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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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haften Mährchen ausgeartet wären. -- Der Vorwurf trifft jetzt Frankreich,
Ihm haben wir zu danken, daß es keine Kunst mehr ist, alles was man will
zu schreiben. Das Französische ist zu unsern Zeiten so allgemein als es ehe¬
mals das Griechische war: wie sollte aber jenes zu London und Berlin nicht
ebenso ausarten, als dieses im jüdischen Lande?"

"Das verflossene Jahrhundert war das Reich des Genies; das nächste
wird vielleicht unter dem Seepter der gesunden Vernunft blühn. Was für eine
traurige Figur machen die Ritter des gegenwärtigen Zeitalters in der Mitte!
Ein Jahrhundert, wo man an Worten drechselt, kleine und große Versuche
macht, Gedanken zu empfinden und Empfindungen mit Händen zu greifen, wo
man Kupferstiche baut, Holzschnitte schreibt, nach Noten ficht, wird das philo¬
sophische genannt!"

"Die Vernunft ist heilig, recht und gut; durch sie kommt aber nichts als
Erkenntniß der überaus sündigen Unwissenheit, die, wenn sie epidemisch wird,
in die Rechte der Weltweis heit tritt, wie einer ans ihnen gesagt hat, ihr eigner
Prophet: 1<zö sa^hö Nation sollt too.s as 1a tous eomiriuiis. Niemand
betrüge sich also selbst. Welcher sich unter euch dünkt weise zu sein, der werde
ein Narr in dieser Welt, daß er möge weise sein."

"Jeder Mensch ist Schöpfer und Urbild seiner ihm gefunden Vernunft."

"Ich glaube, daß nichts in unsrer Seele verloren geht, so wenig als vor
Gott; gleichwohl scheint mir, daß wir gewisser Gedanken nur einmal in unserm
Leben fähig sind."

Ueber den Mißerfolg seines Buches tröstete sich Hamann mit den Worten:
"Ein Schriftsteller, der eilt, heute und morgen verstanden zu werden, läuft
Gefahr, übermorgen vergessen zu sein." -- "Indeß die Athener vom Schwanz¬
loser Hunde schwatzten, machte Alcibiades mit ihnen, was er wollte." --
"Gehört nicht eine große Selbstverleugnung dazu, ein Stück zu liefern, das
durch so feine Empfindungen, durch so schnelle Bewegungen der Seele, durch
so unmerkliche Beziehungen verbunden ist; daß es ganz ohne Verbindung zu
sein scheint? Die Kunst kann nicht mehr übertrieben werden, das Genie sich
nicht unbändiger gebärden als in den Molken"'

Hamann's Fehler war, daß er für seine zerstreuten Ideen auf eine
Kunstform ausging, die Kunstform des Humors: er wollte auf seine Leser
ungefähr so wirken wie Tristram Shandy; er wollte beständig überraschen und
verwirren. Dadurch verkümmerte er seine höchste Gabe, einen Gedanken als
prachtvolles Fragment in die Welt zu schleudern, und trieb mit den goldenen
Schätzen seiner Anschauung ein im ganzen zweckloses Spiel.

Daß etwas nicht in Ordnung war, fühlte er selbst. "Meine Briefe," sagt
er gelegentlich, "sind vielleicht schwer, weil ich elliptisch wie ein Grieche und


haften Mährchen ausgeartet wären. — Der Vorwurf trifft jetzt Frankreich,
Ihm haben wir zu danken, daß es keine Kunst mehr ist, alles was man will
zu schreiben. Das Französische ist zu unsern Zeiten so allgemein als es ehe¬
mals das Griechische war: wie sollte aber jenes zu London und Berlin nicht
ebenso ausarten, als dieses im jüdischen Lande?"

„Das verflossene Jahrhundert war das Reich des Genies; das nächste
wird vielleicht unter dem Seepter der gesunden Vernunft blühn. Was für eine
traurige Figur machen die Ritter des gegenwärtigen Zeitalters in der Mitte!
Ein Jahrhundert, wo man an Worten drechselt, kleine und große Versuche
macht, Gedanken zu empfinden und Empfindungen mit Händen zu greifen, wo
man Kupferstiche baut, Holzschnitte schreibt, nach Noten ficht, wird das philo¬
sophische genannt!"

„Die Vernunft ist heilig, recht und gut; durch sie kommt aber nichts als
Erkenntniß der überaus sündigen Unwissenheit, die, wenn sie epidemisch wird,
in die Rechte der Weltweis heit tritt, wie einer ans ihnen gesagt hat, ihr eigner
Prophet: 1<zö sa^hö Nation sollt too.s as 1a tous eomiriuiis. Niemand
betrüge sich also selbst. Welcher sich unter euch dünkt weise zu sein, der werde
ein Narr in dieser Welt, daß er möge weise sein."

„Jeder Mensch ist Schöpfer und Urbild seiner ihm gefunden Vernunft."

„Ich glaube, daß nichts in unsrer Seele verloren geht, so wenig als vor
Gott; gleichwohl scheint mir, daß wir gewisser Gedanken nur einmal in unserm
Leben fähig sind."

Ueber den Mißerfolg seines Buches tröstete sich Hamann mit den Worten:
„Ein Schriftsteller, der eilt, heute und morgen verstanden zu werden, läuft
Gefahr, übermorgen vergessen zu sein." — „Indeß die Athener vom Schwanz¬
loser Hunde schwatzten, machte Alcibiades mit ihnen, was er wollte." —
„Gehört nicht eine große Selbstverleugnung dazu, ein Stück zu liefern, das
durch so feine Empfindungen, durch so schnelle Bewegungen der Seele, durch
so unmerkliche Beziehungen verbunden ist; daß es ganz ohne Verbindung zu
sein scheint? Die Kunst kann nicht mehr übertrieben werden, das Genie sich
nicht unbändiger gebärden als in den Molken"'

Hamann's Fehler war, daß er für seine zerstreuten Ideen auf eine
Kunstform ausging, die Kunstform des Humors: er wollte auf seine Leser
ungefähr so wirken wie Tristram Shandy; er wollte beständig überraschen und
verwirren. Dadurch verkümmerte er seine höchste Gabe, einen Gedanken als
prachtvolles Fragment in die Welt zu schleudern, und trieb mit den goldenen
Schätzen seiner Anschauung ein im ganzen zweckloses Spiel.

Daß etwas nicht in Ordnung war, fühlte er selbst. „Meine Briefe," sagt
er gelegentlich, „sind vielleicht schwer, weil ich elliptisch wie ein Grieche und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/147>, abgerufen am 24.11.2024.