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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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und hoffte, so die öffentliche Meinung für die Eisenbahnen zu gewinnen. Zu
den Briefen, die als "Mittheilungen aus Nordamerika. Ueber Kanäle und
Eisenbahnen" veröffentlicht waren, gab er einen Nachtrag, "Mittheilungen aus
Nordamerika, enthaltend eine weitere Entwickelung der Vortheile 1.) eiues
Eisenbahnsystems im Innern Baiern's, 2.) eines bairisch-hanseatischen Eisen¬
bahnsystems" und entwickelte hier die ganze Wucht seiner volkswirthschaftlichen
Ideen. Alles, was irgend für die Eisenbahnen zu sagen war, findet sich hier
beisammen; alle Gegenerwägungen sind entkräftet. Wahrhaft großartig sind
die Aussichten, welche List hier als die Folgen eines allgemeinen Eisenbahn¬
systems entwickelt. Alle jene Umgestaltungen, die sie in volkswirtschaftlicher
und gesellschaftlicher Beziehung hervorgerufen haben, sieht er voraus, und mit
wahrhaft prophetischem Blick entwirft er ein Bild der Zukunft. Wer die
Menschen kennt, wird sich nicht wundern, daß man alle diese Weissagungen für
eitle Ausgeburten einer träumenden Phantasie erklärte, für Chimären, Toll¬
heiten und Schwindel. Fehlte doch dem Publikum, ja fehlte doch auch den
"Männern der Wissenschaft" und nicht minder denen der Praxis, wie man sie
in Deutschland ja leider klassifiziren muß, das prinzipielle Mittel, sich von dem
Einfluß der Eisenbahnen eine Vorstellung zu machen. Man war gewohnt, die
Eisenbahnen als ein vereinzeltes Transportmittel zu betrachten, das höchstens
im Stande sein werde, die Transportkosten der Waare zu vermindern; von
ihrer belebenden Thätigkeit hatte man keine Ahnung. List betrachtete sie aus
dem Gesichtspunkte der produktiven Kräfte, in ihrer Gesammtwirkung an^ das
ganze geistige, politische und gesellschaftliche Leben, auf die Produktivkraft und
die Macht der Nation. "Ich erkannte," sagte er später in der Vorrede zu
seinem nationalen System politischer Oekonomie", "welche Wechselwirkung zwischen
der Manufakturkraft und dem National-Transportsystem bestehe, und daß die
eine ohne das andere nirgends zu hoher Vollkommenheit gedeihen könne. Da¬
durch ward ich in den Stand gesetzt, diese Materie -- ich darf wohl behaup¬
ten -- umfassender abzuhandeln, als irgend ein anderer Nationalökonom vor
mir, und namentlich die Nothwendigkeit und Nützlichkeit ganzer National-
Eisenbahnsysteme in ein klares Licht zu stellen, ehe noch irgend ein National¬
ökonom in England, Frankreich oder Nordamerika daran gedacht hatte, sie
aus diesem höheren Gesichtspunkte zu betrachten." Diese Worte war er ge¬
nöthigt noch in späteren Jahren denen gegenüberzustellen, welche nicht müde
wurden, ihn als "einen Enthusiasten zu schildern, dessen erhitzte Phantasie alles
im vergrößerten Maßstabe sehe und eine Menge Dinge erblicke, die anderen
Leuten mit gewöhnlichen Augen nicht wahrnehmbar seien". Für Deutschland
aber, meinte List, müßten alle Wirkungen der Eisenbahnen um so größer sein,
je unvollkommener bisher die Transportmittel im Verhältniß zu der Kultur


und hoffte, so die öffentliche Meinung für die Eisenbahnen zu gewinnen. Zu
den Briefen, die als „Mittheilungen aus Nordamerika. Ueber Kanäle und
Eisenbahnen" veröffentlicht waren, gab er einen Nachtrag, „Mittheilungen aus
Nordamerika, enthaltend eine weitere Entwickelung der Vortheile 1.) eiues
Eisenbahnsystems im Innern Baiern's, 2.) eines bairisch-hanseatischen Eisen¬
bahnsystems" und entwickelte hier die ganze Wucht seiner volkswirthschaftlichen
Ideen. Alles, was irgend für die Eisenbahnen zu sagen war, findet sich hier
beisammen; alle Gegenerwägungen sind entkräftet. Wahrhaft großartig sind
die Aussichten, welche List hier als die Folgen eines allgemeinen Eisenbahn¬
systems entwickelt. Alle jene Umgestaltungen, die sie in volkswirtschaftlicher
und gesellschaftlicher Beziehung hervorgerufen haben, sieht er voraus, und mit
wahrhaft prophetischem Blick entwirft er ein Bild der Zukunft. Wer die
Menschen kennt, wird sich nicht wundern, daß man alle diese Weissagungen für
eitle Ausgeburten einer träumenden Phantasie erklärte, für Chimären, Toll¬
heiten und Schwindel. Fehlte doch dem Publikum, ja fehlte doch auch den
„Männern der Wissenschaft" und nicht minder denen der Praxis, wie man sie
in Deutschland ja leider klassifiziren muß, das prinzipielle Mittel, sich von dem
Einfluß der Eisenbahnen eine Vorstellung zu machen. Man war gewohnt, die
Eisenbahnen als ein vereinzeltes Transportmittel zu betrachten, das höchstens
im Stande sein werde, die Transportkosten der Waare zu vermindern; von
ihrer belebenden Thätigkeit hatte man keine Ahnung. List betrachtete sie aus
dem Gesichtspunkte der produktiven Kräfte, in ihrer Gesammtwirkung an^ das
ganze geistige, politische und gesellschaftliche Leben, auf die Produktivkraft und
die Macht der Nation. „Ich erkannte," sagte er später in der Vorrede zu
seinem nationalen System politischer Oekonomie", „welche Wechselwirkung zwischen
der Manufakturkraft und dem National-Transportsystem bestehe, und daß die
eine ohne das andere nirgends zu hoher Vollkommenheit gedeihen könne. Da¬
durch ward ich in den Stand gesetzt, diese Materie — ich darf wohl behaup¬
ten — umfassender abzuhandeln, als irgend ein anderer Nationalökonom vor
mir, und namentlich die Nothwendigkeit und Nützlichkeit ganzer National-
Eisenbahnsysteme in ein klares Licht zu stellen, ehe noch irgend ein National¬
ökonom in England, Frankreich oder Nordamerika daran gedacht hatte, sie
aus diesem höheren Gesichtspunkte zu betrachten." Diese Worte war er ge¬
nöthigt noch in späteren Jahren denen gegenüberzustellen, welche nicht müde
wurden, ihn als „einen Enthusiasten zu schildern, dessen erhitzte Phantasie alles
im vergrößerten Maßstabe sehe und eine Menge Dinge erblicke, die anderen
Leuten mit gewöhnlichen Augen nicht wahrnehmbar seien". Für Deutschland
aber, meinte List, müßten alle Wirkungen der Eisenbahnen um so größer sein,
je unvollkommener bisher die Transportmittel im Verhältniß zu der Kultur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/17>, abgerufen am 26.11.2024.