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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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rufe: "Die nationalliberalen Badener werden jederzeit bereit sein, dem Handel
und der Industrie jeden durch die Lage der Verhältnisse geforderten Schutz
und jede wirksame Unterstützung angedeihen zu lassen." Schon im Laufe dieses
Jahres, etwa Mitte April, also während der Reichstag schon mit dem Zoll¬
tarife beschäftigt war, sagte das offizielle Organ der Partei, die "Badische
Korrespondenz": "es sei eine armselige Unwahrheit, daß die Annahme jdes
Varnbüler'schen Zolltarifs durch liberale Reichstags-Abgeordnete an sich so viel
bedeute, als sich unter das kaudinische Joch beugen". Und in demselben Artikel
des offiziellen Organs der Abgeordneten Kiefer und Gen. kommt auch der für
die Stellung der Partei gewiß schwerwiegende Satz vor: "In Baden war in
den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts der Liberalismus, und zwar bis
zum Radikalismus hin, obenauf in der ständischen Vertretung, und dennoch
war diese Vertretung durchaus schutzzöllnerisch; aber auch die nach Besiegung
der Revolution an ihre Stelle getretenen mehr reaktionären Nachfolger behielten
die schutzzöllnerische Neigung bei. Ebensowenig hat die sogenannte neue Aera
von 1860, die zu einem verständigen Liberalismus in der Regierung zurück¬
kehrte und ungetheilte Unterstützung im Volke fand, daran etwas geändert, und
es fiel seiner Zeit der Regierung und den Ständen ziemlich schwer, den fran¬
zösischen Handelsverein mit in den Kauf zu nehmen, um den Zollverein zu
erhalten. Aehnlich und unter noch größerem Widerstreben fügten andere süd¬
deutsche Staaten, z. B. Württemberg, sich in diese aus freihändlerischen Bestre¬
bungen hervorgegangene Zwangslage."

Also das badische Volk liberaler und selbst radikaler Richtung ist durchaus
schutzzöllnerisch, ist es selbst, wie des weiteren hervorgehoben wird, zur Zeit
der Aushebung der Eiseuzölle noch so sehr gewesen, daß selbst die liberalen
Abgeordneten sich nicht alle für dieselbe erklärten, und ist es ebenso, wie wir
hinzufügen können, noch heute, darin noch bestärkt dnrch die traurigen Erfah¬
rungen der letzten Jahre. Das wußte und bedachte auch der Abgeordnete
Kiefer sehr wohl, als er in seinem Wahlkreise am 20. April, also etwa zur
selben Zeit, als er in der "Bad. Corr." jenen schutzzöllnerischen Artikel ver¬
öffentlichte, vor einer Wählerversammlung erschien und dort über seine Stel¬
lung zur Tabakbesteuerung und zum Zolltarif sich aussprach. Nach seinem
eignen Referate in der "Bad. Corr." war ihm die Besteuerung des ausländi¬
schen Tabaks mit 60 Mark zu niedrig. Mit Ironie äußerte der Redner seine
Verwunderung, daß man zu Berlin im Reichskanzleramte und Bundesrathe
in einer Epoche eifrigster Schutzzollversprechungen gerade hier einen so geringen
Eifer zum Schutze unseres vaterländischen Tabaksbaues beweise. Also stand
zu lesen in dem offiziellen Blatte. Desgleichen sprach sich Herr Kiefer für die
Nachbesteuerung aus, deren Wegfall nur den reichen Industriellen oder Händlern


rufe: „Die nationalliberalen Badener werden jederzeit bereit sein, dem Handel
und der Industrie jeden durch die Lage der Verhältnisse geforderten Schutz
und jede wirksame Unterstützung angedeihen zu lassen." Schon im Laufe dieses
Jahres, etwa Mitte April, also während der Reichstag schon mit dem Zoll¬
tarife beschäftigt war, sagte das offizielle Organ der Partei, die „Badische
Korrespondenz": „es sei eine armselige Unwahrheit, daß die Annahme jdes
Varnbüler'schen Zolltarifs durch liberale Reichstags-Abgeordnete an sich so viel
bedeute, als sich unter das kaudinische Joch beugen". Und in demselben Artikel
des offiziellen Organs der Abgeordneten Kiefer und Gen. kommt auch der für
die Stellung der Partei gewiß schwerwiegende Satz vor: „In Baden war in
den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts der Liberalismus, und zwar bis
zum Radikalismus hin, obenauf in der ständischen Vertretung, und dennoch
war diese Vertretung durchaus schutzzöllnerisch; aber auch die nach Besiegung
der Revolution an ihre Stelle getretenen mehr reaktionären Nachfolger behielten
die schutzzöllnerische Neigung bei. Ebensowenig hat die sogenannte neue Aera
von 1860, die zu einem verständigen Liberalismus in der Regierung zurück¬
kehrte und ungetheilte Unterstützung im Volke fand, daran etwas geändert, und
es fiel seiner Zeit der Regierung und den Ständen ziemlich schwer, den fran¬
zösischen Handelsverein mit in den Kauf zu nehmen, um den Zollverein zu
erhalten. Aehnlich und unter noch größerem Widerstreben fügten andere süd¬
deutsche Staaten, z. B. Württemberg, sich in diese aus freihändlerischen Bestre¬
bungen hervorgegangene Zwangslage."

Also das badische Volk liberaler und selbst radikaler Richtung ist durchaus
schutzzöllnerisch, ist es selbst, wie des weiteren hervorgehoben wird, zur Zeit
der Aushebung der Eiseuzölle noch so sehr gewesen, daß selbst die liberalen
Abgeordneten sich nicht alle für dieselbe erklärten, und ist es ebenso, wie wir
hinzufügen können, noch heute, darin noch bestärkt dnrch die traurigen Erfah¬
rungen der letzten Jahre. Das wußte und bedachte auch der Abgeordnete
Kiefer sehr wohl, als er in seinem Wahlkreise am 20. April, also etwa zur
selben Zeit, als er in der „Bad. Corr." jenen schutzzöllnerischen Artikel ver¬
öffentlichte, vor einer Wählerversammlung erschien und dort über seine Stel¬
lung zur Tabakbesteuerung und zum Zolltarif sich aussprach. Nach seinem
eignen Referate in der „Bad. Corr." war ihm die Besteuerung des ausländi¬
schen Tabaks mit 60 Mark zu niedrig. Mit Ironie äußerte der Redner seine
Verwunderung, daß man zu Berlin im Reichskanzleramte und Bundesrathe
in einer Epoche eifrigster Schutzzollversprechungen gerade hier einen so geringen
Eifer zum Schutze unseres vaterländischen Tabaksbaues beweise. Also stand
zu lesen in dem offiziellen Blatte. Desgleichen sprach sich Herr Kiefer für die
Nachbesteuerung aus, deren Wegfall nur den reichen Industriellen oder Händlern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/181>, abgerufen am 27.07.2024.