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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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gegen den Widerstand der Mehrheit der nationalliberalen Partei hat in's
Leben treten müssen. Was hat Herrn v. Bennigsen, der, wie man sagt, eine
ruhige und staatsmännische Natur ist, bewogen, sich mit seinen Freunden
der Opposition anzuschließen, anstatt mit diesen Freunden auf den Standpunkt
Volk's zu treten und damit die nationalliberale Fahne im Dienste des Reichs¬
gedankens und der Politik des Fürsten Bismarck, welche nur diesen Gedanken
zum Ziele hat, nach wie vor hoch zu halten? Die Gründe, welche Herr
v. Bennigsen der Öffentlichkeit vorgelegt hat, find von ungenügender Ueberzeu¬
gungskraft. Doch können wir nicht anders als annehmen, daß ihm der Gedanke
der parlamentarischen Negierung, dem er zustrebt, allzuweit in die Ferne gerückt
schien durch die Nichteroberung formeller Garantieen dieser Herrschaft bei einer
so günstigen Gelegenheit. Die öffentliche Meinung wird diesen Oppofitions-
grund kaum zu würdigen vermögen. Der andere Grund aber, daß der Reichs¬
gedanke preisgegeben sei, wird schon in kurzem überall nur ein Lächeln her¬
vorrufen. Die nationalliberale Partei hat sich eine schwere Rolle erwählt,
wenn sie zugleich Opposition sein und dabei sich nicht den reichsfeindlichen
Parteien anschließen will. Schon verwahrt man in einem Theil des national¬
liberalen Lagers sich gegen die Engen Richter'sche Parole: Weg mit Bismarck!
Will man aber nicht darauf hinarbeiten, das Ende der Wirksamkeit des Kanzlers
zu beschleunigen, so verträgt es sich wenig mit diesem Vorsatze, wenn man jener
Wirksamkeit doch in einer so wichtigen Maßregel wie die Finanzform nicht
blos bei ihrer Einführung entgegengetreten ist, fondern dieselbe auch nach der
Einführung bekämpfen zu wollen die Miene annimmt.

Die natürliche Logik scheint zu fordern, daß jetzt eine liberale Freihandels¬
partei sich bildet neben der Fortschrittspartei oder mit ihr zusammenfallend.
Außerdem aber muß jetzt eine nationale Partei sich bilden mit dem
Programm, dem nationalen Gedanken und diesem ausschließlich zu dienen,
alles andere nach der Opportunist sür die Förderung dieses Gedankens zu
behandeln.

Wir halten nicht dafür, daß diese Partei sich sofort an die Freikonser¬
vativen anschließen oder diese zu sich herüberziehen müsse. Denn konservativ
wie liberal sollen für die nationale Partei nur Mittel zum Zweck sein. Nach
einiger Zeit wird es freilich zu einer Verschmelzung mit den Freikonservativen,
deren Standpunkt der nämliche, nur noch nicht mit voller Klarheit der Aus¬
sprache ist, kommen dürsen.

Wenn die nationalliberale Partei einer Zersetzung bereits anheimgefallen
ist, so geht das Zentrum demselben Schicksal unfehlbar entgegen. Denn in
dieser Partei waren allzu disparate Elemente vereinigt. Wenn der Friede mit
Rom, wie es immermehr den Anschein gewinnt, zu Stande kommt, so wird er


gegen den Widerstand der Mehrheit der nationalliberalen Partei hat in's
Leben treten müssen. Was hat Herrn v. Bennigsen, der, wie man sagt, eine
ruhige und staatsmännische Natur ist, bewogen, sich mit seinen Freunden
der Opposition anzuschließen, anstatt mit diesen Freunden auf den Standpunkt
Volk's zu treten und damit die nationalliberale Fahne im Dienste des Reichs¬
gedankens und der Politik des Fürsten Bismarck, welche nur diesen Gedanken
zum Ziele hat, nach wie vor hoch zu halten? Die Gründe, welche Herr
v. Bennigsen der Öffentlichkeit vorgelegt hat, find von ungenügender Ueberzeu¬
gungskraft. Doch können wir nicht anders als annehmen, daß ihm der Gedanke
der parlamentarischen Negierung, dem er zustrebt, allzuweit in die Ferne gerückt
schien durch die Nichteroberung formeller Garantieen dieser Herrschaft bei einer
so günstigen Gelegenheit. Die öffentliche Meinung wird diesen Oppofitions-
grund kaum zu würdigen vermögen. Der andere Grund aber, daß der Reichs¬
gedanke preisgegeben sei, wird schon in kurzem überall nur ein Lächeln her¬
vorrufen. Die nationalliberale Partei hat sich eine schwere Rolle erwählt,
wenn sie zugleich Opposition sein und dabei sich nicht den reichsfeindlichen
Parteien anschließen will. Schon verwahrt man in einem Theil des national¬
liberalen Lagers sich gegen die Engen Richter'sche Parole: Weg mit Bismarck!
Will man aber nicht darauf hinarbeiten, das Ende der Wirksamkeit des Kanzlers
zu beschleunigen, so verträgt es sich wenig mit diesem Vorsatze, wenn man jener
Wirksamkeit doch in einer so wichtigen Maßregel wie die Finanzform nicht
blos bei ihrer Einführung entgegengetreten ist, fondern dieselbe auch nach der
Einführung bekämpfen zu wollen die Miene annimmt.

Die natürliche Logik scheint zu fordern, daß jetzt eine liberale Freihandels¬
partei sich bildet neben der Fortschrittspartei oder mit ihr zusammenfallend.
Außerdem aber muß jetzt eine nationale Partei sich bilden mit dem
Programm, dem nationalen Gedanken und diesem ausschließlich zu dienen,
alles andere nach der Opportunist sür die Förderung dieses Gedankens zu
behandeln.

Wir halten nicht dafür, daß diese Partei sich sofort an die Freikonser¬
vativen anschließen oder diese zu sich herüberziehen müsse. Denn konservativ
wie liberal sollen für die nationale Partei nur Mittel zum Zweck sein. Nach
einiger Zeit wird es freilich zu einer Verschmelzung mit den Freikonservativen,
deren Standpunkt der nämliche, nur noch nicht mit voller Klarheit der Aus¬
sprache ist, kommen dürsen.

Wenn die nationalliberale Partei einer Zersetzung bereits anheimgefallen
ist, so geht das Zentrum demselben Schicksal unfehlbar entgegen. Denn in
dieser Partei waren allzu disparate Elemente vereinigt. Wenn der Friede mit
Rom, wie es immermehr den Anschein gewinnt, zu Stande kommt, so wird er


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[0138] gegen den Widerstand der Mehrheit der nationalliberalen Partei hat in's Leben treten müssen. Was hat Herrn v. Bennigsen, der, wie man sagt, eine ruhige und staatsmännische Natur ist, bewogen, sich mit seinen Freunden der Opposition anzuschließen, anstatt mit diesen Freunden auf den Standpunkt Volk's zu treten und damit die nationalliberale Fahne im Dienste des Reichs¬ gedankens und der Politik des Fürsten Bismarck, welche nur diesen Gedanken zum Ziele hat, nach wie vor hoch zu halten? Die Gründe, welche Herr v. Bennigsen der Öffentlichkeit vorgelegt hat, find von ungenügender Ueberzeu¬ gungskraft. Doch können wir nicht anders als annehmen, daß ihm der Gedanke der parlamentarischen Negierung, dem er zustrebt, allzuweit in die Ferne gerückt schien durch die Nichteroberung formeller Garantieen dieser Herrschaft bei einer so günstigen Gelegenheit. Die öffentliche Meinung wird diesen Oppofitions- grund kaum zu würdigen vermögen. Der andere Grund aber, daß der Reichs¬ gedanke preisgegeben sei, wird schon in kurzem überall nur ein Lächeln her¬ vorrufen. Die nationalliberale Partei hat sich eine schwere Rolle erwählt, wenn sie zugleich Opposition sein und dabei sich nicht den reichsfeindlichen Parteien anschließen will. Schon verwahrt man in einem Theil des national¬ liberalen Lagers sich gegen die Engen Richter'sche Parole: Weg mit Bismarck! Will man aber nicht darauf hinarbeiten, das Ende der Wirksamkeit des Kanzlers zu beschleunigen, so verträgt es sich wenig mit diesem Vorsatze, wenn man jener Wirksamkeit doch in einer so wichtigen Maßregel wie die Finanzform nicht blos bei ihrer Einführung entgegengetreten ist, fondern dieselbe auch nach der Einführung bekämpfen zu wollen die Miene annimmt. Die natürliche Logik scheint zu fordern, daß jetzt eine liberale Freihandels¬ partei sich bildet neben der Fortschrittspartei oder mit ihr zusammenfallend. Außerdem aber muß jetzt eine nationale Partei sich bilden mit dem Programm, dem nationalen Gedanken und diesem ausschließlich zu dienen, alles andere nach der Opportunist sür die Förderung dieses Gedankens zu behandeln. Wir halten nicht dafür, daß diese Partei sich sofort an die Freikonser¬ vativen anschließen oder diese zu sich herüberziehen müsse. Denn konservativ wie liberal sollen für die nationale Partei nur Mittel zum Zweck sein. Nach einiger Zeit wird es freilich zu einer Verschmelzung mit den Freikonservativen, deren Standpunkt der nämliche, nur noch nicht mit voller Klarheit der Aus¬ sprache ist, kommen dürsen. Wenn die nationalliberale Partei einer Zersetzung bereits anheimgefallen ist, so geht das Zentrum demselben Schicksal unfehlbar entgegen. Denn in dieser Partei waren allzu disparate Elemente vereinigt. Wenn der Friede mit Rom, wie es immermehr den Anschein gewinnt, zu Stande kommt, so wird er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/138>, abgerufen am 25.11.2024.