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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Glauben bewogen wird, ihr Beifall zu geben, der ist sich in seiner eignen
Person eines beständigen Wunderwerks bewußt, welches alle Grundsätze seines
Verstandes umkehrt und demselben eine Bestimmung giebt, das zu glauben, was
der Erfcchruug und Gewohnheit am meisten zuwider und entgegen ist."

Hierüber schreibt Hamann an Kant: "Hume mag das mit einer höhnischen
Miene gesagt haben, es ist immer ein Zeugniß der Wahrheit im Munde eines
Verfolgers derselben." Und mit einer Wendung, die auch Lessing nicht würde
verleugnet haben , fährt er fort: "Wenn nichts so ungereimt ist, das nicht ein
Philosoph gelehrt, so muß einem Philosophen nichts ungereimt vorkommen, das
er nicht prüfen und untersuchen sollte, ehe er sich unterstände es zu verwerfen.
Der Ekel ist ein Merkmal eines verdorbnen Magens oder verwöhnter Ein¬
bildungskraft." "Unser eigen Dasein und die Existenz aller Dinge außer uns
muß geglaubt und kann auf keine andre Art ausgemacht werden. Der Glaube
ist kein Werk der Vernunft und kaun daher keinem Augriff derselben unterliegen,
weil Glauben so wenig durch Gründe geschieht als Schmecken und Sehen."
"Das Schicksal setze den größten Weltweisen und Dichter in Umstände, wo sie
sich beide selbst fühlen, so verleugnet der eine feine Vernunft und entdeckt uns,
daß er keine beste Welt glaubt, so gut er sie auch beweisen kann; und der
andre sieht sich seiner Muse und Schutzengel beraubt bei dein Tod seiner Meta."

Diese Gedankenspäne wuchsen auf dem Boden einer ganz eignen Charakter¬
anlage und ganz eigener Lebenserfahrungen auf. Eine freie Natur, die jeden
Zügel zerreißt, aber freilich auch sich selbst nicht zügeln kann; ein geniales
Denken, rasches Kombiniren, ein tiefer Blick für das Wesentliche: zugleich aber
die gänzliche Unfähigkeit, sich durch zusammenhängende Arbeit zu Schulen.

Hamann's Vater, ein angesehener Chirurg in Königsberg, der "altstädtische
Bader", hatte bei des Sohnes Erziehung vielleicht zuviel gethan, indem er ihn von
Privatlehrern in allen möglichen Dingen unterrichten ließ: außer den alten
Sprachen wurden auch die neueren, namentlich Französisch und Italienisch, be¬
trieben. Noch nicht 16 Jahre alt, durfte er die Universität beziehen, wo er
sich dein Namen nach zuerst auf Theologie, dann auf die Rechte legte. Er war
dann Hofmeister auf verschiedenen liefländischen Gütern, bis er in dem Hause
des reichen Kaufmanns Berends in Riga freundliche Aufnahme und soviel
Zutrauen fand, daß dieser ihm endlich eine handelspolitische Mission anvertraute.
Nachdem er sich fast ein Jahr lang ohne rechten Zweck in Deutschland umher¬
getrieben -- in Berlin, Hamburg, Lübeck, Bremen --, kam er nach London.
Seine Mission scheint er völlig vergessen zu haben und in schlechte Gesellschaft
gerathen zu sein; sein Geld war verzehrt, er stak in Schulden, hatte sich völlig
aufgegeben, und das Schicksal von Mylius stand ihm bevor. So dauerte es
ein Jahr.


Glauben bewogen wird, ihr Beifall zu geben, der ist sich in seiner eignen
Person eines beständigen Wunderwerks bewußt, welches alle Grundsätze seines
Verstandes umkehrt und demselben eine Bestimmung giebt, das zu glauben, was
der Erfcchruug und Gewohnheit am meisten zuwider und entgegen ist."

Hierüber schreibt Hamann an Kant: „Hume mag das mit einer höhnischen
Miene gesagt haben, es ist immer ein Zeugniß der Wahrheit im Munde eines
Verfolgers derselben." Und mit einer Wendung, die auch Lessing nicht würde
verleugnet haben , fährt er fort: „Wenn nichts so ungereimt ist, das nicht ein
Philosoph gelehrt, so muß einem Philosophen nichts ungereimt vorkommen, das
er nicht prüfen und untersuchen sollte, ehe er sich unterstände es zu verwerfen.
Der Ekel ist ein Merkmal eines verdorbnen Magens oder verwöhnter Ein¬
bildungskraft." „Unser eigen Dasein und die Existenz aller Dinge außer uns
muß geglaubt und kann auf keine andre Art ausgemacht werden. Der Glaube
ist kein Werk der Vernunft und kaun daher keinem Augriff derselben unterliegen,
weil Glauben so wenig durch Gründe geschieht als Schmecken und Sehen."
„Das Schicksal setze den größten Weltweisen und Dichter in Umstände, wo sie
sich beide selbst fühlen, so verleugnet der eine feine Vernunft und entdeckt uns,
daß er keine beste Welt glaubt, so gut er sie auch beweisen kann; und der
andre sieht sich seiner Muse und Schutzengel beraubt bei dein Tod seiner Meta."

Diese Gedankenspäne wuchsen auf dem Boden einer ganz eignen Charakter¬
anlage und ganz eigener Lebenserfahrungen auf. Eine freie Natur, die jeden
Zügel zerreißt, aber freilich auch sich selbst nicht zügeln kann; ein geniales
Denken, rasches Kombiniren, ein tiefer Blick für das Wesentliche: zugleich aber
die gänzliche Unfähigkeit, sich durch zusammenhängende Arbeit zu Schulen.

Hamann's Vater, ein angesehener Chirurg in Königsberg, der „altstädtische
Bader", hatte bei des Sohnes Erziehung vielleicht zuviel gethan, indem er ihn von
Privatlehrern in allen möglichen Dingen unterrichten ließ: außer den alten
Sprachen wurden auch die neueren, namentlich Französisch und Italienisch, be¬
trieben. Noch nicht 16 Jahre alt, durfte er die Universität beziehen, wo er
sich dein Namen nach zuerst auf Theologie, dann auf die Rechte legte. Er war
dann Hofmeister auf verschiedenen liefländischen Gütern, bis er in dem Hause
des reichen Kaufmanns Berends in Riga freundliche Aufnahme und soviel
Zutrauen fand, daß dieser ihm endlich eine handelspolitische Mission anvertraute.
Nachdem er sich fast ein Jahr lang ohne rechten Zweck in Deutschland umher¬
getrieben — in Berlin, Hamburg, Lübeck, Bremen —, kam er nach London.
Seine Mission scheint er völlig vergessen zu haben und in schlechte Gesellschaft
gerathen zu sein; sein Geld war verzehrt, er stak in Schulden, hatte sich völlig
aufgegeben, und das Schicksal von Mylius stand ihm bevor. So dauerte es
ein Jahr.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/141>, abgerufen am 25.11.2024.