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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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schriftlichen Bericht zu erstatten. Anders wird das Verhältniß nnter der Regie¬
rung Alexander's VI.; das mächtigere Getriebe der politischen Aktion erweist
sich als Niederschlag auch in der größeren Fülle politischer Nachrichten. Als
aber Alexander VI. gestorben und die Macht seines Hauses gebrochen war, als
mit Julius II. ein neuer Geist das Schiff Petri zu lenken begann, als so
viele Verhältnisse anch im engeren Kreise der Kurie sich änderten, da hat
offenbar auch in Burkard die Freude an seinem Amte nachgelassen, und mit
der zunehmenden Last der Jahre schwand die Lust an der regelmäßigen Fort¬
führung seines Tagebuchs: sie werden knapper und lückenhafter.

Was Burkard von Alexander VI. und seinem Treiben gemeldet, ist auch
dem größeren Publikum, besonders durch Gregorovius, so nahe gelegt worden,
daß wir hier nicht darauf einzugehen brauchen. Die tiefste sittliche Verwilde¬
rung, die schamloseste Gesinnung thut sich in jenen Orgien vor uns auf, die
der Papstsohn in Gegenwart seiner Tochter Lucrezia in den Räumen des
Vatikans feierte. Daß, wie Ranke einmal meinte, so lascive Historien, wie sie
bei Burkard sich vorfinden, einfach aus dem Boccaccio entnommen seien, das
müßte doch noch erst bewiesen werden. In der Stimmung und dem Kolorit,
in welchem so viele andere Zeitgenossen uns Alexander VI. und seinen Hof
darstellen, passen sehr wohl anch Burkard's anscheinend unglaubliche Schilde¬
rungen. Von großem Interesse ist, was Burkard über das Schicksal zweier
Personell mittheilt, die Alexander VI. durch Blutsbande nahestanden: über den
Tod des Herzogs von Gambia und über Cescire Borgia, dessen Machterhöhung
und Sturz. Es war in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 1497, als der
älteste Sohn des Papstes, Juan, Herzog von Gambia, am Tiber ermordet
wurde. Bis zum Abend des 15. stellte der Papst keine Nachforschungen nach
dem Verbleib des nicht in den Vatikan zurückgekehrten Sohnes an. Er glaubte,
ein Liebesverhältniß fessele ihn bei einem Mädchen. Als aber der Abend ver¬
strichen und der Herzog noch nicht zurückgekommen war -- erzählt Burkard --,
"suchte der Papst, völlig betrübt und in seinem tiefsten Innern bewegt, auf
alle mögliche Weise der Sache auf den Grund zu kommen". Ein Holzhändler,
der seine Holzladnng vor räuberischen Händen Nachts am Tibernfer bewachte,
sagte aus -- wir zitiren nach der Abschrift, die aus der urbinatischen Biblio¬
thek in die vatikanische gekommen ist --, Morgens gegen 5 Uhr seien zwei
Personen zu Fuß gekommen, dann wieder zweie, und hinter diesen einer, der
habe einen Leichnam auf einem weißen Pferde mit sich geführt, den hätten' sie in
den Fluß geworfen. Auf die Frage, warum er die Sache nicht angezeigt, er¬
wiederte der Holzhändler: er habe schon mehr als hundert Körper in den Fluß
werfen sehen, und kein Mensch habe sich darum bekümmert. Nach eifrigem
Suchen zog man die Leiche am folgenden Tage aus dem Tiber. Man brachte


schriftlichen Bericht zu erstatten. Anders wird das Verhältniß nnter der Regie¬
rung Alexander's VI.; das mächtigere Getriebe der politischen Aktion erweist
sich als Niederschlag auch in der größeren Fülle politischer Nachrichten. Als
aber Alexander VI. gestorben und die Macht seines Hauses gebrochen war, als
mit Julius II. ein neuer Geist das Schiff Petri zu lenken begann, als so
viele Verhältnisse anch im engeren Kreise der Kurie sich änderten, da hat
offenbar auch in Burkard die Freude an seinem Amte nachgelassen, und mit
der zunehmenden Last der Jahre schwand die Lust an der regelmäßigen Fort¬
führung seines Tagebuchs: sie werden knapper und lückenhafter.

Was Burkard von Alexander VI. und seinem Treiben gemeldet, ist auch
dem größeren Publikum, besonders durch Gregorovius, so nahe gelegt worden,
daß wir hier nicht darauf einzugehen brauchen. Die tiefste sittliche Verwilde¬
rung, die schamloseste Gesinnung thut sich in jenen Orgien vor uns auf, die
der Papstsohn in Gegenwart seiner Tochter Lucrezia in den Räumen des
Vatikans feierte. Daß, wie Ranke einmal meinte, so lascive Historien, wie sie
bei Burkard sich vorfinden, einfach aus dem Boccaccio entnommen seien, das
müßte doch noch erst bewiesen werden. In der Stimmung und dem Kolorit,
in welchem so viele andere Zeitgenossen uns Alexander VI. und seinen Hof
darstellen, passen sehr wohl anch Burkard's anscheinend unglaubliche Schilde¬
rungen. Von großem Interesse ist, was Burkard über das Schicksal zweier
Personell mittheilt, die Alexander VI. durch Blutsbande nahestanden: über den
Tod des Herzogs von Gambia und über Cescire Borgia, dessen Machterhöhung
und Sturz. Es war in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 1497, als der
älteste Sohn des Papstes, Juan, Herzog von Gambia, am Tiber ermordet
wurde. Bis zum Abend des 15. stellte der Papst keine Nachforschungen nach
dem Verbleib des nicht in den Vatikan zurückgekehrten Sohnes an. Er glaubte,
ein Liebesverhältniß fessele ihn bei einem Mädchen. Als aber der Abend ver¬
strichen und der Herzog noch nicht zurückgekommen war — erzählt Burkard —,
„suchte der Papst, völlig betrübt und in seinem tiefsten Innern bewegt, auf
alle mögliche Weise der Sache auf den Grund zu kommen". Ein Holzhändler,
der seine Holzladnng vor räuberischen Händen Nachts am Tibernfer bewachte,
sagte aus — wir zitiren nach der Abschrift, die aus der urbinatischen Biblio¬
thek in die vatikanische gekommen ist —, Morgens gegen 5 Uhr seien zwei
Personen zu Fuß gekommen, dann wieder zweie, und hinter diesen einer, der
habe einen Leichnam auf einem weißen Pferde mit sich geführt, den hätten' sie in
den Fluß geworfen. Auf die Frage, warum er die Sache nicht angezeigt, er¬
wiederte der Holzhändler: er habe schon mehr als hundert Körper in den Fluß
werfen sehen, und kein Mensch habe sich darum bekümmert. Nach eifrigem
Suchen zog man die Leiche am folgenden Tage aus dem Tiber. Man brachte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/188>, abgerufen am 01.09.2024.