Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

zu gute komme. Zur Zollreform erklärte der Redner (nach seiner Correspon-
denz): "mit Recht werde zur Erhöhung der Zölle zu Gunsten solcher Industrie¬
zweige geschritten, deren naturgemäß begründeter, in sich nach unseren deutschen
Verhältnissen gerechtfertigter Betrieb unter der Ungunst der Zollgesetze des
Auslandes leide u. s. w." Kurz, Herr Kiefer war hier, wo er den Wählern
gegenüberstand, oder besser gesagt, dem "liberalen Bürger- und Bauernthum",
ein so schutzzöllnerisch gesinnter Liberaler, daß den Wählern darob das Herz
jauchzte, und sie ihm, wirklich in hohem Grade animirt, ihren Beifall laut und
reichlich zu erkennen gaben. Denn diese Auslassungen entsprachen eben voll¬
kommen der badischen wie überhaupt der süddeutschen Bevölkerung. Aber nicht
lange war Herr Kiefer in den absoluten nationalliberalen Berliner Fraktions¬
staat zurückgekehrt, als das Blatt sich wendete, und die "Bad. Corr.", welche
fast ausschließlich in den willenlos abhängigen Zeitungsredaktionen gelesen und
nachgedruckt wird, genau in den entgegengesetzten Ton umschlug. Die "Bad.
Corr." wurde -- die Geschichte des preußischen Liberalismus sagt, warum? --
mit einem Schlage ebenso schutzzoll- wie bismarckfeindlich, und als es zur
Entscheidung kam, stimmten nicht nur Herr Kiefer, sondern auch die in Berlin
wie in Karlsruhe sich ihm vollständig unterordnenden Parteigenossen gegen
sämmtliche Zölle und gegen die Gesammtvorlage. Nur aus dieser Zweiseelen¬
theorie des Liberalismus von heute ist auch die Rede erklärbar, welche Herr
Kiefer im Namen seiner Partei am 10. d. Mes. im deutschen Reichstage hielt.
Dieselbe war von Anfang an darauf berechnet, im Lande veröffentlicht zu
werden; daher wurde sie zwar zum Zolltarif, aber über den Kulturkampf
gehalten, da über die wirthschaftliche Frage Herr Kiefer beim besten Willen
nichts hätte sagen können, wodurch seine Wiederwahl für den Reichstag, ans
dem er seiner Rangerhöhung wegen ausscheiden muß, unterstützt worden wäre.
Diese Zweiseelentheorie ist aber nicht nur eine Spezialität des badischen, son¬
dern fast des gesammten modernen deutschen Liberalismus. Im Wahlkreise,
vor "Gevatter Schneider und Handschuhmacher", ungeheuer praktisch, warmen
Herzens für das xrotaiuira vu^us und dessen Bedürfnisse, sogar geneigt, einem
Gesetze für den Schutz der nationalen Arbeit seine Zustimmung zu geben; im
gesetzgebenden Körper aber, dort im Reichstage im Banne der tyrannischen
Oberleitung, hier im Landtage im Banne der eigenen Souveränetät und Vor¬
trefflichkeit, kommt allein die autonome, dem praktischen Leben und seinen An-
forderungen fremde Beamtennatnr zur Geltung, da steht des "Lebens grüner
Baum" welk und entlaubt, und es ruhen darauf schwer und grau der Theorie
erdrückende Nebel.

Wenn die Bevölkerung diese Schwenkung von dem, sei es gemäßigten oder
radikalen, aber immer schutzzöllnerischen Liberalismus zu dem Richter-Laster-


zu gute komme. Zur Zollreform erklärte der Redner (nach seiner Correspon-
denz): „mit Recht werde zur Erhöhung der Zölle zu Gunsten solcher Industrie¬
zweige geschritten, deren naturgemäß begründeter, in sich nach unseren deutschen
Verhältnissen gerechtfertigter Betrieb unter der Ungunst der Zollgesetze des
Auslandes leide u. s. w." Kurz, Herr Kiefer war hier, wo er den Wählern
gegenüberstand, oder besser gesagt, dem „liberalen Bürger- und Bauernthum",
ein so schutzzöllnerisch gesinnter Liberaler, daß den Wählern darob das Herz
jauchzte, und sie ihm, wirklich in hohem Grade animirt, ihren Beifall laut und
reichlich zu erkennen gaben. Denn diese Auslassungen entsprachen eben voll¬
kommen der badischen wie überhaupt der süddeutschen Bevölkerung. Aber nicht
lange war Herr Kiefer in den absoluten nationalliberalen Berliner Fraktions¬
staat zurückgekehrt, als das Blatt sich wendete, und die „Bad. Corr.", welche
fast ausschließlich in den willenlos abhängigen Zeitungsredaktionen gelesen und
nachgedruckt wird, genau in den entgegengesetzten Ton umschlug. Die „Bad.
Corr." wurde — die Geschichte des preußischen Liberalismus sagt, warum? —
mit einem Schlage ebenso schutzzoll- wie bismarckfeindlich, und als es zur
Entscheidung kam, stimmten nicht nur Herr Kiefer, sondern auch die in Berlin
wie in Karlsruhe sich ihm vollständig unterordnenden Parteigenossen gegen
sämmtliche Zölle und gegen die Gesammtvorlage. Nur aus dieser Zweiseelen¬
theorie des Liberalismus von heute ist auch die Rede erklärbar, welche Herr
Kiefer im Namen seiner Partei am 10. d. Mes. im deutschen Reichstage hielt.
Dieselbe war von Anfang an darauf berechnet, im Lande veröffentlicht zu
werden; daher wurde sie zwar zum Zolltarif, aber über den Kulturkampf
gehalten, da über die wirthschaftliche Frage Herr Kiefer beim besten Willen
nichts hätte sagen können, wodurch seine Wiederwahl für den Reichstag, ans
dem er seiner Rangerhöhung wegen ausscheiden muß, unterstützt worden wäre.
Diese Zweiseelentheorie ist aber nicht nur eine Spezialität des badischen, son¬
dern fast des gesammten modernen deutschen Liberalismus. Im Wahlkreise,
vor „Gevatter Schneider und Handschuhmacher", ungeheuer praktisch, warmen
Herzens für das xrotaiuira vu^us und dessen Bedürfnisse, sogar geneigt, einem
Gesetze für den Schutz der nationalen Arbeit seine Zustimmung zu geben; im
gesetzgebenden Körper aber, dort im Reichstage im Banne der tyrannischen
Oberleitung, hier im Landtage im Banne der eigenen Souveränetät und Vor¬
trefflichkeit, kommt allein die autonome, dem praktischen Leben und seinen An-
forderungen fremde Beamtennatnr zur Geltung, da steht des „Lebens grüner
Baum" welk und entlaubt, und es ruhen darauf schwer und grau der Theorie
erdrückende Nebel.

Wenn die Bevölkerung diese Schwenkung von dem, sei es gemäßigten oder
radikalen, aber immer schutzzöllnerischen Liberalismus zu dem Richter-Laster-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142679"/>
          <p xml:id="ID_539" prev="#ID_538"> zu gute komme. Zur Zollreform erklärte der Redner (nach seiner Correspon-<lb/>
denz): &#x201E;mit Recht werde zur Erhöhung der Zölle zu Gunsten solcher Industrie¬<lb/>
zweige geschritten, deren naturgemäß begründeter, in sich nach unseren deutschen<lb/>
Verhältnissen gerechtfertigter Betrieb unter der Ungunst der Zollgesetze des<lb/>
Auslandes leide u. s. w." Kurz, Herr Kiefer war hier, wo er den Wählern<lb/>
gegenüberstand, oder besser gesagt, dem &#x201E;liberalen Bürger- und Bauernthum",<lb/>
ein so schutzzöllnerisch gesinnter Liberaler, daß den Wählern darob das Herz<lb/>
jauchzte, und sie ihm, wirklich in hohem Grade animirt, ihren Beifall laut und<lb/>
reichlich zu erkennen gaben. Denn diese Auslassungen entsprachen eben voll¬<lb/>
kommen der badischen wie überhaupt der süddeutschen Bevölkerung. Aber nicht<lb/>
lange war Herr Kiefer in den absoluten nationalliberalen Berliner Fraktions¬<lb/>
staat zurückgekehrt, als das Blatt sich wendete, und die &#x201E;Bad. Corr.", welche<lb/>
fast ausschließlich in den willenlos abhängigen Zeitungsredaktionen gelesen und<lb/>
nachgedruckt wird, genau in den entgegengesetzten Ton umschlug. Die &#x201E;Bad.<lb/>
Corr." wurde &#x2014; die Geschichte des preußischen Liberalismus sagt, warum? &#x2014;<lb/>
mit einem Schlage ebenso schutzzoll- wie bismarckfeindlich, und als es zur<lb/>
Entscheidung kam, stimmten nicht nur Herr Kiefer, sondern auch die in Berlin<lb/>
wie in Karlsruhe sich ihm vollständig unterordnenden Parteigenossen gegen<lb/>
sämmtliche Zölle und gegen die Gesammtvorlage. Nur aus dieser Zweiseelen¬<lb/>
theorie des Liberalismus von heute ist auch die Rede erklärbar, welche Herr<lb/>
Kiefer im Namen seiner Partei am 10. d. Mes. im deutschen Reichstage hielt.<lb/>
Dieselbe war von Anfang an darauf berechnet, im Lande veröffentlicht zu<lb/>
werden; daher wurde sie zwar zum Zolltarif, aber über den Kulturkampf<lb/>
gehalten, da über die wirthschaftliche Frage Herr Kiefer beim besten Willen<lb/>
nichts hätte sagen können, wodurch seine Wiederwahl für den Reichstag, ans<lb/>
dem er seiner Rangerhöhung wegen ausscheiden muß, unterstützt worden wäre.<lb/>
Diese Zweiseelentheorie ist aber nicht nur eine Spezialität des badischen, son¬<lb/>
dern fast des gesammten modernen deutschen Liberalismus. Im Wahlkreise,<lb/>
vor &#x201E;Gevatter Schneider und Handschuhmacher", ungeheuer praktisch, warmen<lb/>
Herzens für das xrotaiuira vu^us und dessen Bedürfnisse, sogar geneigt, einem<lb/>
Gesetze für den Schutz der nationalen Arbeit seine Zustimmung zu geben; im<lb/>
gesetzgebenden Körper aber, dort im Reichstage im Banne der tyrannischen<lb/>
Oberleitung, hier im Landtage im Banne der eigenen Souveränetät und Vor¬<lb/>
trefflichkeit, kommt allein die autonome, dem praktischen Leben und seinen An-<lb/>
forderungen fremde Beamtennatnr zur Geltung, da steht des &#x201E;Lebens grüner<lb/>
Baum" welk und entlaubt, und es ruhen darauf schwer und grau der Theorie<lb/>
erdrückende Nebel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_540" next="#ID_541"> Wenn die Bevölkerung diese Schwenkung von dem, sei es gemäßigten oder<lb/>
radikalen, aber immer schutzzöllnerischen Liberalismus zu dem Richter-Laster-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0182] zu gute komme. Zur Zollreform erklärte der Redner (nach seiner Correspon- denz): „mit Recht werde zur Erhöhung der Zölle zu Gunsten solcher Industrie¬ zweige geschritten, deren naturgemäß begründeter, in sich nach unseren deutschen Verhältnissen gerechtfertigter Betrieb unter der Ungunst der Zollgesetze des Auslandes leide u. s. w." Kurz, Herr Kiefer war hier, wo er den Wählern gegenüberstand, oder besser gesagt, dem „liberalen Bürger- und Bauernthum", ein so schutzzöllnerisch gesinnter Liberaler, daß den Wählern darob das Herz jauchzte, und sie ihm, wirklich in hohem Grade animirt, ihren Beifall laut und reichlich zu erkennen gaben. Denn diese Auslassungen entsprachen eben voll¬ kommen der badischen wie überhaupt der süddeutschen Bevölkerung. Aber nicht lange war Herr Kiefer in den absoluten nationalliberalen Berliner Fraktions¬ staat zurückgekehrt, als das Blatt sich wendete, und die „Bad. Corr.", welche fast ausschließlich in den willenlos abhängigen Zeitungsredaktionen gelesen und nachgedruckt wird, genau in den entgegengesetzten Ton umschlug. Die „Bad. Corr." wurde — die Geschichte des preußischen Liberalismus sagt, warum? — mit einem Schlage ebenso schutzzoll- wie bismarckfeindlich, und als es zur Entscheidung kam, stimmten nicht nur Herr Kiefer, sondern auch die in Berlin wie in Karlsruhe sich ihm vollständig unterordnenden Parteigenossen gegen sämmtliche Zölle und gegen die Gesammtvorlage. Nur aus dieser Zweiseelen¬ theorie des Liberalismus von heute ist auch die Rede erklärbar, welche Herr Kiefer im Namen seiner Partei am 10. d. Mes. im deutschen Reichstage hielt. Dieselbe war von Anfang an darauf berechnet, im Lande veröffentlicht zu werden; daher wurde sie zwar zum Zolltarif, aber über den Kulturkampf gehalten, da über die wirthschaftliche Frage Herr Kiefer beim besten Willen nichts hätte sagen können, wodurch seine Wiederwahl für den Reichstag, ans dem er seiner Rangerhöhung wegen ausscheiden muß, unterstützt worden wäre. Diese Zweiseelentheorie ist aber nicht nur eine Spezialität des badischen, son¬ dern fast des gesammten modernen deutschen Liberalismus. Im Wahlkreise, vor „Gevatter Schneider und Handschuhmacher", ungeheuer praktisch, warmen Herzens für das xrotaiuira vu^us und dessen Bedürfnisse, sogar geneigt, einem Gesetze für den Schutz der nationalen Arbeit seine Zustimmung zu geben; im gesetzgebenden Körper aber, dort im Reichstage im Banne der tyrannischen Oberleitung, hier im Landtage im Banne der eigenen Souveränetät und Vor¬ trefflichkeit, kommt allein die autonome, dem praktischen Leben und seinen An- forderungen fremde Beamtennatnr zur Geltung, da steht des „Lebens grüner Baum" welk und entlaubt, und es ruhen darauf schwer und grau der Theorie erdrückende Nebel. Wenn die Bevölkerung diese Schwenkung von dem, sei es gemäßigten oder radikalen, aber immer schutzzöllnerischen Liberalismus zu dem Richter-Laster-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/182
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/182>, abgerufen am 27.11.2024.