sche Idee eines
deutschen Eisenbahnsystems als Wahnwitz darzustellen und zu beweisen, daß
nur eine Eisenbahn zwischen Hamburg und Hannover rentabel sein könne, und
daß auch diese uur mit englischem Gelde herzustellen sei. Ein Engländer hatte
es gesagt — und kein respektabler Geschäftsmann Hamburg's zweifelte mehr
an der Richtigkeit.

Im Laufe des Winters überzeugte sich List, daß in Hamburg nichts zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/20>, abgerufen am 26.11.2024.