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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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"machte mich das Buch ungemein verdrießlich; ich schwärmte von Digression zu
Digression, ohne die rechte Laune des Verfassers zu saisiren; ich bin überhaupt
kein Freund des Burlesken."

Hume und Sterne gingen zusammen. Die Kunstform des Humors ist die
andre Seite des Skeptizismus: das Empfindungsleben und die Verstandeskälte
treten gleich energisch hervor; nicht um das eine an dem andern aufzuheben,
vielmehr sollte im Kontrast sich die Fülle der Natur geltend machen, die von
einer einseitigen Philosophie auseinander gerissen wurde.

Wenn die Literatur der Aufklärung sich bemühte, auf möglichst geradem
Wege zum Ziele zu kommen und alle Nebensachen aus dem Wege zu räumen,
so ist dagegen Sterne's Kunstform eine künstlich hervorgerufene Zerstreutheit.
Er hat gar kein Ziel, er ist ein Spaziergänger, den Unterschied von Haupt- und
Nebensachen kennt er nicht; er sieht je nach seiner Laune nach allen Seiten, ver¬
weilt bei Dingen, die ihn nichts angehen, und hat sie im nächsten Augenblicke
wieder vergesse". Das alles mit einer Anmuth, die gerade in jener Zeit, wo
jede freigeschaffene Seele sich gegen das Gängelband der Logik sträubte, be-
zciubern mußte.

Diese Form seines Denkens und Darstellens erstreckte sich auch auf sein
Empfinden: so ganz unvermittelt wechselt bei ihm die überströmende Thräne und
das höhnische Lachen; seine Sentimentalität hat stets einen leise frivolen Anstrich.
Im Innersten seines Gefühls konnte Lessing ihm nicht beipflichten, so sehr er
ihn schätzte; es war eben nicht seine Art.

Vollkommen stimmte es mit dieser Empfindungsweise, wenn Hume die
bisher allgemein geltenden Vernunftsätze umstieß. Als das Sicherste in der
Welt hatte bisher gegolten, daß jede Wirkung eine Ursache haben müsse; Hume
fragte, wie man das anders wissen wolle als aus Erfahrung? Und was man
nur aus Erfahrung wisse, sei kein absolutes Wissen.

Einen gewaltigen Eindruck machte diese Deduktion auf Kant; einen nicht
geringeren auf einen Landsmann und Freund desselben, der gern Hamlet's Satz:
"Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich
träumt!" zu seinem Wahlspruche nahm -- auf Hamann.

"Die Philosophen," schreibt Hamann in Königsberg 1761, "haben von
jeher der Wahrheit dadurch den Scheidebrief geschrieben, daß sie dasjenige ge¬
schieden, was die Natur zusammengefügt hat." Mit Hamann, damals 31 jährig,
beginnt ein neues Blatt in der deutschen Literatur.

"Die christliche Religion," sagt Hume, "ist nicht nur mit Wunderwerken
von Anfang an begleitet gewesen, sondern sie kann selbst heutzutage von keiner
vernünftigen Person ohne ein Wunder geglaubt werden. Die bloße Vernunft
ist nicht zureichend, uns von derselben zu überzeugen, und wer durch den


„machte mich das Buch ungemein verdrießlich; ich schwärmte von Digression zu
Digression, ohne die rechte Laune des Verfassers zu saisiren; ich bin überhaupt
kein Freund des Burlesken."

Hume und Sterne gingen zusammen. Die Kunstform des Humors ist die
andre Seite des Skeptizismus: das Empfindungsleben und die Verstandeskälte
treten gleich energisch hervor; nicht um das eine an dem andern aufzuheben,
vielmehr sollte im Kontrast sich die Fülle der Natur geltend machen, die von
einer einseitigen Philosophie auseinander gerissen wurde.

Wenn die Literatur der Aufklärung sich bemühte, auf möglichst geradem
Wege zum Ziele zu kommen und alle Nebensachen aus dem Wege zu räumen,
so ist dagegen Sterne's Kunstform eine künstlich hervorgerufene Zerstreutheit.
Er hat gar kein Ziel, er ist ein Spaziergänger, den Unterschied von Haupt- und
Nebensachen kennt er nicht; er sieht je nach seiner Laune nach allen Seiten, ver¬
weilt bei Dingen, die ihn nichts angehen, und hat sie im nächsten Augenblicke
wieder vergesse». Das alles mit einer Anmuth, die gerade in jener Zeit, wo
jede freigeschaffene Seele sich gegen das Gängelband der Logik sträubte, be-
zciubern mußte.

Diese Form seines Denkens und Darstellens erstreckte sich auch auf sein
Empfinden: so ganz unvermittelt wechselt bei ihm die überströmende Thräne und
das höhnische Lachen; seine Sentimentalität hat stets einen leise frivolen Anstrich.
Im Innersten seines Gefühls konnte Lessing ihm nicht beipflichten, so sehr er
ihn schätzte; es war eben nicht seine Art.

Vollkommen stimmte es mit dieser Empfindungsweise, wenn Hume die
bisher allgemein geltenden Vernunftsätze umstieß. Als das Sicherste in der
Welt hatte bisher gegolten, daß jede Wirkung eine Ursache haben müsse; Hume
fragte, wie man das anders wissen wolle als aus Erfahrung? Und was man
nur aus Erfahrung wisse, sei kein absolutes Wissen.

Einen gewaltigen Eindruck machte diese Deduktion auf Kant; einen nicht
geringeren auf einen Landsmann und Freund desselben, der gern Hamlet's Satz:
„Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich
träumt!" zu seinem Wahlspruche nahm — auf Hamann.

„Die Philosophen," schreibt Hamann in Königsberg 1761, „haben von
jeher der Wahrheit dadurch den Scheidebrief geschrieben, daß sie dasjenige ge¬
schieden, was die Natur zusammengefügt hat." Mit Hamann, damals 31 jährig,
beginnt ein neues Blatt in der deutschen Literatur.

„Die christliche Religion," sagt Hume, „ist nicht nur mit Wunderwerken
von Anfang an begleitet gewesen, sondern sie kann selbst heutzutage von keiner
vernünftigen Person ohne ein Wunder geglaubt werden. Die bloße Vernunft
ist nicht zureichend, uns von derselben zu überzeugen, und wer durch den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/140>, abgerufen am 25.11.2024.