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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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sie gut getroffen. Dieselbe gehört durchgehends den unteren Ständen an, und
sie lieben es, ihre Rede mit Bibelsprüchen auszustatten. Ihr Stifter war der
Jrländer O'Bryan, ein eifriger und ehrgeiziger Prediger der Wesleyaner. Eines
Tages sagte man ihm, daß in Devonshire an die zwanzig Kirchspiele in der
gröbsten Unwissenheit und ohne allen religiösen Trost dahinlebten. O'Bryan's
Herz seufzte auf. Er ergriff Hut und Stab und sagte: "Ich werde diesem
Volke das Evangelinm predigen, denn der Herr spricht: Weide meine Lümmer",
und bald darauf befand er sich in Devonshire, wo er in der That eine rohe
und irreligiöse Bevölkerung antraf. Es gelang seiner Beredsamkeit, viele Leute
zu bekehren, und jetzt kam ihm der Gedanke, auf eigne Rechnung zu arbeiten,
zumal da die Konferenz seiner Sekte ihn seiner Meinung nach schlecht behandelt,
ihm, dem bloßen Laienprediger, die Bildung neuer Klassen untersagt und ihm
trotz eines langen Noviziates die Pforte zum geistlichen Amte verschlossen ge¬
halten hatte. Er organisirte daher eine Kirche für sich, in der dann die Geist¬
lichen in den Konferenzen zwar ebenfalls das Uebergewicht hatten, alle fünf
Jahre aber eine außerordentliche Konferenz zusammentrat, in welcher jene und
das Laienelement gleich stark vertreten waren. Auch die Aufnahme unter die
regelmäßigen Mitglieder war leichter. Man hatte, um zu einer Vorbereitungs¬
klasse zugelassen zu werdeu, nur die Erklärung abzugeben: "Ich will dem
zukünftigen Zorn entfliehen, indem ich mich in Christi Blut von meinen Sünden
reinwasche." Dann dürfte man an den Liebesmahlen und der Kommunion
theilnehmen, und nach Verlauf von drei Monaten trat man, wofern man die
Fragen, welche die Aeltesten über seine sittliche Aufführung stellten, genügend
beantworten konnte, in alle Rechte eines Mitgliedes der Kirche ein. Dagegen
übernahm man folgende Pflichten. Man durfte den Sonntag nicht entheiligen
durch weltliche Geschäfte, zu denen anch Besuche bei guten Freunden und Ein¬
käufe -- sie betrafen denn Arzeneien -- gerechnet wurden. Man durfte kein
Wirthshaus betreten; denn die Schrift sagt: "Laß dich nicht finden bei den
Gelagen, wo man zu trinken liebt." Man sollte bei Geschäften nicht viele
Worte machen, überhaupt gemeine und unnütze Redensarten meiden, keine feinen
Kleider, keine Juwelen, keine theuren Möbel besitzen und keine zu reichlichen
Mahlzeiten genießen. "Wer mehr Geld hat, als er zu seiner Nothdurft braucht,
der gebe es den Armen," lehrten die Prediger der Bibelchristen. "Kartenspiel,"
verkündeten sie weiter, "besudelt eure Hände. Ein Ball ist ein Vergnügen, das
aus der Hölle stammt, das Theater das Haus des Satans." Ein wichtiges
Verbot ist das, welches das Essen von Blut unter irgend welcher Form unter¬
sagt. "Denn höret wohl," heißt es da, "ein Schnittchen Wurst kann die ewige
Verdammniß zur Folge haben." Die jungen Mädchen, welche in den Stand
der Ehe treten, und die Wittwen, die sich zum zweiten Male verheirathen wollen,


sie gut getroffen. Dieselbe gehört durchgehends den unteren Ständen an, und
sie lieben es, ihre Rede mit Bibelsprüchen auszustatten. Ihr Stifter war der
Jrländer O'Bryan, ein eifriger und ehrgeiziger Prediger der Wesleyaner. Eines
Tages sagte man ihm, daß in Devonshire an die zwanzig Kirchspiele in der
gröbsten Unwissenheit und ohne allen religiösen Trost dahinlebten. O'Bryan's
Herz seufzte auf. Er ergriff Hut und Stab und sagte: „Ich werde diesem
Volke das Evangelinm predigen, denn der Herr spricht: Weide meine Lümmer",
und bald darauf befand er sich in Devonshire, wo er in der That eine rohe
und irreligiöse Bevölkerung antraf. Es gelang seiner Beredsamkeit, viele Leute
zu bekehren, und jetzt kam ihm der Gedanke, auf eigne Rechnung zu arbeiten,
zumal da die Konferenz seiner Sekte ihn seiner Meinung nach schlecht behandelt,
ihm, dem bloßen Laienprediger, die Bildung neuer Klassen untersagt und ihm
trotz eines langen Noviziates die Pforte zum geistlichen Amte verschlossen ge¬
halten hatte. Er organisirte daher eine Kirche für sich, in der dann die Geist¬
lichen in den Konferenzen zwar ebenfalls das Uebergewicht hatten, alle fünf
Jahre aber eine außerordentliche Konferenz zusammentrat, in welcher jene und
das Laienelement gleich stark vertreten waren. Auch die Aufnahme unter die
regelmäßigen Mitglieder war leichter. Man hatte, um zu einer Vorbereitungs¬
klasse zugelassen zu werdeu, nur die Erklärung abzugeben: „Ich will dem
zukünftigen Zorn entfliehen, indem ich mich in Christi Blut von meinen Sünden
reinwasche." Dann dürfte man an den Liebesmahlen und der Kommunion
theilnehmen, und nach Verlauf von drei Monaten trat man, wofern man die
Fragen, welche die Aeltesten über seine sittliche Aufführung stellten, genügend
beantworten konnte, in alle Rechte eines Mitgliedes der Kirche ein. Dagegen
übernahm man folgende Pflichten. Man durfte den Sonntag nicht entheiligen
durch weltliche Geschäfte, zu denen anch Besuche bei guten Freunden und Ein¬
käufe — sie betrafen denn Arzeneien — gerechnet wurden. Man durfte kein
Wirthshaus betreten; denn die Schrift sagt: „Laß dich nicht finden bei den
Gelagen, wo man zu trinken liebt." Man sollte bei Geschäften nicht viele
Worte machen, überhaupt gemeine und unnütze Redensarten meiden, keine feinen
Kleider, keine Juwelen, keine theuren Möbel besitzen und keine zu reichlichen
Mahlzeiten genießen. „Wer mehr Geld hat, als er zu seiner Nothdurft braucht,
der gebe es den Armen," lehrten die Prediger der Bibelchristen. „Kartenspiel,"
verkündeten sie weiter, „besudelt eure Hände. Ein Ball ist ein Vergnügen, das
aus der Hölle stammt, das Theater das Haus des Satans." Ein wichtiges
Verbot ist das, welches das Essen von Blut unter irgend welcher Form unter¬
sagt. „Denn höret wohl," heißt es da, „ein Schnittchen Wurst kann die ewige
Verdammniß zur Folge haben." Die jungen Mädchen, welche in den Stand
der Ehe treten, und die Wittwen, die sich zum zweiten Male verheirathen wollen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/155>, abgerufen am 01.09.2024.