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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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der Tagebücher ist aber ein für die Beurtheilung ihrer Angaben sehr wichtiges
Moment, da die Zuverlässigkeit derselben beim Wegfall besonderer Rücksichtnahme
auf hochgestellte Personen natürlich erhöht wird.

Die Mittheilungen Burkard's sind vielfach benutzt worden. Aber mit
Ausnahme der Angaben das Kardinal Naynaldus, der, was er in seinen "Kirch¬
lichen Annalen" aus Burkard's Diarien mittheilt, aus der Originalhandschrift
schöpfen durfte, beruhen alle Veröffentlichungen daraus auf Kopieen. Die
Originalhandschrift liegt, wie wir jetzt aus Forcella's Katalog der im Vatikan
befindlichen auf die Geschichte der Stadt Rom bezüglichen Handschriften wissen,
in den festen Räumen des vatikanischen Archivs und ist auch dem strenggläu¬
bigsten katholischen Forscher unzugänglich. Die Partisane der Kurie behaupten,
daß alle die häßlichen Nachrichten über Treiben und Verhalten der Kurie --
und besonders Alexander's VI. --, wie sie in den Abschriften der Burkard'schen
Diarien begegnen, Verleumdungen seien, die auf Interpolationen beruhen.
Nun unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß hie und da Interpolationen von
geringerem Belang von den Abschreibern eingefügt sein mögen; vielleicht daß
auch die eine oder andere von größerem Belang hinzukam. Unter allen Um¬
ständen kann es aber doch nur im Interesse der Kurie sein, den behaupteten
Verleumdungen nicht nur die Spitze abzubrechen, sondern auch die Wurzeln
zu untergraben, indem sie die Originalhandschrift der Forschung freigibt.
Schlimmeres, als die Abschriften der Burkard'schen Diarien zu erzählen wissen,
kann im Original nicht gut stehen; auch für die Greuel gibt es doch wohl eine
Grenze. Wenn aber jene Angaben sich wirklich nur als Interpolationen feind¬
licher, häretischer Geister nachweisen lassen, warum zögert man dann auch nur
einen Augenblick, den Entlastungsbeweis zu führen?

Wie die Dinge zur Zeit liegen, sind wir darauf angewiesen, bei der Be¬
nutzung der Diarien auf die Abschriften zurückzugreifen, die in vielen italieni¬
schen und auch ausländischen Bibliotheken zu treffen sind. Das Verhältniß
derselben zu einander kritisch zu beleuchten, muß für einen anderen Ort vor¬
behalten bleiben; hier sollen nur einige charakteristische Mittheilungen aus ihnen
gegeben werden.

Vor allem ist hervorzuheben, daß nicht etwa in dem Grade, in welchem
Burkard's amtliche Stellung erhöht oder er selbst politisch reifer wurde, auch seine
Nachrichten von größerem historischen Interesse werden. Nur spärlich läßt
sich interessantes Detail in demjenigen Theile der Diarien aufweisen, der über
die Pontifikate Sixtus' IV. und Innocenz' VIII. handelt: hier überwiegt die
genaue Darstellung des Ceremoniells die historischen Daten. Dem neugeschaf¬
fenen Offizialen mag es, außer der Pflicht, auch eine angenehme Beschäftigung
gewesen sein, über das, was er in seinem Amte verrichtete, gleichsam sich selbst


der Tagebücher ist aber ein für die Beurtheilung ihrer Angaben sehr wichtiges
Moment, da die Zuverlässigkeit derselben beim Wegfall besonderer Rücksichtnahme
auf hochgestellte Personen natürlich erhöht wird.

Die Mittheilungen Burkard's sind vielfach benutzt worden. Aber mit
Ausnahme der Angaben das Kardinal Naynaldus, der, was er in seinen „Kirch¬
lichen Annalen" aus Burkard's Diarien mittheilt, aus der Originalhandschrift
schöpfen durfte, beruhen alle Veröffentlichungen daraus auf Kopieen. Die
Originalhandschrift liegt, wie wir jetzt aus Forcella's Katalog der im Vatikan
befindlichen auf die Geschichte der Stadt Rom bezüglichen Handschriften wissen,
in den festen Räumen des vatikanischen Archivs und ist auch dem strenggläu¬
bigsten katholischen Forscher unzugänglich. Die Partisane der Kurie behaupten,
daß alle die häßlichen Nachrichten über Treiben und Verhalten der Kurie —
und besonders Alexander's VI. —, wie sie in den Abschriften der Burkard'schen
Diarien begegnen, Verleumdungen seien, die auf Interpolationen beruhen.
Nun unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß hie und da Interpolationen von
geringerem Belang von den Abschreibern eingefügt sein mögen; vielleicht daß
auch die eine oder andere von größerem Belang hinzukam. Unter allen Um¬
ständen kann es aber doch nur im Interesse der Kurie sein, den behaupteten
Verleumdungen nicht nur die Spitze abzubrechen, sondern auch die Wurzeln
zu untergraben, indem sie die Originalhandschrift der Forschung freigibt.
Schlimmeres, als die Abschriften der Burkard'schen Diarien zu erzählen wissen,
kann im Original nicht gut stehen; auch für die Greuel gibt es doch wohl eine
Grenze. Wenn aber jene Angaben sich wirklich nur als Interpolationen feind¬
licher, häretischer Geister nachweisen lassen, warum zögert man dann auch nur
einen Augenblick, den Entlastungsbeweis zu führen?

Wie die Dinge zur Zeit liegen, sind wir darauf angewiesen, bei der Be¬
nutzung der Diarien auf die Abschriften zurückzugreifen, die in vielen italieni¬
schen und auch ausländischen Bibliotheken zu treffen sind. Das Verhältniß
derselben zu einander kritisch zu beleuchten, muß für einen anderen Ort vor¬
behalten bleiben; hier sollen nur einige charakteristische Mittheilungen aus ihnen
gegeben werden.

Vor allem ist hervorzuheben, daß nicht etwa in dem Grade, in welchem
Burkard's amtliche Stellung erhöht oder er selbst politisch reifer wurde, auch seine
Nachrichten von größerem historischen Interesse werden. Nur spärlich läßt
sich interessantes Detail in demjenigen Theile der Diarien aufweisen, der über
die Pontifikate Sixtus' IV. und Innocenz' VIII. handelt: hier überwiegt die
genaue Darstellung des Ceremoniells die historischen Daten. Dem neugeschaf¬
fenen Offizialen mag es, außer der Pflicht, auch eine angenehme Beschäftigung
gewesen sein, über das, was er in seinem Amte verrichtete, gleichsam sich selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/187>, abgerufen am 27.11.2024.