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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Gefahr läuft, einmal nicht mehr mit der Ordnung und der Sicherheit von
Leben und Eigenthum identisch zu sein. Die Orleans haben vor dieser Gefahr,
die mit der Uebersiedelung der Kammern nach Paris näher gerückt ist, kaum
etwas zu hoffen, und der Ro^ der Legitimisten ist ein politisch todter Mann.

Damit ist nicht gesagt, daß die gegenwärtige Lage der bonapartistischen
Partei sich durch den Tod des Prinzen nicht für die nächste Zeit ungünstiger
gestaltet habe. Wenn sie aber mit Spaltung und Abfall bedroht ist, so wird
fortan an ihrer Spitze ein Mann stehen, der, was man auch an seiner Willens¬
kraft aussetzen mag, jedenfalls ein gescheiter Kopf, ein politischer Denker ist,
während wir vom verstorbenen Prinzen, diesem halben Kinde, nichts wußten,
als daß er einigen Unternehmungsgeist besaß.

Napoleon V., wie ihn seine Anhänger stilisiren werden, wird kein Werk¬
zeug der Partei sein, er wird warten, er wird transigiren, er wird als der
"rothe Prinz", als Gegner der Ultramontanen den Republikaner herauskehren
können, bis die Zeit für ihn reif ist. Ueber kurz oder lang wird der Baum
der Freiheit zu Paris als Blüthe die rothe Jakobinermütze tragen; die Frucht
aber wird, wie zweimal schon, eine Kaiserkrone sein, die zuerst vielleicht wie ein
Präsidentenhut aussehen, die aber sicher dem Ruhmeserben Napoleon's I. zu¬
fallen wird, wenn der Mangel an Kühnheit, den man ihm, vielleicht ohne
rechten Grund, nachsagt, nicht die Ursache wird, daß ein genialer und zugleich
energischer General den wieder zur Uebermacht herangewachsenen Kommunis¬
mus niederwirft und dem Prinzen den Siegespreis vorwegnimmt. Der letztere
Fall wäre aber nur der Beginn einer andern Aera des französischen Impe¬
rialismus. Die Ursache seines Emporkommens, die Basis, auf der er stände,
die Grundsätze, nach denen er zu regieren hätte, wären genan dieselben wie
beim früheren; lediglich der Name der Dynastie wäre ein andrer.

Zunächst liegen die Dinge für die Bonapartisten, wie gesagt, nichts
weniger als vortheilhaft. Der Prinz Jerome Napoleon lebt seit Jahren in
gespannten Beziehungen zur Kaiserin Eugenie, sein im Kaplande gefallener
Vetter hat ein Testament hinterlassen, in welchem er wünscht, nicht Jerome,
sondern dessen Sohn, Prinz Victor, möge sein Nachfolger werden, ein Theil
der Partei, an dessen Spitze Rouher, der "Vizekaiser", steht, hat sich für das
Recht Jerome's erklärt, ein andrer, zu dessen Wortführern sich die Cassagnacs
aufgeworfen haben, tritt für Victor in die Schranken. Dort ist das Recht,
wenn wir bei napoleoniden in vollem Ernste von Recht sprechen dürfen, hier
die Opportunist; denn die Kraft des Bonapartismus ruhte bisher in dem
Bekenntniß zum Absolutismus auf der Grundlage des Volkswillens, der sich
im Plebiszit ausgesprochen, und auf der Verbindung dieses Absolutismus mit
den Ultramontanen; gegen beides aber hat Jerome sich, wenn auch schwerlich


Gefahr läuft, einmal nicht mehr mit der Ordnung und der Sicherheit von
Leben und Eigenthum identisch zu sein. Die Orleans haben vor dieser Gefahr,
die mit der Uebersiedelung der Kammern nach Paris näher gerückt ist, kaum
etwas zu hoffen, und der Ro^ der Legitimisten ist ein politisch todter Mann.

Damit ist nicht gesagt, daß die gegenwärtige Lage der bonapartistischen
Partei sich durch den Tod des Prinzen nicht für die nächste Zeit ungünstiger
gestaltet habe. Wenn sie aber mit Spaltung und Abfall bedroht ist, so wird
fortan an ihrer Spitze ein Mann stehen, der, was man auch an seiner Willens¬
kraft aussetzen mag, jedenfalls ein gescheiter Kopf, ein politischer Denker ist,
während wir vom verstorbenen Prinzen, diesem halben Kinde, nichts wußten,
als daß er einigen Unternehmungsgeist besaß.

Napoleon V., wie ihn seine Anhänger stilisiren werden, wird kein Werk¬
zeug der Partei sein, er wird warten, er wird transigiren, er wird als der
„rothe Prinz", als Gegner der Ultramontanen den Republikaner herauskehren
können, bis die Zeit für ihn reif ist. Ueber kurz oder lang wird der Baum
der Freiheit zu Paris als Blüthe die rothe Jakobinermütze tragen; die Frucht
aber wird, wie zweimal schon, eine Kaiserkrone sein, die zuerst vielleicht wie ein
Präsidentenhut aussehen, die aber sicher dem Ruhmeserben Napoleon's I. zu¬
fallen wird, wenn der Mangel an Kühnheit, den man ihm, vielleicht ohne
rechten Grund, nachsagt, nicht die Ursache wird, daß ein genialer und zugleich
energischer General den wieder zur Uebermacht herangewachsenen Kommunis¬
mus niederwirft und dem Prinzen den Siegespreis vorwegnimmt. Der letztere
Fall wäre aber nur der Beginn einer andern Aera des französischen Impe¬
rialismus. Die Ursache seines Emporkommens, die Basis, auf der er stände,
die Grundsätze, nach denen er zu regieren hätte, wären genan dieselben wie
beim früheren; lediglich der Name der Dynastie wäre ein andrer.

Zunächst liegen die Dinge für die Bonapartisten, wie gesagt, nichts
weniger als vortheilhaft. Der Prinz Jerome Napoleon lebt seit Jahren in
gespannten Beziehungen zur Kaiserin Eugenie, sein im Kaplande gefallener
Vetter hat ein Testament hinterlassen, in welchem er wünscht, nicht Jerome,
sondern dessen Sohn, Prinz Victor, möge sein Nachfolger werden, ein Theil
der Partei, an dessen Spitze Rouher, der „Vizekaiser", steht, hat sich für das
Recht Jerome's erklärt, ein andrer, zu dessen Wortführern sich die Cassagnacs
aufgeworfen haben, tritt für Victor in die Schranken. Dort ist das Recht,
wenn wir bei napoleoniden in vollem Ernste von Recht sprechen dürfen, hier
die Opportunist; denn die Kraft des Bonapartismus ruhte bisher in dem
Bekenntniß zum Absolutismus auf der Grundlage des Volkswillens, der sich
im Plebiszit ausgesprochen, und auf der Verbindung dieses Absolutismus mit
den Ultramontanen; gegen beides aber hat Jerome sich, wenn auch schwerlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/176>, abgerufen am 25.11.2024.