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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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der letzten Jahrzehnte auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens muß in unsere
staatlichen, kirchlichen und gemeindlichen Zustände etwas mehr Stetigkeit kommen,
wenn sich nicht die edelsten Kräfte und Elemente im Wesen unseres Volkes
aufreiben und verzehren sollen in dem Kampfe der in das Volk künstlich hinein¬
getragenen Gegensätze. Nach fo viel Kampf bedürfen wir der Ruhe, nach so
eiligem Schaffen größerer Bedächtigkeit bei der politischen Arbeit.




Lin deutscher ßeremonienmeister am päpstlichen Kofe.

Santa Maria del Popolo gehört zu denjenigen Gotteshäusern Rom's,
deren räumliche Ausdehnung nicht in richtigem Verhältniß steht zu der Menge
und Bedeutung der künstlerischen Schätze, die sie bergen. Raffael's Jonas, jene
köstliche marmorne Verkörperung der wiedererlangten Freiheit, eine Jugend¬
arbeit des Urbinaten, die er für die Kapelle des reichen Bankiers Agostino
Chigi schuf, ferner die Kapelle der Familie Rovere mit ihren werthvollen
Sarkophagen und dem kräftig naiven Schmuck ihrer Lunetten von der Hand
des Pinturicchio, der Altar, den Alexander VI. errichten ließ, eine der reifsten
Schöpfungen aus der Blüthezeit der Renaissance, die prächtigen Glasmalereien
des Claude und des Guillaume Marcillat -- wie lebhaft tritt uns in allen
diesen Werken in künstlerischer wie in historischer Beziehung jenes Zeitalter
einer großen Kulturumwälzung entgegen! Vor Allem aber wird die Kunst der
Renaissance glänzend repräsentirt, wird die historische Erinnerung auf's lebhaf¬
teste geweckt durch jenes imposante Grabdenkmal mit den lieblichen Gebilden seiner
Engel und Madonnenreliefs, mit der ergreifenden Wahrheit seiner allegorischen
Figuren, welches im Chöre der Kirche sich erhebt. Andrea Sansovino, der
Raffael der Plastik, wie man ihn wohl genannt hat, ist der Schöpfer desselben,
und der, dessen Gebeine es birgt, war ein echter und umfassender Reprä¬
sentant seines Zeitalters, ein in politischen Ränken ebenso geübter, wie sür die
Aufnahme alles Schönen und Künstlerischen empfänglicher Geist: Ascanio
Sforza, der Bruder des Herzogs von Mailand, Lodovico Moro. Nach einem
vielbewegten Leben fand er am 28. Mai 1505, nachdem Pest oder Gift ihn
weggerafft, in der Kirche der Augustiner seine Ruhestätte. "Am Freitag den
23. Mai fand ein geheimes Konsistorium statt, welchem Kardinal Ascanio bei¬
wohnte. Gesund ging er nach dem Essen auf die Jagd. Nach der Rückkehr


der letzten Jahrzehnte auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens muß in unsere
staatlichen, kirchlichen und gemeindlichen Zustände etwas mehr Stetigkeit kommen,
wenn sich nicht die edelsten Kräfte und Elemente im Wesen unseres Volkes
aufreiben und verzehren sollen in dem Kampfe der in das Volk künstlich hinein¬
getragenen Gegensätze. Nach fo viel Kampf bedürfen wir der Ruhe, nach so
eiligem Schaffen größerer Bedächtigkeit bei der politischen Arbeit.




Lin deutscher ßeremonienmeister am päpstlichen Kofe.

Santa Maria del Popolo gehört zu denjenigen Gotteshäusern Rom's,
deren räumliche Ausdehnung nicht in richtigem Verhältniß steht zu der Menge
und Bedeutung der künstlerischen Schätze, die sie bergen. Raffael's Jonas, jene
köstliche marmorne Verkörperung der wiedererlangten Freiheit, eine Jugend¬
arbeit des Urbinaten, die er für die Kapelle des reichen Bankiers Agostino
Chigi schuf, ferner die Kapelle der Familie Rovere mit ihren werthvollen
Sarkophagen und dem kräftig naiven Schmuck ihrer Lunetten von der Hand
des Pinturicchio, der Altar, den Alexander VI. errichten ließ, eine der reifsten
Schöpfungen aus der Blüthezeit der Renaissance, die prächtigen Glasmalereien
des Claude und des Guillaume Marcillat — wie lebhaft tritt uns in allen
diesen Werken in künstlerischer wie in historischer Beziehung jenes Zeitalter
einer großen Kulturumwälzung entgegen! Vor Allem aber wird die Kunst der
Renaissance glänzend repräsentirt, wird die historische Erinnerung auf's lebhaf¬
teste geweckt durch jenes imposante Grabdenkmal mit den lieblichen Gebilden seiner
Engel und Madonnenreliefs, mit der ergreifenden Wahrheit seiner allegorischen
Figuren, welches im Chöre der Kirche sich erhebt. Andrea Sansovino, der
Raffael der Plastik, wie man ihn wohl genannt hat, ist der Schöpfer desselben,
und der, dessen Gebeine es birgt, war ein echter und umfassender Reprä¬
sentant seines Zeitalters, ein in politischen Ränken ebenso geübter, wie sür die
Aufnahme alles Schönen und Künstlerischen empfänglicher Geist: Ascanio
Sforza, der Bruder des Herzogs von Mailand, Lodovico Moro. Nach einem
vielbewegten Leben fand er am 28. Mai 1505, nachdem Pest oder Gift ihn
weggerafft, in der Kirche der Augustiner seine Ruhestätte. „Am Freitag den
23. Mai fand ein geheimes Konsistorium statt, welchem Kardinal Ascanio bei¬
wohnte. Gesund ging er nach dem Essen auf die Jagd. Nach der Rückkehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/184>, abgerufen am 27.11.2024.