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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Bamberger'schen Manchesterthnme mitgemacht hätten, dann stände für die Herren
alles gut. So abhängig aber auch die Fraktion von den Fraktionshäuptern
im Laufe der Jahre geworden ist, so allmächtig die Laster-Bamberger'sche
Diktatur in Berlin, die Kiefer'sche in der badischen zweiten Kammer, dessen erster
Vizepräsident er bekanntlich ist, sich geberdet, so gläubig die Parteipresse jeden
oberhauptlichen Ukas nachdruckt, so sehr sie sich mit ihrem ganzen Urtheile
der Autorität der Führer unterordnet (was sich jetzt dem Bismarck'schen, auch
auf liberaler Seite vielfach als praktisch anerkannten Antrage auf Verlängerung
der Budget- und Legislaturperiode von neuem in der unangenehmsten Weise
zeigt), so sehr, sagen wir, die Macht der Parteileitung bis zu dieser Grenze
eine absolute ist: das Volk, die Wühlerschaft, hat sich seit kurzer Zeit wesentlich
emanzipirt und würde es noch viel mehr thun, wenn wir statt der jetzigen
Schablonenhaften eine wahrhaft freie und volksthümliche Presse hätten. Die
Preßfreiheit ist aber gerade durch die ruinirt, welche dies Wort am meisten
im Munde führen. Zwar hat noch jedes Blatt eine kleine Gemeinde, welche
willenlos sich mit ihrem Urtheile dem des Blattes unterordnet, aber gerade die
ungeschickte, theils sich in leeren Abstraktionen und in prophetischer Schwarz¬
seherei, theils aber in den widersinnigsten Unwahrheiten sich bewegende frei-
hündlerische Agitation gegen die Zollreform hat diese Gemeinde sehr bedenklich
verkleinert, und durch die Haltung der Fraktion im Reichstage hat die Partei
im Lande sich völlig den Kredit verscherzt. Das wird sich allen Anzeichen nach
bei den bevorstehenden Ergäuzungswahlen zur zweiten Kammer klar genug
zeigen, wo sogar der erste Vizepräsident kaum mit der größten Anstrengung
sein Mandat behaupten dürfte.

Das wäre nun allerdings weder für die Volksvertretung noch für das
Land ein Unglück, vorausgesetzt, daß an Stelle der Männer von heute Vertreter
aus der Wahlurne hervorgehen, welche mit dem Volke und seinem Wirken und
Schaffen inniger verwachsen sind, als Staatsanwälte, Advokaten und sonstige
richterliche und andere Beamte. Gerade der badischen Kammer, die zu etwa
zwei Dritteln aus Juristen, Bürgermeistern und derartigen, dem praktischen und
gewerblichen Leben fernstehenden Personen besteht, thäte es noth, daß ihr aus
dem Volke neue Kräfte zugeführt würden, welche mit einem warmen Herzen
für das Beste des Landes und das Wohl und Wehe des Volkes auch ein tiefes,
aus eigner Erfahrung resultirendes Verständniß für das Volksleben und einen
im praktischen Leben geschärften Sinn für seine Bedürfnisse vereinen. Mögen
sie sich dann auf die rechte oder auf die linke Seite setzen, dem Lande wird
ihr Wirken in jedem Falle mehr zum Heile gereichen, als der gegenwärtige
Zustand der Unzusammengehörigkeit, Zerrissenheit und prinzipienlosen Opposition,
welche die Partei so vollständig ruinirt hat. Nach dem Sturm und Drang


Grenzboten III, 1379. L3

Bamberger'schen Manchesterthnme mitgemacht hätten, dann stände für die Herren
alles gut. So abhängig aber auch die Fraktion von den Fraktionshäuptern
im Laufe der Jahre geworden ist, so allmächtig die Laster-Bamberger'sche
Diktatur in Berlin, die Kiefer'sche in der badischen zweiten Kammer, dessen erster
Vizepräsident er bekanntlich ist, sich geberdet, so gläubig die Parteipresse jeden
oberhauptlichen Ukas nachdruckt, so sehr sie sich mit ihrem ganzen Urtheile
der Autorität der Führer unterordnet (was sich jetzt dem Bismarck'schen, auch
auf liberaler Seite vielfach als praktisch anerkannten Antrage auf Verlängerung
der Budget- und Legislaturperiode von neuem in der unangenehmsten Weise
zeigt), so sehr, sagen wir, die Macht der Parteileitung bis zu dieser Grenze
eine absolute ist: das Volk, die Wühlerschaft, hat sich seit kurzer Zeit wesentlich
emanzipirt und würde es noch viel mehr thun, wenn wir statt der jetzigen
Schablonenhaften eine wahrhaft freie und volksthümliche Presse hätten. Die
Preßfreiheit ist aber gerade durch die ruinirt, welche dies Wort am meisten
im Munde führen. Zwar hat noch jedes Blatt eine kleine Gemeinde, welche
willenlos sich mit ihrem Urtheile dem des Blattes unterordnet, aber gerade die
ungeschickte, theils sich in leeren Abstraktionen und in prophetischer Schwarz¬
seherei, theils aber in den widersinnigsten Unwahrheiten sich bewegende frei-
hündlerische Agitation gegen die Zollreform hat diese Gemeinde sehr bedenklich
verkleinert, und durch die Haltung der Fraktion im Reichstage hat die Partei
im Lande sich völlig den Kredit verscherzt. Das wird sich allen Anzeichen nach
bei den bevorstehenden Ergäuzungswahlen zur zweiten Kammer klar genug
zeigen, wo sogar der erste Vizepräsident kaum mit der größten Anstrengung
sein Mandat behaupten dürfte.

Das wäre nun allerdings weder für die Volksvertretung noch für das
Land ein Unglück, vorausgesetzt, daß an Stelle der Männer von heute Vertreter
aus der Wahlurne hervorgehen, welche mit dem Volke und seinem Wirken und
Schaffen inniger verwachsen sind, als Staatsanwälte, Advokaten und sonstige
richterliche und andere Beamte. Gerade der badischen Kammer, die zu etwa
zwei Dritteln aus Juristen, Bürgermeistern und derartigen, dem praktischen und
gewerblichen Leben fernstehenden Personen besteht, thäte es noth, daß ihr aus
dem Volke neue Kräfte zugeführt würden, welche mit einem warmen Herzen
für das Beste des Landes und das Wohl und Wehe des Volkes auch ein tiefes,
aus eigner Erfahrung resultirendes Verständniß für das Volksleben und einen
im praktischen Leben geschärften Sinn für seine Bedürfnisse vereinen. Mögen
sie sich dann auf die rechte oder auf die linke Seite setzen, dem Lande wird
ihr Wirken in jedem Falle mehr zum Heile gereichen, als der gegenwärtige
Zustand der Unzusammengehörigkeit, Zerrissenheit und prinzipienlosen Opposition,
welche die Partei so vollständig ruinirt hat. Nach dem Sturm und Drang


Grenzboten III, 1379. L3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/183>, abgerufen am 01.09.2024.