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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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genannte venetianische Gesandte schreibt am 12. September 1502 -- nachdem
er in vorangehenden Depeschen verschiedene kleinere Mittheilungen über eine
durch eine Fehlgeburt verursachte schwere Krankheit Lucrezia's gemacht --, sie
befinde sich besser, sei außer Gefahr und habe "so großen Trost durch den
Besuch des Herzogs von Valentino (Cesare's) empfangen, daß dieser die Ursache
ihrer Besserung war." In diesem Borgia müssen auch psychische Kräfte von
stärkster Wirkung gelegen haben: sein jäher Sturz entsprach dem Ueberschuß
derselben, zumal da er sie nicht in den Dienst moralischer Wirkungsfähigkeit
gestellt hatte. Man kann bei Burkard verfolgen, wie er vor und nach der
Wahl Pius' IH. und vor allem, wie er bei den Wnhlumtrieben, die den Kar¬
dinal Rovere als Julius II. auf den päpstlichen Stuhl gehoben, sich benahm:
er, der zumeist diktatorisch zu befehlen gewohnt war, mußte sich aufs Pallirer
legen. "An demselben Tage," schreibt Burkard, "Sonntag den 29. Oktober, kam
der hochmürdige Kardinal San Pietro ad Vineula (Rovere) im apostolischen
Palaste mit dem Herzoge Valentino und dessen spanischen Kardinälen zusammen,
und sie setzten eine Kapitulation fest, nach der unter anderem der Kardinal
von San Pietro, wenn er Papst geworden, den Herzog zum Gonfaloniere der
Kirche erwählen und ihn in seinen Besitzungen begünstigen solle, ebenso der
Herzog den Papst, und es versprachen alle spanischen Kardinäle, genanntem
Kardinale von San Pietro ihre Stimme für die Tiara zu geben." Es ist hier
nicht der Ort, des Näheren zu berichten, wie Julius II. sich dann durch die
Verhältnisse bestimmt sah, den Herzog in Rom gefangen zu halten und erst
im Februar 1504, unter Bedingungen, freizugeben. Er eilte zu Gonsalvo, dem
"großen Kapitän", nach Neapel; dieser aber ließ ihn treulos verhaften. Unterm
6. August 1504 lesen wir bei Burkard: "Der Herzog Valentino wurde in einer
Galeere als Gefangener nach Spanien geschickt." Das ist die letzte Nachricht,
die Burkard über Cesare gibt. Sie steht mitten unter einer Reihe anderer
über den Pontifikat Julius' II., die an historischem Belange trotz der erregten
Zeiten doch hinter denen über die vorhergehende Periode zurückstehen. Aber
sie enthalten sür die Einzelgeschichte manche werthvolle Notiz. Unterm 4. Januar
1504 trägt Burkard ein -- nachdem er zuvor genauer von der Schlacht am
Garigliano berichtet -- "es kamen Nachrichten, daß Stadt und Burg Gaeta den
Spaniern übergeben worden sei, gemäß den abgeschlossenen Verträgen". Diese
kurze Notiz enthält nichts geringeres als die Todesbotschaft der französischen
Macht im Königreich Neapel.

Lange hat man angenommen, Julius II. habe die Nepotenwirthschaft gar
nicht oder nur in geringem Maße begünstigt; durch Brosch's werthvolles Werk
über diesen Papst ist jetzt das gerade Gegentheil erwiesen. Auch aus Burkard's
Aufzeichnungen kann man ersehen, wie er seine Familie mit der der Orstni zu ver-


genannte venetianische Gesandte schreibt am 12. September 1502 — nachdem
er in vorangehenden Depeschen verschiedene kleinere Mittheilungen über eine
durch eine Fehlgeburt verursachte schwere Krankheit Lucrezia's gemacht —, sie
befinde sich besser, sei außer Gefahr und habe „so großen Trost durch den
Besuch des Herzogs von Valentino (Cesare's) empfangen, daß dieser die Ursache
ihrer Besserung war." In diesem Borgia müssen auch psychische Kräfte von
stärkster Wirkung gelegen haben: sein jäher Sturz entsprach dem Ueberschuß
derselben, zumal da er sie nicht in den Dienst moralischer Wirkungsfähigkeit
gestellt hatte. Man kann bei Burkard verfolgen, wie er vor und nach der
Wahl Pius' IH. und vor allem, wie er bei den Wnhlumtrieben, die den Kar¬
dinal Rovere als Julius II. auf den päpstlichen Stuhl gehoben, sich benahm:
er, der zumeist diktatorisch zu befehlen gewohnt war, mußte sich aufs Pallirer
legen. „An demselben Tage," schreibt Burkard, „Sonntag den 29. Oktober, kam
der hochmürdige Kardinal San Pietro ad Vineula (Rovere) im apostolischen
Palaste mit dem Herzoge Valentino und dessen spanischen Kardinälen zusammen,
und sie setzten eine Kapitulation fest, nach der unter anderem der Kardinal
von San Pietro, wenn er Papst geworden, den Herzog zum Gonfaloniere der
Kirche erwählen und ihn in seinen Besitzungen begünstigen solle, ebenso der
Herzog den Papst, und es versprachen alle spanischen Kardinäle, genanntem
Kardinale von San Pietro ihre Stimme für die Tiara zu geben." Es ist hier
nicht der Ort, des Näheren zu berichten, wie Julius II. sich dann durch die
Verhältnisse bestimmt sah, den Herzog in Rom gefangen zu halten und erst
im Februar 1504, unter Bedingungen, freizugeben. Er eilte zu Gonsalvo, dem
„großen Kapitän", nach Neapel; dieser aber ließ ihn treulos verhaften. Unterm
6. August 1504 lesen wir bei Burkard: „Der Herzog Valentino wurde in einer
Galeere als Gefangener nach Spanien geschickt." Das ist die letzte Nachricht,
die Burkard über Cesare gibt. Sie steht mitten unter einer Reihe anderer
über den Pontifikat Julius' II., die an historischem Belange trotz der erregten
Zeiten doch hinter denen über die vorhergehende Periode zurückstehen. Aber
sie enthalten sür die Einzelgeschichte manche werthvolle Notiz. Unterm 4. Januar
1504 trägt Burkard ein — nachdem er zuvor genauer von der Schlacht am
Garigliano berichtet — „es kamen Nachrichten, daß Stadt und Burg Gaeta den
Spaniern übergeben worden sei, gemäß den abgeschlossenen Verträgen". Diese
kurze Notiz enthält nichts geringeres als die Todesbotschaft der französischen
Macht im Königreich Neapel.

Lange hat man angenommen, Julius II. habe die Nepotenwirthschaft gar
nicht oder nur in geringem Maße begünstigt; durch Brosch's werthvolles Werk
über diesen Papst ist jetzt das gerade Gegentheil erwiesen. Auch aus Burkard's
Aufzeichnungen kann man ersehen, wie er seine Familie mit der der Orstni zu ver-


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[0192] genannte venetianische Gesandte schreibt am 12. September 1502 — nachdem er in vorangehenden Depeschen verschiedene kleinere Mittheilungen über eine durch eine Fehlgeburt verursachte schwere Krankheit Lucrezia's gemacht —, sie befinde sich besser, sei außer Gefahr und habe „so großen Trost durch den Besuch des Herzogs von Valentino (Cesare's) empfangen, daß dieser die Ursache ihrer Besserung war." In diesem Borgia müssen auch psychische Kräfte von stärkster Wirkung gelegen haben: sein jäher Sturz entsprach dem Ueberschuß derselben, zumal da er sie nicht in den Dienst moralischer Wirkungsfähigkeit gestellt hatte. Man kann bei Burkard verfolgen, wie er vor und nach der Wahl Pius' IH. und vor allem, wie er bei den Wnhlumtrieben, die den Kar¬ dinal Rovere als Julius II. auf den päpstlichen Stuhl gehoben, sich benahm: er, der zumeist diktatorisch zu befehlen gewohnt war, mußte sich aufs Pallirer legen. „An demselben Tage," schreibt Burkard, „Sonntag den 29. Oktober, kam der hochmürdige Kardinal San Pietro ad Vineula (Rovere) im apostolischen Palaste mit dem Herzoge Valentino und dessen spanischen Kardinälen zusammen, und sie setzten eine Kapitulation fest, nach der unter anderem der Kardinal von San Pietro, wenn er Papst geworden, den Herzog zum Gonfaloniere der Kirche erwählen und ihn in seinen Besitzungen begünstigen solle, ebenso der Herzog den Papst, und es versprachen alle spanischen Kardinäle, genanntem Kardinale von San Pietro ihre Stimme für die Tiara zu geben." Es ist hier nicht der Ort, des Näheren zu berichten, wie Julius II. sich dann durch die Verhältnisse bestimmt sah, den Herzog in Rom gefangen zu halten und erst im Februar 1504, unter Bedingungen, freizugeben. Er eilte zu Gonsalvo, dem „großen Kapitän", nach Neapel; dieser aber ließ ihn treulos verhaften. Unterm 6. August 1504 lesen wir bei Burkard: „Der Herzog Valentino wurde in einer Galeere als Gefangener nach Spanien geschickt." Das ist die letzte Nachricht, die Burkard über Cesare gibt. Sie steht mitten unter einer Reihe anderer über den Pontifikat Julius' II., die an historischem Belange trotz der erregten Zeiten doch hinter denen über die vorhergehende Periode zurückstehen. Aber sie enthalten sür die Einzelgeschichte manche werthvolle Notiz. Unterm 4. Januar 1504 trägt Burkard ein — nachdem er zuvor genauer von der Schlacht am Garigliano berichtet — „es kamen Nachrichten, daß Stadt und Burg Gaeta den Spaniern übergeben worden sei, gemäß den abgeschlossenen Verträgen". Diese kurze Notiz enthält nichts geringeres als die Todesbotschaft der französischen Macht im Königreich Neapel. Lange hat man angenommen, Julius II. habe die Nepotenwirthschaft gar nicht oder nur in geringem Maße begünstigt; durch Brosch's werthvolles Werk über diesen Papst ist jetzt das gerade Gegentheil erwiesen. Auch aus Burkard's Aufzeichnungen kann man ersehen, wie er seine Familie mit der der Orstni zu ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/192>, abgerufen am 27.11.2024.